Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Magdeburg: Lesezeichen und Stadtregal

Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere - Modellvorhaben

Angaben zum Projekt
Kontakt

Kamranr Ardalan, Stadtplanungsamt
Magdeburg, An der Steinkuhle 6,
39128 Magdeburg, Tel: +49 391 5405325,
kamran.ardalan@spa.magdeburg.de

Sabine Eling-SaalmannArchitektur+Netzwerk
Kleine Straße 8, 39108 Magdeburg,
Tel: +49 391 4009745,
sabine@eling-saalmann.com

http://www.lesezeichen-salbke.de

ProjekttypNeue Freiräume in schrumpfenden Quartieren
Nutzfläche500 m²
EigentümerStadt Magdeburg
KooperationspartnerBürgerverein Salbke-Fermersleben
AkteureLandeshauptstadt Magdeburg, Stadtplanungsamt, Hochbauamt; Arge KARO, Leipzig/Architektur+Netzwerk, Magdeburg; Bürgerverein Salbke-Fermersleben-Westerhüsen e. V.; Aktion Musik e. V. im Gröninger Bad; Grundschule Salbke
Planung/ModerationStefan Rettich KARO, Leipzig, Pfaffendorfer Straße 26b, 04105 Leipzig, Tel. 0341 5641501, karo@karo-architekten.de mit Architektur+Netzwerk, Magdeburg

Kontext

Der Magdeburger Stadtteil Salbke gehört zur Programmfläche des Gesamtprojektes "Leben an und mit der Elbe", als Beitrag zur IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010. Der Programmschwerpunkt für den Südosten Magdeburgs mit den Ortsteilen Fermersleben, Salbke und Westerhüsen liegt auf der Entwicklung von altindustriellen Brachflächen sowie der Stärkung der Ortskerne. Die Einwohnerentwicklung war hier in den vergangenen Jahren stark rückläufig. Die Arbeitslosenquote liegt über dem städtischen Durchschnitt und der Gebäudeleerstand teilräumlich bei bis zu 80%.

Seit 2007 werden aus Mitteln des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt weitere unterstützende Maßnahmen zur Aufwertung des Ortskerns umgesetzt. Begleitend wurde 2008 ein Quartiersmanagement für den Südosten eingerichtet.

Auf der Grundlage einer Brachflächenstudie des Stadtplanungsamtes wurde im Oktober 2005 im Ortskern von Salbke das Experiment "Lesezeichen" durchgeführt. Auf der Brachfläche der früheren Ortsbibliothek konnte mit Hilfe eines temporären Bauwerks aus Getränkekisten die Funktion einer Bürgerbibliothek unter freiem Himmel erfolgreich getestet werden.

Angaben zum Quartier
EinwohnerStadt: 229.000
Quartier: 4.200
Lage Randstadt
Quartierstyp/BaualterGründerzeit
SozialdatenMenschen < 18 Jahre 13 %
Menschen > 65 Jahre 27 %
Zuwanderer 2 %
Transfergeldempfänger 20 %

Konzept

Seit der Erprobung des Lesezeichens betreibt der Bürgerverein Salbke-Fermersleben-Westerhüsen e.V. mit gespendeten Büchern in Salbke eine informelle Bibliothek in einem vormals leer stehenden Ladenlokal. Mit Umsetzung des Modellvorhabens werden Teile des Buchbestandes auch in der dauerhaft geplanten Freianlage öffentlich zugänglich sein. Im Zuge des Beteiligungsprozesses wurde der Konzeptansatz einer Freiluftbibliothek zu einem "Stadtregal" mit zusätzlichen generations-übergreifenden Angeboten erweitert.

Kern des Modellvorhabens ist die Projektentwicklung des Freiraums im Zentrum Salbkes als räumlich und gesellschaftlich integrierter Stadtplatz. Zum gebauten Programm des Lesezeichens und Stadtregals als "24-Stunden-Stadtteil-Board" mit den Servicefunktionen gehören eine Freiluftbibliothek mit angeschlossenem Lesegarten, Info-Board für Salbke und Bühen für junge Musikgruppen, Lesungen etc. errichtet.

Durch ein moderiertes Planungsverfahren werden möglichst viele Zielgruppen in die Gestaltung und Organisation des Lesezeichens und Stadtregals eingebunden und der Betrieb in bürgerschaftlicher Trägerschaft vorbereitet und unterstützt.

Finanzierung

Die investiven Maßnahmen mit experimentellem Charakter und das Beteiligungsverfahren sowie die Projektmoderation werden über die ExWoSt-Projektzuwendung finanziert. Der Flächenankauf und flankierende Stadtumbaumaßnahmen im öffentlichen Raum, wie die Anlage eines Stadtplatzes in unmittelbarer Nachbarschaft des Lesezeichens, werden aus Mitteln des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt finanziert.

Die Finanzierung der Folgekosten ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Um die Betriebskosten zu minimieren, sieht das Beleuchtungskonzept vor, dass die Verbrauchskosten durch die jeweiligen Nutzer des Lesezeichens finanziert werden. Über eine in das Lesezeichen integrierte Werbefläche sollen die Betriebskosten für die Freiluftbibliothek kofinanziert werden.

Wechselbeziehungen Wohnen – Freiräume – Gemeinschaftseinrichtungen

Typologisch ist Salbke ein postindustrieller Stadtteil im Umbruch, der sich künftig mit seinen urbanen Nutzungen verstärkt auf den Ortskern konzentriert. Das Modellvorhaben soll helfen den Ortskern von innen heraus zu stabilisieren und die sozialen Bindekräfte im Gebiet zu stärken.

Planerisches Leitbild ist der Rückbau auf die Siedlungsstruktur der vorindustriellen Ortslagen und eine Verzahnung der Ortskerne mit dem Landschaftsraum der Elbe, mit dem Ziel, den Südosten zu einem attraktiven, sowohl stadt- als auch naturnahen Wohnstandort zu entwickeln.

Das mehrfunktionale Freiflächenangebot im Ortskern soll Anlässe zur Begegnung in der Öffentlichkeit bieten und damit die Wohnfunktionen in den Nachbarschaften stärken. Gemeinschaftsrichtungen wie das Gröninger Bad, das ein wichtiger Anlaufpunkt für ältere Jugendliche und junge Erwachsene im Südosten ist, können einen Teil ihrer Aktivitäten, v.a. durch die Bühnennutzung in den Freiraum verlagern, so dass neue Synergien zwischen Einrichtungen und Freiraum entstehen.

Aspekte der generationen- und zielgruppenübergreifenden Nutzung

Der Nutzerkreis des Lesecafés, der auch die künftige Freiraumbibliothek mitnutzen soll, rekrutiert sich aus dem Stadtteil Salbke und aus dem gesamten Stadtgebiet. Ein großer Teil der Nutzer ist bereits im Rentenalter, aber auch zahlreiche Familien mit Kindern nutzen das Angebot des Lesecafés. Ein weiterer großer Teil der Leser ist geringfügig beschäftigt oder bezieht Hartz IV. Das Lesecafé wird als unbürokratische Bücherei geschätzt, in der ohne Nutzerregistrierung und ohne Terminierung der Ausleihdauer Bücher geliehen oder getauscht werden können.

Der Baustein mit dem größten zu erwartenden Generationen-Mix ist die Bühne auf der sowohl Grundschule, Bürgerverein, Kirchengemeinde und Aktion Musik e.V. Veranstaltungen durchführen möchten.

Von unterschiedlichen Generationen wurde auch das Vitrinensystem nachgefragt, das als "Info-Board" nachträglich in das Lesezeichenprogramm aufgenommen worden ist. Hier hat sich das modulare System des Lesezeichens bewährt, das Erweiterungsmöglichkeit für andere Nutzungen zulässt.

Inwieweit künftig die Einbeziehung der Jugendlichen, die sich bislang vor allem für den Einbau von Audio-Videoelementen im Freiraum eingesetzt haben, in die Benutzung des Lesezeichens gelingt, muss sich im weiteren Projektverlauf zeigen. Aus Sorge der Kommune vor Vandalismus und hohen Folgekosten werden die im Beteiligungsprozess gewünschte Audio/Video-Lounge und die MP3-Tankstelle nicht realisiert. Eventuell gelingt es, die Jugendlichen über den Betrieb der im Aufbau befindlichen internetgestützten Quartiersplattform weiter an das Projekt
zu binden.

Fokus Bauliche Lösungen: Eine Kultur-Infrastruktur als Türöffner für Begegnung

Im Ergebnis eines Beteiligungsprozesses mit Anwohnern unterschiedlichen Alters, Vereinen und lokalen Akteuren entsteht auf dem brachliegenden Dorfanger in Salbke ein neues kulturelles Ortszentrum im Freiraum. Das Modellvorhaben ist Ausgangspunkt für die Initiierung einer wachsenden Kultur-Infrastruktur in dem seit Jahren schrumpfenden und strukturschwachen Stadtteil. Aus der Mitte des Ortes entwickelt sich eine innovative Neunutzung des Freiraums, die nicht zuletzt Menschen motivieren soll, in die umgebenden Gebäude zu investieren und weitere markante Treffpunkte und Freiräume zu schaffen.

Als 24-Stunden-Stadtteil-Board konzipiert, dient das Lesezeichen als Nachbarschaftstreffpunkt und Weiterbildungseinrichtung und soll mit seiner Open-Air-Bücherei und -Bühne sowie mit Ausstellungsvitrinen von allen Bürgern und verschiedenen Einrichtungen der Gemeinde genutzt werden. In dem Betriebskonzept für die Bühne, das in Zusammenarbeit mit den Hauptakteuren
entwickelt wurde, zeichnet sich eine gute Mischnutzung ab, die vom Sommergottesdienst, über Lesungen bis zu Konzerten und einer monatlichen "Straßenmusik-Corner" in den Sommermonaten reicht.

In Ergänzung zu dem "Steinernen Platz" des Ortskerns, der über das Programm Soziale Stadt realisiert wird, entsteht entlang der Hauptstraße mit dem Bau des Stadtregals und der Bühne ein Ruheraum in dem ansonsten von Verkehrslärm geprägten Ortskern, der durch unterschiedliche Sitzmöglichkeiten und die verschiedenen Nutzungsangebote alle Generationen und Passanten anspricht.

Fokus Kooperation: Öffentlich-private Partner im Betrieb

Voraussetzung für das Gelingen ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und dem aktiven Bürgerverein, der künftig gemeinsam mit der Stadtverwaltung den Betrieb des Lesezeichens und Stadtregals in Salbke organisiert.

Nur wenn eine Stadtverwaltung ein offenes Ohr für die vielfältigen Ideen und Bedürfnisse der Bewohner hat, dann kann auch in schwierigen Situationen Kreativität entstehen. Dies zu erkennen, das Potenzial aufzugreifen und engagiert zu unterstützen ist eine wiederkehrende Herausforderung für Verwaltung und Akteure gleichermaßen.

Für die langfristige Absicherung der Freiflächennutzung auf der Programmfläche am Lesezeichen wurde die Programmfläche in kommunales Eigentum überführt. Die Pflege und Unterhaltung der Freifläche und der baulichen Anlagen verbleiben bei der Stadt. Nach schwierigen Verhandlungen bezüglich der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wird der Bürgerverein mit der Verwaltung eine Nutzungsvereinbarung zum Betrieb des Stadtregals und des Lesezeichens abschließen. Damit wird er zum Organisator des Betriebes der Vitrinen, Bücherausleihe und der Bühnennutzung.

Damit sind notwendige Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Programmfläche für das Lesezeichen langfristig nicht nur zur Verfügung steht sondern auch gepflegt und unterhalten wird. Gleichzeitig hat der Bürgerverein durch die Übernahme des Betriebs die Möglichkeit, gemeinsam mit den anderen Akteuren eigenverantwortlich Funktion und Inhalt des Lesezeichens zu definieren und zu organisieren, ohne dabei durch die finanzielle und arbeitsmäßige Belastung der Unterhaltungsaufgaben überfordert zu sein.

Die weiteren Kooperationspartner am Lesezeichen sind das Gröninger Bad und die Grundschule Salbke, die sich auch in der Betriebsbeschreibung zu weit reichenden Betriebs- und Nutzungsverpflichtungen bekannt haben.

Fokus Prozess: Die Bürgerbibliothek – eine Erfolgsgeschichte

Mit einem zweitägigen Bücherfest begann im Oktober 2005 der Prozess. Die verwilderte Brachfläche wurde testweise zunächst zur Freiluftbibliothek mit 1 500 gesammelten Büchern umfunktioniert. Anschließend fanden die Bücher in einem Gebäude am Platz ihr provisorisches Quartier. Mittlerweile sind es 20.000 Bände. Aus Platzgründen mussten bereits Außenstellen eingerichtet werden. Das fertige Lesezeichen wird ab 2009 durch ein außergewöhnliches Gestaltungsmerkmal bestechen. Aus dem Abriss eines Kaufhauses in Hamm – ein Bau des Architekten Egon Eiermann – konnten so genannte Eiermannkacheln erworben werden: Fassadenelemente, die für das Lesezeichen recycelt werden und den Wiedererkennungswert steigern. Bekannt ist das Projekt bereits weit über die Stadtgrenzen hinaus: Es ist Teil des deutschen Beitrags auf der Architektur-Biennale in Venedig.

Fokus Kommunikation: Quartiersplattform zur Vernetzung der Akteure

Die im Aufbau befindliche Quartiersplattform soll zukünftig das lokale Internetportal der Stadtteile Fermersleben, Salbke und Westerhüsen werden und allen in diesen Quartieren beheimateten Initiativen und Vereinen aber auch Unternehmen und Privatpersonen eine Plattform mit lokalem Bezug bieten. Die Quartiersplattform verstärkt die vorhandene Verzahnung des Leszeichens mit den Projekten und Themen der Sozialen Stadt. In Ihrer Funktion als Kommunikationsplattform für den Quartiersmanager erhält sie eine Bedeutung, die weit über den Projektkontext hinausweist.

Erfahrungen und Übertragbarkeit

In schwierigen stadträumlichen Lagen, die von Schrumpfung und Leerstand geprägt sind, könnensichtbare Zeichensetzungen im Freiraum eine Signalwirkung für die Quartiersentwicklung haben. Temporäre Installationen sind hilfreich als Türöffner und Motivationsschub, um kreative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Durch sichtbare Erfolge und intensive Einbindung in den Prozess können lokale Akteure, wie der Bürgerverein über sich hinaus wachsen einen wichtigen Teil von Verantwortung für den öffentlichen Raum übernehmen.

Gleichzeitig werden auch die Grenzen kommunalen Handelns deutlich, wenn es darum geht, angesichts der stadtweiten Rücknahme von Infrastruktur und der Reduzierung von Unterhaltungs- und Betriebskosten, politische Rückendeckung für ein "Leuchtturmprojekt" in einem schrumpfenden Quartier zu erhalten. Wegen der möglichen Folgenkosten in der Unterhaltung und im Betrieb sind daher experimentelle Ansätze zum Teil schwer umsetzbar.

Starke Kooperationen mit lokalen Akteuren und Sponsoring sind eine wichtige Basis, um dennoch Experimente gängig zu machen.

Weiterführende Informationen

Die Projektbeschreibung können Sie sich hier auch als barrierefreie PDF herunterladen.
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