Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Leipzig-Grünau: Kolonnaden Alte Salzstraße

Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere - Modellvorhaben

Angaben zum Projekt
Kontakt

Stefan Geiss, Stadt Leipzig, Amt für
Stadterneuerung und Wohnbauförderung,
Prager Straße 26, 04103 Leipzig,
Tel: +49 341 1235441, stefan.geiss@leipzig.de

Frank Lehmann, Wohnungsbaugenossenschaft Pro Leipzig eG,
Bitterfelder Straße 7-9, 04129 Leipzig,
Tel: +49 341 9112311, lehmann@pro-leipzig.de

ProjekttypNeue Freiräume in schrumpfenden Quartieren
Nutzfläche3.250 m²
EigentümerWohnungsbaugenossenschaft Pro Leipzig
KooperationspartnerStadt Leipzig, Flächenbeirat
Kolonnaden
AkteureWohnungsbaugenossen Pro Leipzig eG, ASW Stadt Leipzig, Kolonnaden-Beirat, cet-01, Friedrich-Fröbel Grundschule, KAOS e.V.
Planung/Moderationcet-01 couling – schnorbusch gbr, Berlin

Kontext

Die am westlichen Stadtrand von Leipzig gelegene Großwohnsiedlung Grünau wurde in den 1970er – 1980er Jahren für 85 000 Einwohner gebaut. Heute wohnen dort infolge massiver Schrumpfung nur noch 43 800 Einwohner. Entsprechend der "Entwicklungsstrategie Leipzig-Grünau 2020" sollen weitere erforderliche Rückbauten in den Siedlungsrandbereichen konzentriert werden und die zentralen Kernbereiche, zu denen auch die Projektfläche des Modellvorhabens "Kolonnaden Alte Salzstraße" gehört, dagegen gestärkt und aufgewertet werden. Im Jahre 2006 wurden die im Eigentum der Wohnungsgenossenschaft Pro Leipzig eG liegenden Gebäude Alte Salzstraße 125-129 rückgebaut. Auf der von einer 6-geschossigen Wohnbebauung umgebenen Brachfläche wollte die Pro Leipzig gemeinsam mit ihren Mietern und weiteren Quartiersbewohnern einen Gemeinschaftsgarten mit Einzelnutzungsflächen entwickeln.

Der Begriff Kolonnaden steht für die "Neubesiedelung", Nutzung und Pflege von Freiflächen im urbanen Raum. Das im Verlauf der historischen Salzstraße liegende Projekt begreift die wachsende Anzahl von Rückbauflächen in Großwohnungssiedlungen als Chance, um Nachbarschaften durch in Eigenverantwortung befindliche Nutzungsangebote im Freiraum zu stabilisieren und einen neuartigen Freiraum im Wohnumfeld entstehen zu lassen, der sich durch Gestaltung und Nutzungsmöglichkeiten vom unmittelbaren Umfeld abhebt.

Angaben zum Quartier
EinwohnerStadt: 510.000
Quartier: 43.800
Lage Randstadt
Quartierstyp/Baualter1970er – 1980er Jahre
SozialdatenMenschen < 15 Jahre 8 %
Menschen > 65 Jahre 22 %
Arbeitslosenrate 14 %
Transfergeldempfänger 9 %

Konzept

Mit dem von der Wohnungsbaugenossenschaft, dem Architekturbüro cet-01 und der Stadt gemeinsam initiierten Projekt sollten die Möglichkeiten einer nachhaltigen Gestaltung von Abrissfolgeflächen sowie die Motivation von Bewohnern zu einer selbst bestimmten Gestaltung, Nutzung und Pflege von Flächen aufgezeigt werden. Zur erfolgreichen Umsetzung wurde eine frühzeitige und umfassende Einbeziehung der Mieterschaft und angrenzender öffentlicher Einrichtungen in Zusammenhang mit dem Planungs- und Umsetzungsprozess durchgeführt.

In der Startphase hat sich im März 2007 der "Kolonnaden-Stammtisch" gegründet und sich zum Ziel gesetzt, "...Menschen unterschiedlicher Generationen und Nationalitäten anzuregen, sich in diesem Garten zu treffen, sich gärtnerisch zu betätigen, sich zu erholen, Meinungen auszutauschen und gemeinsam Kultur erlebbar zu machen."

Die Anwohnergruppe wurde fachlich unterstützt und moderiert mit dem Ziel, dass die künftigen Nutzer in die Lage versetzt werden, in Kooperation mit dem Eigentümer den Freiraum eigenverantwortlich zu erhalten und weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit den Bewohnern wurde ein Freiflächenprogramm mit den drei Teilbereichen Platz-, Nutzer- und Gemeinschaftsfläche entwickelt und umgesetzt. Im ersten Bauabschnitt wurde der Garten angelegt und im zweiten die Kolonnaden in Form einer geschwungenen Holzpergola errichtet.

Finanzierung

Die investiven Maßnahmen werden überwiegend über die ExWoSt-Zuwendung finanziert. Die Besonderheit des Projektes ist, dass Pflege und Unterhaltung trotz öffentlicher Nutzung privat finanziert wird. Die Pro Leipzig stellt dem Kolonnaden-Beirat den Pflegekostensatz für die übliche Pflege- und Unterhaltung zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung. Die Kommune unterstützt das Projekt finanziell, indem der Eigentümer für die öffentliche Nutzung seiner Privatfläche von der Grundsteuer befreit wird.

Die autarke Versorgung der Flächen mit Strom und Wasser trägt zu einer nachhaltigen Einsparung von Betriebs- und Bewirtschaftungskosten bei.

Ein Projektbaustein ist die so genannte Beratungs- und Umsetzungsagentur, die im Ergebnis einen Leitfaden zur Übertragbarkeit des Projektes auf andere Rückbaustandorte erstellt. Hierbei werden auch die Kosten für die einzelnen Projektbausteine dargestellt und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Kosten minimiert werden können.

Aspekte der generationen- und zielgruppenübergreifenden Nutzung

In der Entwicklungsphase hat sich eine relativ homogene Gruppe aktiver älterer Menschen zum Stammtisch zusammengefunden (50+), für die eine gute Ausstattung des Wohnumfeldes, die gemeinschaftliche Nutzung zur Sicherung der Lebensqualität und nachbarschaftliche Kontakte eine große Rolle spielen. Viele von ihnen haben einen Garten im Umland und bringen daher entsprechende Erfahrungen in das Projekt ein. Gesundheits- und altersbedingt ist die allei¬nige Bewirtschaftung von Gartenflächen für viele perspektivisch nicht mehr möglich, so dass gemeinschaftliche Gartenflächen in der unmittelbaren Nachbarschaft eine gute Alternative darstellen. Außerdem verfügen sie meist ausreichend über Zeit und Interesse an der Gemeinschaft, um sich aktiv in ihrer Nachbarschaft zu engagieren.

Es hat sich gezeigt, dass gerade die Älteren eine selbstverständliche Einstellung zur Gemeinschaft und deren Bedürfnissen mitbringen und Nutzungsangebote für Familien mit Kindern generell mitgedacht wurden. Damit die Aneignung und Nutzung durch weitere Interessenten, auch anderen Alters, gelingt, hat sich die Projektgruppe zum Ziel gesetzt, dass die Gestaltung der Fläche verschiedene Nutzungsmöglichkeiten zulassen und zur Verwirklichung eigener Ideen motiviert. Die Flächen zur gärtnerischen Nutzung richten sich gleichermaßen an ältere Menschen, an Selbstnutzer als auch an Kinder. Um das innovative Angebot auch für junge Familien mit Kindern attraktiv zu gestalten, wurden Partnerschaften mit der benachbarten Kita und der Schule eingegangen.

Wechselbeziehungen Wohnen – Freiräume – Gemeinschaftseinrichtungen

Die Kolonnaden entstanden auf einer Rückbaufläche, die teilweise von 6-geschossiger Zeilenhausbebauung umgeben ist. In der unmittelbaren Nachbarschaft befinden sich soziale und kulturelle Einrichtungen, wie die Fröbel-Grundschule und der Jugend- und Freizeittreff Völkerfreundschaft. Mit der Umsetzung des Modellvorhabens wurde mit der benachbarten Grundschule eine Partnerschaft zur Nutzung der Kolonnaden als grünes Klassenzimmer eingegangen.

Fokus Bauliche Lösungen: Räumliche Konzeption und Ausstattung

Auf der 3.250 m2 großen Freifläche wurde eine für den Großsiedlungskontext maßstabsgerechte Gestaltungslösung gesucht, die gleichzeitig den vielfältigen Anforderungen eines Gemeinschaftsgartens entspricht.

Das gestalterische Rückgrat bildet die geschwungene Holzpergola, die die Kolonnaden mit den einzelnen Nutzungszonen gliedert, ohne eine Raumtrennung vorzunehmen. Die Abwechslung von Bänken, Spinden und Gartenzimmer bietet den Besuchern Möglichkeiten, Nähe zu suchen oder Abstand und Ruhe zu finden.

Ein neuer Fußweg erschließt den Gemeinschaftsgarten. Für eine generationenübergreifende Benutzung sind die Kolonnaden in verschiedene Nutzungszonen unterteilt und entsprechend unterschiedlich intensiv gestaltet. Wesentliche Elemente sind:

  • eine Wildwiese mit Bäumen zum freien Spiel
  • eine Duftschlucht zur Belebung der Sinne, Brunnen
  • Bach und Teich als Ergänzung der Lebenselemente von Luft und Erde
  • Hochbeete zur eigenen Gestaltung für Ältere und Kinder
  • Pflanzfelder zur gärtnerischen Betätigung

Übertragbare Freiraumelemente für Gemeinschaftsgärten in der Wohnnachbarschaft

Die Kolonnade wurde als Pergolabausatz konzipiert. Die Bausätze unterscheiden sich durch ihren Ausbaustandard: von einfach – nur mit einer Bank, über einen Gerätespind bis hin zu einem kleinen Versammlungsraum, dem "Kolonnaden-Gartenzimmer". Konstruktiv ist die Kolonnade auf mögliche zusätzliche Nutzungswünsche, wie z. B. Schaukeln, Hängematten und ergänzende Begrünungsmaßnahmen ausgerichtet und hält möglichem Vandalismus stand. Das Gartenzimmer ist als offener, überdachter und von Regen geschützter Sitzplatz oder als geschlossenes Versammlungszimmer bis in die Übergangszeiten hinein als Kommunikationsort und Treffpunkt nutzbar. Es lässt sich zum Platz hin auf der gesamten Front öffnen, damit Filmvorführungen oder ähnliches auf für Gruppen möglich sind. Hier wird auch der für kulturelle Veranstaltungen und Spiele benötigte Plasmabildschirm ("Kolo-Net") untergebracht.

Niedrige Abgrenzungselemente – Hecken, Trockenmauern, die aus Gehwegplatten recycelt wurden und Sichtschutzzäune – fassen den Garten räumlich, zwei Eingänge kanalisieren den Zugang. Durch die Einfriedung wird das Betreten des neuen, aktiv nutzbaren Freiraums bewusst gemacht ohne auszugrenzen; auf der Trockenmauer kann auch gesessen werden.

Mehrwert durch neue Technologien

Der Einsatz neuer und umweltfreundlicher Technologien wie Solaranlage und Brunnen ermöglicht den kostenunabhängigen Betrieb der Sonderausstattungselemente Brunnen, Bachlauf und Teich und die Pflege sowie die Durchführung kultureller Veranstaltungen, wie Freiluftkino oder digitale Lern- und Bewegungsspiele.

Ergänzt wird das Projekt um den Baustein "Kolo-Net". Mit einer auf den Stadtteil zugeschnittenen Quartiersplattform sollen mediale Angebote und Gestaltungsmöglichkeiten für alle Bewohner, insbesondere aber auch für Jugendliche, geschaffen werden. Zur witterungsunabhängigen Nutzung wird hierfür im Kolonnadenzimmer ein Plasmabildschirm eingebaut. Gleichzeitig kann der Raum aus Sicherheitsgründen auch abgeschlossen werden. Für alle zugänglich ist zusätzlich ein Infoterminal im Freiraum geplant.

Fokus Kooperationen: Die Wohnungswirtschaft als Partner der Quartiersentwicklung

Die Kolonnaden stehen beispielgebend für eine gelungene Kooperation zwischen Wohnungsunternehmen, Planungsbüro und Stadt. Die Pro Leipzig bleibt Flächeneigentümer und unterstützt die Kolonnaden-Nutzer. Die Bereitschaft und der Wille der Wohnungsbaugenossenschaft, die Freifläche interessierten Nutzern zur freien Aneignung und Nutzung zur Verfügung zu stellen, stellt die Basis für die Kooperation da. Hierdurch erhofft sich das Wohnungsunternehmen mehr Wohnzufriedenheit und eine stärkere Bindung der Bewohnerschaft an die Wohnnachbarschaft.

Fokus Prozess: Identifikation und Verantwortlichkeit über die gemeinsame Projektentwicklung und Aktionen herstellen

In einem modernen, offenen Planungsprozess wurde den Beteiligten der notwendige Raum und die fachliche Unterstützung gegeben, damit sich die spezifischen Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten der Stammtischmitglieder entfalten und in den Prozess eingebracht werden konnten. Eine Schlüsselstellung nimmt hierbei der moderierte Planungsstammtisch ein. Mit fachlicher Begleitung wurde hier das Konzept und die Gestaltung für die Kolonnaden durch die Stammtisch-Mitglieder u.a. am Modell entwickelt.

Über einen Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren ermöglichte der wöchentlich stattfindende Stammtisch den Akteuren eine regelmäßige, differenzierte Diskussion und Zusammenarbeit.

Dabei haben sich als Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit bewährt:

  • Wohngebietsfest und Zelebrierung des 1. Spatenstichs
  • "Gesten" zur Integration anderer Alters- und Nutzergruppen: Verlosung von Baumpatenschaften, "Kolo-Ei-Suche", Verteilen von Blumensamen für eine Pflanzaktion, Führungen und Informationen zur Projektfläche
  • Gemeinsame Planungsspaziergänge
  • frühzeitige Sichtbarmachung der künftigen Gestaltung durch Visualisierung und gezielte Mäharbeiten auf der Fläche
  • Mitmachbaustelle (gemeinsame Bepflanzung und Weidenzaunbau)
  • Eröffnungsfest mit Rahmenprogramm und offizieller Ernennung des Kolonnaden-Beirats

Ermöglichung der nachhaltigen Aneignung und Selbstorganisation

Das so gewonnene Selbstbewusstsein der Stammtischmitglieder stellt das Fundament für die Verstetigung des bürgerschaftlichen Engagements dar.

Mit der Eröffnung der Kolonnaden im September 2008 wurde der Planungsstammtisch in einen selbst organisierten Flächenbeirat überführt. Aufbauend auf einem gemeinsam erarbeiteten Statut steuert der Flächenbeirat, bestehend aus Anwohnern und einem Vertreter der Wohnungsbaugenossenschaft, die Nutzung, Pflege und Weiterentwicklung der Kolonnaden: Die Nutzer der Kolonnaden bekommen von der Pro Leipzig ein Budget für die Unterhaltung, kleine Investitionen und für kulturelle Veranstaltungen, über das sie eigenverantwortlich entscheiden können. Der Einsatz investiver Mittel wird intensiv im Hinblick auf Wirkung und Praktikabilität geprüft und gegeneinander abgewogen. Die Wohnungsbaugenossenschaft setzt hierfür Pflegemittel für die Freiflächen ein, die sie ohnehin zur Instandhaltung aufwenden müsste. Außerdem wird der Flächenbereit durch Bereitstellung von Räumlichkeiten und Büromitteln des Wohnungsunternehmens unterstützt.

Erfahrungen und Übertragbarkeit

Die Entwicklung der Kolonnaden verdeutlicht, dass die Wohnungsunternehmen bei der Gestaltung urbaner Freiräume eine wichtige Rolle einnehmen. Der partizipative Gestaltungs- und Aneignungsansatz trägt dazu bei, Bewohner zu motivieren, sich aktiv für gemeinschaftlich nutzbare Freiräume im Wohnumfeld einzusetzen. Die Wohnungsunternehmen profitieren durch mehr Wohnzufriedenheit, die Abgabe von Verantwortung und die stärkere Bindung der Bewohner an ihr Quartier. Gleichzeitig wird der Freiraum fit gemacht für den demografischen Wandel. Die Kolonnaden bieten sowohl für ältere Menschen als auch für junge Familien und Kinder attraktive Angebote zur Nutzung und Begegnung.

Um solchen Aneignungs- und Gestaltungsprozess gängig zu machen, ist ein fachlich moderiertes Verfahren zu entwickeln, das auf Kontinuität, Verlässlichkeit und möglichst rasche sichtbare Ergebnisse (auch in Form von temporären bzw. vorgezogenen Maßnahmen) beruht. Kooperationen mit unterschiedlichen Partnern bilden die Basis für die Verstetigung solcher Prozesse.

Durch eigenverantwortliches Wirtschaften der Anwohner kann eine hohe Nachhaltigkeit in der Pflege und Unterhaltung erreicht werden.

Weiterführende Informationen

Die Projektbeschreibung können Sie sich hier auch als barrierefreie PDF herunterladen.
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