Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Berlin Wedding: In Berliner Quartieren: Genossenschaftlich kooperieren!

Modelle genossenschaftlichen Wohnens - Erschließen von Genossenschaftspotenzialen

Ausgangslage

Nach dem förmlichen Abschluss der Stadterneuerung im ehemaligen Berliner Arbeiterbezirk Wedding stand der von drei Altberliner Genossenschaften in den 1980er Jahren als Sanierungsträger gegründete Verbund Nordberliner Wohnungsbaugenossenschaften GmbH vor der Aufgabe, sieben bis dahin nicht sanierte Altbauten entsprechend dem Städtebauförderungsrecht zu reprivatisieren. Was trotz umfangreicher Förderung der Stadterneuerung seit einem Vierteljahrhundert nicht gelungen war, sollte nun, nachdem es in Berlin seit einigen Jahren praktisch keine öffentliche Förderung mehr für die Wohnungsmodernisierung gibt, unter Marktbedingungen erreicht werden: eine am Kiez, seinen Strukturen und Möglichkeiten orientierte behutsame Sanierung. Damit stand der Nordverbund im Jahr 2004 vor der Herausforderung, für jede dieser lange am Rande der Vernachlässigung bewirtschafteten Immobilien eine passgenaue Sanierungsstrategie zu entwickeln.

Die Liegenschaften befinden sich nördlich und südlich der traditionsreichen Schulstraße in zwei unterschiedlichen Kiezen. Während im seit Jahren teilweise aufgewerteten Sanierungsgebiet im Nordwesten nur einzelne unsanierte Restbestände störten, war der Südosten nie über den Status der Sanierungserwartung hinausgekommen. Gemeinsam ist beiden Gebieten jedoch, dass sie mit der Vereinigung Berlins eine Lageveränderung erlebt haben. Es entsteht eine dynamische Transitionszone, die zum einen laut den Indikatoren des Sozialstrukturatlas des Landes Berlin als sozioökonomisch prekär gelten muss, auf die sich andererseits aber neue Investorenbegehrlichkeiten richten. Die Schlüsselfrage war, wie eine Balance hergestellt werden kann zwischen einer Bevölkerung, die durch die drei A’s benachteiligter Gebiete gekennzeichnet ist - Armut, Arbeitslosigkeit und Ausländer - und einer in Teilbereichen notwendigen Verbesserung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse - und dies ohne Verdrängung. Die Lösung, so der Nordverbund, kann darin liegen, neue genossenschaftliche oder auch nur genossenschaftsnahe Projektideen zu entwickeln und sie gemeinsam mit lokalen Akteuren umzusetzen. Die Häuser sollten als Kerne entwickelt werden, die das Gebiet stabilisieren.

Drei Typen von Protagonisten können dabei eine Rolle übernehmen. Zum einen bieten junge Culturepreneurs (Der Begriff wurde aus den Begriffen Kultur und dem englischen Entrepreneur (Unternehmer) gebildet und beschreibt eine neue, zunehmend in kreativen Städten bedeutsame Wirtschaftsform), die die leer stehenden Räume beziehen, eine Chance für das Gebiet. Dabei handelt es sich um eine Lebensstilgruppe, die, oft in der Existenz- und auch Familiengründungsphase befindlich, angesichts des steigenden Gentrifizierungsdrucks in den zentralen Bereichen von Mitte und Prenzlauer Berg in Wedding kostengünstige Startoptionen entdeckt. Künstler, Architekten, Studenten, eine junge Medienszene und ihre soziokulturellen Projekte finden hier Raum für die enge räumliche Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Getragen von der Hoffnung, im Wedding trotz der Nähe zum Regierungsviertel auch langfristig weniger den Mieten- oder Kaufpreissteigerungen ausgesetzt zu sein, wollen sie mit Galerien und Kunstprojekten im Verbund mit neuen Wohnformen sich selbst und das Quartier befördern. Ein weiterer, demgegenüber bodenständigerer Protagonist ist die lokalökonomisch orientierte Stadtteilgenossenschaft. Ihr Ziel ist es, in kleineren, z.T. von Migranten getragenen Handwerksbetrieben Arbeit und Berufsorientierung zu bieten; sowohl im Bauhandwerk als auch in allgemeinen Dienstleistungen für die Nachbarschaft, z.B. Schneeräumung und Grünflächenpflege.

Interventionen 

Die Interventionen, die angesichts des Drucks durch die Beendigung der Sanierung in nur anderthalb Jahren zu einem Ergebnis gebracht werden mussten, lagen in drei miteinander verknüpften Handlungsfeldern. Im Mittelpunkt stand die Entwicklung von alternativen Entwicklungsmodellen für die Privatisierung der einzelnen Häuser. Das Spektrum reichte jeweils von der formal-genossenschaftlichen Lösung bis hin zu quartiersverträglichen Investorenmodellen. Die anderen Projektpartner, wie die Handwerksgenossenschaft, wurden jeweils als komplementäres Element einbezogen. Die Modelle wurden teils für bestehende, teils für zu gewinnende Bewohnergruppen entwickelt.

Aufgeboten wurden die Objekte nach einer genauen Analyse der Optionen. Neben der Idee einer altersgerechten Genossenschaft für zwei benachbarte Häuser stand das Handwerkerhaus, mit dessen Hilfe sich die Genossenschaftler schrittweise ein betriebssicherndes Vermögen aufbauen können. Neben dem Wohn- und Kulturobjekt mit Galerien und Ateliers wurde gemeinsam mit einem Jugendhilfeträger eine Unterkunft für Straßenkinder entwickelt. Konkretisiert wurden diese Angebote durch die Kommunikation einiger der Objekte über die Netzwerke gemeinschaftlich orientierten Wohnens und interessierter Wohngruppen.

Ein zweites Handlungsfeld, das diesen Prozess in das Quartiersleben einbettete, war die konzeptionelle Weiterentwicklung eines bestehenden lokalen wohnungswirtschaftlichen Arbeitskreises. Ziel dieses Ansatzes war es, unter den Bedingungen diffuser Konkurrenzen unter den Eigentümern verbindlichere Netzwerkbeziehungen anzubieten, um den gemeinsamen Interessen am Gebietsmarketing und an der Pflege der privaten und öffentlichen Räume mehr Gewicht zu geben; sowohl im Interesse der unterschiedlichen Eigentümer wie auch der Anwohner, die über anonyme und unsichere Verhältnisse klagen. Beteiligt sind ein kleiner Kreis unterschiedlicher lokaler Wohnungseigentümer, des benachbarten Quartiersmanagements und die Sozialmanagerin eines großen Wohnungsunternehmens mit Streubesitz im Gebiet.

Das dritte Handlungsfeld der Kooperation zwischen wohnungs- und produktivgenossenschaftlichen Ansätzen wirkt direkt in das Quartier. Durch die Einbindung der Mitgliederbetriebe der Stadtteilgenossenschaft in Bestandspflege, Sanierungsmaßnahmen und Wohnumfeldgestaltung und -pflege werden lokale Wirtschaftskreisläufe initiiert, Beschäftigung und Einkommen gesichert und dabei die Wohnqualität verbessert.

Ergebnisse, Misserfolge und strategische Erfolge

Welche Ergebnisse sind am Ende des Forschungsprozesses zu konstatieren? Betrachtet man das Vorhaben aus einer traditionell wohnungsgenossenschaftlichen Sicht, erscheinen die Erfolge begrenzt. Es ist im Projektzeitraum nicht gelungen, das Handwerkerhaus oder die Culturepreneurs als Genossenschaften zu etablieren. Letztere sahen sich bisher vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Bedenken und einem komplizierten gruppendynamischen Prozess nicht in der Lage, eine verbindliche Entscheidung zur Übernahme "ihres" Hauses zu treffen. Knapp ein Jahr nach ihrem Einzug haben sie zwischenzeitlich einen Generalmietvertrag unter dem Dach des Nordverbund unterzeichnet. Der Nordverbund hat so der Gruppe ein Zeitfenster von fünf Jahren eröffnet, in dem sie gemeinsam das für sie entsprechende Wohn- und Lebensmodel entwickeln können.

Ein weiteres Haus wurde wie geplant einem Jugendhilfeträger und Mitgliedsbetrieb der Stadtteilgenossenschaft verkauft, der auffälligen Jugendlichen Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten bietet und damit die soziale Integration durch Arbeit am Stadtteil fördert. Dagegen hat sich für die Objekte, die sich baulich vorzüglich für altersgerechtes Wohnen anbieten, letztendlich keine direkt bewohnergetragene Lösung gefunden. Und nur für ein Objekt, für das ein umfassender Umbau aus städtebaulichen Gründen ansteht, konnten sich die Trägergenossenschaften des Nordverbund dazu entschließen, es direkt in den Eigenbestand des Nordverbund zu übernehmen, um damit die gesicherte Option einer späteren genossenschaftlichen Lösung offen zu halten.

Als durchaus Erfolg versprechend werden dagegen die Ergebnisse aus der Perspektive der Stadtteilgenossenschaft und des genossenschaftsgetragenen Dienstleistungsträgers Nordverbund eingeschätzt. Während sich die Produktivgenossenschaft durch Bauaufträge und Serviceleistungen aus dem Quartiersverbund mit anderen Eigentümern und dem Nordverbund so festigen konnte, dass sie sich zum Stabilisierungsfaktor für den Stadtteil weiter entwickelte, hat der Nordverbund seine Kompetenz in der Projektentwicklung und in der Projektmoderation qualifiziert.

Das Projekt "Genossenschaftliche Kooperation zur Quartiersentwicklung - genossenschaftliche Perspektiven zur Privatisierung von unsanierten Altbauten" hat so seinen Realitätstest bestanden und hat ortskonkrete und richtungweisende strategische Optionen erprobt.

  • Es hat sich damit auseinandergesetzt, dass die traditionelle genossenschaftliche Option kein selbstverständliches Modell für neue Wohnvorhaben ist. Genossenschaftsähnliche Alternativen auch am Rand förmlicher Genossenschaften können für Interessenten hoch attraktiv sein, ohne dass damit eine Absage an eine selbst verantwortete und sozial gebundene Entwicklung ausgesprochen wird.
  • Gerade weil der Genossenschaftsgedanke keine Selbstverständlichkeit städtischer Entwicklungsalternativen ist, werden Zeit und Kompetenzen für die Entwicklung selbst verwalteter genossenschaftlicher Wohnformen erforderlich. Dienstleistungen für die Projektentwicklung und -steuerung, wie sie der Nordverbund mit seiner klaren genossenschaftlichen Orientierung bietet, können dabei eine Mittlerrolle für die Projektentwicklung und -realisierung sichern.
  • Auch für die altgenossenschaftlichen Träger des Dienstleisters ergeben sich interessante Perspektiven. Zum einen wird das Bestandsmanagement durch die Zusammenarbeit mit anderen genossenschaftsähnlichen Wohnvorhaben, aber auch mit Finanzinvestoren um eine auch im Streubesitz wirtschaftliche Dimension erweitert und es werden Spielräume für zukünftige wohnungs- und produktivgenossenschaftlicher Aktivitäten erschlossen.

Fazit

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass in Zeiten eines geschwundenen gesellschaftlichen Bewusstseins über die Potenziale genossenschaftlichen Wohnens lokale Impulse wirksam werden können, um dem genossenschaftlichen Wohnen seine Rolle als dritte Säule des Wohnungsmarkts zu sichern. Neben der Bereitstellung einer Beratungsinfrastruktur und innovativer Formen der Zwischenträgerschaft zur Gewinnung neuer Zielgruppen auf der Ebene von Projekten und Quartieren wird auch weiterhin ein politisches Bekenntnis auf der Ebene der Kommunen und der Länder erforderlich sein, aus dem als praktische Konsequenz eine Experimentierbereitschaft weit über die Zeitperspektive des ExWoSt-Projektes hinaus bei der Privatisierung von Wohnungsbeständen in genossenschaftlicher und genossenschaftsähnlicher Form gesichert werden sollte.

Projektträger des Modellvorhabens war der Verbund Nordberliner Wohnungsgenossenschaften GmbH ("Nordverbund"), die Projektforschung leistete das Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung IRS, Erkner.

Diese Seite