Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Sangerhausen: Kumpel-Plätze

Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere - Modellvorhaben

Angaben zum Projekt
KontaktMarion Rohland
MitBürger e.V. Sangerhausen
Tel: +49 3464 279396

http://www.kumpelplatz.de
ProjekttypNeue Freiräume in schrumpfenden Quartieren
NutzflächeKumpelplätze:
Westsiedlung 790 m²,
Othaler Weg 1 170 m²
EigentümerStädtische Wohnungsbau GmbH Sangerhausen – SWG; Wohnungsbaugenossenschaft Sangerhausen e. G. – WGS
KooperationspartnerMitBürger e. V., Stadt Sangerhausen/Bauamt
AkteureMitBürger e. V.; Stadt Sangerhausen/Bauamt; Bürgergruppe "Am Bergmann"; Bürgergruppe "Am Rosengarten"; Städtische Wohnungsbau GmbH Sangerhausen; Wohnungsbaugenossenschaft Sangerhausen e. G.
PlanungLandschaftsarchitekturbüro Därr, Halle; Bildhauerin Susanne Ahner, Berlin)
ModerationMitBürger e.V.; Stadt- und Landschaftsplaner Stephan Westermann, Berlin

Kontext

Die Kreisstadt Sangerhausen im südlichen Sachsen-Anhalt erlebt als ehemalige Bergbaustadt einen drastischen sozialen Wandel (Wegzug, Arbeitslosigkeit, erodierende Nachbarschaften). Das Entstehen neuer Freiräume in Folge des Stadtumbaus wird begleitet durch eine "Sinnkrise" etablierter öffentlicher und halböffentlicher Räume.

Die Projektidee lehnt sich an die alte Bergbautradition der Region an, die bis 1990 ein wichtiger Wirtschaftszweig war. Mit dem Projekt sollen zum Einen die Diskrepanzen zwischen immer mehr älteren und immer weniger jüngeren Quartiersbewohnern, zum Anderen die Kluft zwischen dem Gestaltungsbedarf des wachsenden Freiflächenangebotes und den rückläufigen finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand und der Eigentümer überwunden werden.

In zwei vom Stadtumbau geprägten Wohnquartieren sind auf einer "neuen" Stadtbrache und einer "vergessenen" Grünfläche jeweils ein "Kumpel-Platz" entstanden, an dem sich die Bürger der Quartiere wieder treffen und austauschen, verweilen und Kontakte knüpfen können. Im Jahr 2007 wurde der erste Platz im Zentrum der Westsiedlung baulich abgeschlossen. Der zweite Platz wurde nachgeordnet entwickelt, um die Erfahrungen aus dem Planungsprozess des ersten Platzes gleich praktisch anwenden zu können. Der zweite Platz wurde im Oktober 2008 eröffnet.

Angaben zum Quartier
EinwohnerStadt: 30.600
Westsiedlung: k.A.
Othaler Weg: 2.300
Lage Innenstadtrand, Stadtrand
Quartierstyp/Baualter

Westsiedlung: 1950er Jahre,
Denkmalensemble

Othaler Weg: Plattenbauten 1980er Jahre

SozialdatenWestsiedlung / Orhaler Weg
< 18 Jahre 24 % / 20 %
> 65 Jahre 24 % / 11 %
Arbeitslosenrate 23 % / k.A.

Konzept

Initiator der Kumpel-Plätze ist der MitBürger e.V., eine Initiative zur Gründung einer regionalen Bürgerstiftung für Sangerhausen. Getragen wird das Projekt von einer Kooperation zwischen Wohnungsunternehmen, Stadtverwaltung und Bürgerverein. Dem Projekt liegen die Fragen zu Grunde, wie Bewohner in einem schwierigen Quartierskontext zur Mitwirkung an der Gestaltung ihres Wohnumfeldes aktiviert werden können und wie der Gedanke des bürgerschaftlichen Engagements nachhaltig in den Köpfen der Menschen etabliert werden kann.

Um die Identifikation zu fördern, sollte die Gestalt und die Nutzung des Platzes maßgeblich von den Anwohnern selber erarbeitet und bestimmt werden. Gegenstand der Projektarbeit war unter der Überschrift "Begegnung von Kunst, Freiflächengestaltung und Bürgerengagement" die Gestaltung und Aufstellung von gemeinsam geschaffenen Kunst- und Begegnungsobjekten, die dauerhaft die Plätze prägen sollen.

Der Prozess der Ideenfindung für die Platzgestaltung wurde durch eine Künstlerin und einen Landschaftsarchitekten begleitet, um sicherzustellen, dass eine umsetzbare, aber auch ästhetisch-konzeptionell anspruchsvolle Gestaltung entsteht. Bei der Umsetzung sollte die Arbeit professioneller lokaler Firmen weistestmöglich durch Eigenleistung der Anwohner ergänzt werden.

Eine Koordinierungsstelle begleitete und moderierte den gesamten Prozess. Durch sie erfolgte die Bürgeransprache und Motivation, die Gruppenbildung und Hilfestellung in der Stadtteilgruppenarbeit. Außerdem baute sie die Kooperation mit der Verwaltung, der Wohnungswirtschaft, mit Non Profit Organisationen und Unternehmen auf.

Finanzierung

Die Plätze wurden über die ExWoSt-Förderung finanziert. Die Projektpartner aus der Stadtverwaltung, der Wohnungswirtschaft und die Bürgerschaft unterstützten das Projekt im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Eigenleistung, logistisch bzw. mit besonderen Mietkonditionen, z.B. für Arbeitsräume etc.

Wechselbeziehungen Wohnen – Freiräume – Gemeinschaftseinrichtungen

Die Aneignung öffentlich nutzbarer Räume in den Kumpel-Platz Quartieren soll dazu beitragen, die durch Wegzüge und Arbeitslosigkeit erodierten nachbarschaftlichen Beziehungen zu beleben. Davon wird eine direkte Beruhigung der hohen Fluktuation in den Quartieren erwartet.

Der erste Kumpel-Platz entstand im denkmalgeschützten Zentrum der, in den 1950er Jahren errichteten, Westsiedlung. Die Platzfläche ist Bestandteil des zentralen begrünten Freiraums, der den Eigentümern der jeweils angrenzenden Wohngebäude gehört. Ein großes Hemmnis für die Akzeptanz der Freiraumentwicklung bei den Bewohnern war der Leerstand und der Sanierungsstau in den Nachbarschaften des Kumpelplatzes. Synergieeffekte sind mit der bereits begonnenen Gebäudesanierung und der Schaffung von Mehrgenerationenangeboten im Rahmen der IBA Stadtumbau 2010 zu erwarten.

Der zweite Kumpel-Platz befindet sich in der Siedlung Othaler Weg. Die Siedlung wurde mit ursprünglich gut 2 100 Wohnungen in industrieller Plattenbauweise in den 1980er Jahren in stadträumlich isolierter Lage, aber mit einer kompletten Infrastrukturausstattung errichtet. Die ursprünglich als vorteilhaft angesehene direkte Nachbarschaft des neuen Kumpel-Platzes zum Pflegeheim und zum Jugendclub hat sich, zumindest im bisherigen Prozess, als nicht zentral erwiesen. Im laufenden Betrieb des Kumpel-Platzes wird aber nach wie vor auf mögliche Wechselbeziehungen zu den beiden Einrichtungen gebaut. Positive Synergien werden sich jedoch aus der Initiative der Grundstückseigentümerin ergeben, die durch die Planung des Kumpel-Platzes ausgelöst wurde. Aufgrund des großen Engagements der Bewohnerschaft wird die Wohnungsbaugenossenschaft Sangerhausen einen Begegnungspavillon in direkter Nachbarschaft des Platzes bauen. Die Synergien reichen von der Erweiterung des Nutzungsspektrums in der Kombination Haus und Freiraum, über die Klärung der Toilettenfrage bis zum Aspekt der "Platz-Betreuung" und sozialen Kontrolle. Die Bürgergruppe der MitBürger e.V. sowie der Verein P3 haben dauerhaftes Nutzungsinteresse angemeldet, so dass der Pavillon mit Büroräumen ergänzt wird. Die Initiative der Genossenschaft führte darüber hinaus zur Wiederbelebung des als "ruhend" bezeichneten Fördergebietes Othaler Weg im Bund-Länder-Programm Soziale Stadt.

Aspekte der generationen- und zielgruppenübergreifenden Nutzung

In der baulichen Platzausgestaltung des Kumpel-Platzes in der Westsiedlung erklärten gerade die älteren Bürger das Anliegen der Kinder zu ihrem eigenen. Auch die Vorschläge der Schüler und Lehrer wurden vor allem durch die älteren Aktiven positiv aufgenommen und in den Platzentwurf integriert. Das scheinbare Manko einer durch die ältere Generation dominierten Gruppe von Aktiven wurde gemildert durch deren selbst definierte Anwaltsrolle gegenüber den geäußerten Interessen anderer. Urspünglich sollte die intensive Beteiligung der Bürgerschaft auch die bauliche Umsetzung einbeziehen. Dieser Ansatz musste jedoch im Prozess aufgegeben werden, da dies zu einer Überforderung der Projektgruppe geführt hätte.

Am zweiten Kumpel-Platz im Wohnquartier Othaler Weg nahm die für den Entwurf verantwortlich zeichnende Anwohnergruppe ihre altersstrukturelle Mischung als Besonderheit wahr und erhob die Realisierung altersübergreifender Angebote auf dem Kumpel-Platz zum Gestaltprinzip und eigenem Anspruch. So wurde ganz bewusst auf klassische Spielplatzangebote verzichtet und das Thema Spiel für verschiedene Altersgruppen berücksichtigt. Die Freiraumelemente können von allen Altersgruppen genutzt werden. Der Platz wurde entsprechend der Bürgerwünsche komplett barrierefrei gestaltet und die Toilettenanlage des benachbarten Begegnungspavillons erhielt einen Außenzugang.

Der sehr spezielle Anspruch der Jugendlichen eine Dirtbahn anzulegen, ließ sich mit Rücksichtnahme auf die Wohnnachbarschaften der Othaler Siedung weder auf noch im Nahbereich des Kumpel-Platzes realisieren. Dieser Nutzungskonflikt führte zu der Idee, die Dirtbahn in einer Mitmachbaustelle mit den Jugendlichen und anderen Interessierten in räumlicher Nähe, aber am Wohngebietsrand auf einer geeigneten Fläche anzulegen.

Fokus Bauliche Lösungen: Durch Gestaltung Identifikation fördern

In Begleitung einer Künstlerin und eines Landschaftsplaners erarbeiteten die Bewohner in beiden Quartieren in eigener Regie realisierbare Planungsideen. In der denkmalgeschützten Westsiedlung entwickelten die Bürger als markantes Gestaltungsmerkmal das Sichtbarmachen der unterirdisch verlaufenden Grubengänge. Der Riss vom Thomas-Müntzer-Schacht findet sich als Leitmotiv im Muster der Pflasterung des Platzes und als grafisches Motiv auf mobilen Sonnenschirmen wieder, die bei Bedarf an unterschiedlichen Standorten aufgestellt werden können. In einer versenkbaren unterirdischen Lade – der so genannten Bergmannslade – werden Geschichten über die Entstehung des Ortes in Folge des Bergbaus, Erinnerungen, Stimmungen und das Selbstbild der jetzigen Bewohner gelagert. Durch Anwohner und Interessierte soll die Lade jährlich am 9. September, dem Jahrestag der Aufnahme der Kupferförderung im Thomas-Müntzer-Schacht gehoben und die Geschichte des Platzes und Quartiers fortgeschrieben werden. Der Lauf der Zeit, die den Berg zur Geschichte hat werden lassen, wird durch eine Sonnenuhr auf dem Platz symbolisiert. Weitere Platzelemente sind Bänke, Sitz- und Spielbalken und ein Balancierseil.

Der zweite Kumpel-Platz ist auf Identifikation mit dem Quartier Othaler Weg ausgerichtet. Die Gestaltung folgt den Motiven "Ankommen" für das Zuhausesein im Wohnquartier Othaler Weg und "Balance" für den ausgewogenen Umgang aller Bürger miteinander. Ein Schiff als zentrales Gestaltungselement symbolisiert dieses Ankommen. Die Herausforderung, ein Balance zwischen den Einzelideen im Gestaltungsprozess des Platzes herzustellen bzw. der Austarierung einer Balance zwischen den sich vorher fremden Einzelakteuren der Gruppe wurde zum Gestaltthema "Balance halten". Zentrales Element ist eine betretbare Scheibe, die durch mehrere Personen in eine Balance gebracht werden kann. Dieses "Balancespiel" kann von zwei "Sitztribünen", die Bug und Heck des Schiffes darstellen, beobachtet werden. Vom Schiff gehen Bodenwellen in das Grundstück über, auf denen sich Findlinge als Sitzsteine befinden. Unmittelbar am Pavillon entstand ein Bodenschachspiel als generationsübergreifendes Freiraumelement. Die Figuren können dann im künftigen Nachbarschaftszentrum am Platz ausgeliehen werden.

Fokus Kooperationen: Gemeinsam gestalten, pflegen und nutzen

Ideegeber und Initiator des Modellvorhabens ist der Bürgerverein. Doch zur kreativen Gestaltung und nachhaltigen Nutzung ist vor allem die Initiative der Bewohner gefragt und das Zusammenspiel von Verein, Eigentümern und Stadt gefordert. MitBürger e. V., Grundstückseigentümer und Stadtverwaltung haben sich vertraglich zur gemeinsamen Pflege und "Bespielung" des ersten Kumpel-Platzes verpflichtet. Dieses Modell für eine kooperative Pflege und einen gemeinsamen Platzbetrieb ist auch Vorbild für den zweiten Platz am Othaler Weg.

Die dortige Wohnungsbaugenossenschaft Sangerhausen hat den Anstoß aufgenommen und plante den Bau eines Pavillons für gemeinschaftliche Nutzungen. Der schnell sichtbare Erfolg bürgerschaftlichen Engagements motivierte die Bewohner, sich auch über das Modellvorhaben hinaus zu engagieren. Die Bürgergruppe Othaler Weg entwickelte Ideen für die Nutzung des Pavillons und organisierte einen Nachbarschaftsdienst für ältere Menschen im Stadtquartier.

Die Beteiligung der Wohnungsbaugenossenschaft an dem Verfahren eröffnete dem Unternehmen ein neues Aktivitätsfeld, das sich mit seinen Geschäftszielen deckt. Von selbst erklärter anfänglicher Skepsis wandelte sich die Rolle des Unternehmens zu der treibenden Kraft am Standort.

Fokus Prozess: Aktivierung und Beteiligung – Hemmnisse und Lösungen

Die Ausgangssituation für die Aktivierung der Bewohner in den beiden Quartieren war schwierig: Durch den geringen Sanierungsstandard der Wohngebäude und den strukturellen Wandel ist die Fluktuation in der Bewohnerschaft hoch. Erschwerend wirkten vor allem die geringe Verbundenheit und das niedrige Bildungsniveau vieler Bewohner.

Die negativen Erfahrungen mit der gruppenübergreifenden Aktivierung und Beteiligung am ersten Kumpel-Platz wurden die jeweiligen Zielgruppen am zweiten Kumpel-Platz separat angesprochen. Die einzelnen Zielgruppen konnten gut über vorbereitete "Multiplikatorentreffs" erreicht werden, die mit Unterstützung ortsansässiger Gemeinweseneinrichtungen organisiert wurden. Hier wurden sie dazu motiviert, ihre Vorstellungen in Arbeitsgruppen weiter zu konkretisieren. Die Zusammenführung der Gruppen erfolgte in einer gemeinsamen Gestaltungswerkstatt, in der die verschiedenen Ideen der Arbeitsgruppen anhand von Skizzen, Plänen und Modellen vorgestellt und diskutiert wurden. Das gemeinsame Ergebnis wurde dann von einer Kerngruppe weiterentwickelt. Dabei glückte es nicht, dass sich diese Kerngruppe aus Teilnehmern verschiedener Vor- und Zielgruppen mischte. Von den Initiatoren wurde dies damit begründet, dass die Motivation der Kinder, jungen Jugendlichen und Senioren zu abstrakt und die der Mountainbiker zu speziell war, um sich auf die Dynamik der Anwohnergruppe und einen neuen Prozess einzulassen.

Von zentraler Bedeutung für den Beteiligungserfolg ist die externe Moderation und Organisation des Prozesses. Die Kumpel-Plätze bestätigen die nicht neue Erkenntnis, dass Bürgerbeteiligung, über das Maß des Baugesetzbuches hinaus, eigene Ressourcen braucht und bindet und – kein Selbstläufer ist.

Erfahrungen und Übertragbarkeit

Das Projekt Kumpel-Plätze, zeigt, dass es auch unter schwierigen Rahmenbedingungen gelingen kann, Bürger für die Gestaltung ihres Wohnumfeldes zu motivieren und dass partizipative Freiraumplanung ein stabilisierendes Element im Stadtumbau darstellt. Wichtige Aspekte der bürgerschaftlichen Gestaltung sind:

  • Für die Bürgeraktivierung Multiplikatoren einbeziehen
  • Wohnungswirtschaft als Partner gewinnen
  • Bürgerarbeit Zeit geben und die Konzeptfindung als gemeinsamen Lernprozess begreifen
  • Begabungen und Qualifikationen nutzen
  • Öffentlichkeit durch "Events" und Projektmarketing schaffen
  • Externe Moderation einbeziehen
  • Win-Win-Situationen herausstellen
  • Sachzwänge kommunizieren
  • Überführung von Freiräumen in ehrenamtliche Betreuung vorbereiten

Weiterführende Informationen

Die Projektbeschreibung können Sie sich hier auch als barrierefreie PDF herunterladen.
Download (PDF, 301 KB, Datei ist barrierefrei/ barrierearm)

Alle Modellvorhaben des Projekts

Liste der Modellvorhaben

Zugehörige Projekte

Diese Seite