Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere

Veranstaltungsdokumentation

Auftaktveranstaltung am 20. September 2007 im Radialsystem V in Berlin

Der interdisziplinäre Forschungsansatz mit den Themenschwerpunkten Wohnen, Gemeinschaftseinrichtungen und Urbane Freiräume spiegelte sich in der Zusammensetzung der 300 Teilnehmer wider: Neben zahlreichen Vertretern aus Politik und Verbänden waren Vertreter von Universitäten und Forschungsinstituten, Verwaltungsvertreter, Vertreter der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, von Stiftungen, gemeinnützigen Trägern sowie Planungsbüros unterschiedlicher Fachrichtungen anwesend. Etwa ein Drittel der Teilnehmerzahl stellten Projektträger und Akteure der 27 Modellvorhaben und der Fallstudien.

Thema: Stadtquartiere für Jung und Alt

Mit einer Einführung in das Thema "Leben in der Stadt" eröffnete der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung MdB Achim Großmann die Veranstaltung und lud die Fachöffentlichkeit dazu ein, an dem offenen Diskussionsprozess zur Gestaltung familien- und altengerechter Stadtquartiere teilzunehmen. Anschließend umriss Prof. Dr. Walter Siebel (Universität Oldenburg) neue Ansprüche, die eine ganzheitliche Gestaltung der Stadtquartiere für Stadtplanung, Architektur und Wohnungsbau vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nach sich ziehen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Expertinnen und Experten aus Forschung, Ländervertretung, Wohnungswirtschaft und Planung wurden unter Moderation von Prof. Undine Giseke (TU Berlin) zentrale Fragen zur Stärkung der Innenstädte für Jung und Alt diskutiert. Neben der Bedeutung des demografischen Wandels und der proportionalen Alterung der Gesellschaft für die städtischen Lebenswelten in den Stadtquartieren wurde auch die Frage nach innovativen Lösungen für die Schaffung lebenswerter Stadtquartiere erörtert. Deutlich wurde dabei, dass es keine Patentlösungen gibt, sondern immer auf den Ort zugeschnittene Strategien entwickelt werden müssen. Eine gemeinsame Klammer aller Projekte ist die frühzeitige und aktive Einbeziehung der Bewohner und Akteure im Quartier.

Das Forschungsfeld und seine Modellvorhaben

Der Nachmittag war der Vorstellung des Forschungsfeldes sowie einzelner Modellvorhaben gewidmet. Dr. Manfred Fuhrich vom BBR beschrieb die Zielsetzung und die Interessen des Bundes in dem neuen Forschungsfeld. Mit einem Bericht aus dem Labor der Modellvorhaben gaben die Vertreter der mit der Begleitforschung beauftragten drei Büros plan zwei, bgmr und empirica erste Einblicke in die Projekte aus den Themenfeldern Gemeinschaftseinrichtungen im Quartier, Urbane Freiräume und Wohnen in Nachbarschaften von Jung und Alt.

Dr. Klaus Habermnann-Nieße (plan zwei Stadtplanung und Architektur) berichtete aus dem Themenfeld "Gemeinschaftseinrichtungen - Umbau sozialer Infrastruktur". Der Einblick in das Labor der Modellvorhaben zeigt, dass sich eine vielfältige Kultur von Gemeinschaftseinrichtungen im Bundesgebiet etabliert hat. Der Umbau kirchlicher Einrichtungen oder die Erweiterung von Kindereinrichtungen zu Mehrgenerationenhäusern spiegelt den gesellschaftlichen Wandel wieder, gleichzeitig finden sich in vielen Stadtquartieren private Initiativen und Wohnungsunternehmen, die, unterstützt von den Kommunen, durch die Aktivierung der Nachbarschaft und den Umbau von Nachbarschaftseinrichtungen deutlich machen, dass sich Stadtteile mit besonderem Engagement lokaler Akteure stabilisieren lassen.

Dr. Carlo W. Becker (bgmr Landschaftsarchitekten) zeigte die Notwendigkeit eines erweiterten Planungsverständnisses für urbane Freiräume im Stadtquartier auf. Über den Diskussions- und Beteiligungsprozess an Freiraumprojekten bringen sich die Bewohner ein, lernen sich kennen, identifizieren sich mit dem Projekt und sind bereit Verantwortung für den öffentlichen Raum und ihr Stadtquartier zu übernehmen. Eine Planungskultur, die die Quartiere stärkt, muss frühzeitig einsetzen, Schlüsselpersonen mit Multiplikationswirkung einbinden und durch professionelle Planer und Koordinatoren unterstützt werden.

Dr. Marie-Therese Krings-Heckemeier (empirica Qualitative Markforschung, Stadt- und Strukturforschung GmbH) zeigte anhand von drei Modellvorhaben erste Erfolge auf, die auf andere Projekte übertragbar sind: Das Modellvorhaben Heidenheim macht deutlich, dass neben den baulichen Angeboten für alle Generationen ebenfalls Unterstützungsstrukturen geschaffen werden müssen, die sowohl ein freiwilliges Füreinander, organisierte Nachbarschaftshilfe als auch professionelle Dienstleistungen bieten. Das Modellvorhaben Oberhausen steht als Beispiel dafür, dass bei der Integration bestimmter Zielgruppen (z.B. Migranten) die Bedarfe im Planungsprozess sehr konkret abgefragt werden müssen. Das intensive Beteiligungsverfahren in Oberhausen hat dazu geführt, dass nachfragegerechte Angebote im Quartier realisiert werden. Ludwigshafen steht beispielhaft für eine altengerechte Umstrukturierung im Bestand (Hochhaus der 1970er Jahre). Der Erfolg ist vor allem die Zusammenarbeit des Wohnungsunternehmens mit Pflegedienstanbietern, die Einbindung von Nachfragern/Mietern und der Aufbau von Netzwerken.

Innenansichten aus den Themenfeldern

Aus den drei Themenfeldern präsentierte sich im Anschluss je ein Modellvorhaben mit Innenansichten aus den Beispielkommunen. Der Vortrag "Vorhandene Infrastruktur mit neuem Leben füllen - Bürgerinnen nehmen´s in die Hand" von Herrn Joachim Boll von startklar.projekt.kommunikation für das Modellvorhaben HELLGA in Düsseldorf und der Vortrag "Nauener Platz - Den öffentlichen Raum fit machen für den demografischen Wandel" vom Baustadtrat Ephraim Gothe des Bezirksamtes Mitte von Berlin zeigten auf, vor welchen Herausforderungen die Kommunen stehen und welche Strategien eingesetzt werden, um die vorhandene Infrastruktur an die gewandelten Anforderungen im Stadtquartier anzupassen. Herr Boll hob in seinem Vortrag die positiven Effekte für das Stadtquartier hervor, wenn es gelingt, aktives bürgerschaftliches Engagement für den Aufbau eines Stadtteilzentrums wie in Düsseldorf Garath-Hellerdorf zu nutzen und zu verstetigen. Herr Gothe betonte u.a. die Bedeutung und Synergien einer übergreifenden Kooperation zwischen den Ressorts (Grün und Soziales) im Rahmen umfangreicher Beteiligungsverfahren am Nauener Platz. Stadtbaurat Wolfgang Zwafelink beschrieb mit seinem Vortrag "Generationsübergreifendes Wohnen! Universal Design - ein Weg?" einen neuen Ansatz, den die Stadt Braunschweig mit dem Modellvorhaben St. Leonhards Garten beschreitet, um neues städtischen Wohnen zu gestalten, das von vornherein eine flexible, einfache und intuitive Nutzung von Wohn- und Freiraum gewährleistet.

Visionen, Stolpersteine und Lösungsansätze

In einer Interviewrunde mit Akteuren aus den Modellvorhaben diskutierte Prof. Ulla Luther (BTU Cottbus) Visionen, Stolpersteine und Lösungsansätze in den unterschiedlichen Projekten. In Sonneberg und Offenburg standen die Herausforderungen und Akteurskonstellationen bei der Planung und Realisierung von Gemeinschaftseinrichtungen in einer Plattenbausiedlung mit instabilen Nachbarschaften bzw. im innerstädtischen Kontext im Mittelpunkt der Berichterstattung und Diskussion.

Sonnenberg steht beispielhaft dafür, dass Initiativen (z.B. Kirchengemeinden) erfolgreich in einem Quartier sein können, wenn sie früh den Kontakt zur Stadt/Verwaltung suchen. Offenburg zeigt, wie eine Kommune den strategischen Ausbau von Gemeinschaftseinrichtungen als Element der positiven Entwicklung ihrer Stadtquartiere betreiben kann. Es wurde durch beide Modellvorhaben deutlich, dass die ressortübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung (Bündelung der knappen Mittel) sowie die Einbeziehung unterschiedlicher Akteursgruppen wichtige Bausteine für den Erfolg der Projekte darstellen. Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Etablierung der Gemeinschaftseinrichtungen im Quartier ist die Offenheit für vielseitige Bedarfe (unterschiedliche Zielgruppen und Träger) in der Nachbarschaft.

In Magdeburg und Leipzig wurde danach gefragt, wie es gelingt, in schrumpfenden Stadtquartieren die Nachbarschaften durch neue Angebote im öffentlichen Freiraum und Wohnumfeld zu stärken. Beide Projekte sind positive Beispiele für neue Angebote im Freiraum, die über die klassische Grünflächennutzung hinausgehen, so wird in Magdeburg wird eine Buchausleihe im Freiraum ermöglicht. Die Projekte werden durch eine erfolgreiche Beteiligung der Bewohner begleitet, und in beiden Fällen wurden die Ideen für den Freiraum vor der Realisierungsphase von den Bewohnern "provisorisch" getestet bzw. auf Nachfragegerechtigkeit geprüft. Im Fall Magdeburg konnte über eine kreative Idee die geplante Freiraumbibliothek simuliert werden (Getränkekisten).

Frau Grundmann, Anwohnerin aus Leipzig-Grünau, stellte sehr anschaulich dar, welche Schwierigkeiten, aber auch welche Identifikationswirkung mit der Entwicklung und Umsetzung einer generationenübergreifenden Freiraumgestaltung verbunden sein kann. In Leipzig ist die Bewohnerbeteiligung deshalb gelungen, weil sich die Bewohner von Prozessbeginn an kritisch zu den Planungen vom Wohnungsunternehmen äußern und Veränderungen vorschlagen durften. Dadurch, dass von Bewohnern getragene Projekte umgesetzt werden, identifizieren sie sich mit der Freifläche und fühlen sich in der Verantwortung für den neuen öffentlichen Raum (z.B. Pflege und Konfliktlösungen).

Beispielhaft stellte die Vertreterin und der Vertreter der Modellvorhaben Kassel und Lübbenau Wohnlösungen und Dienstleistungen vor, die dazu beitragen sollen, alten Menschen möglichst einen langen Verbleib im vertrauten Stadtquartier zu ermöglichen und sozial stabile Familien an die Quartiere zu binden bzw. neue anzuziehen. Diese beiden Modellvorhaben zeigen, dass Umstrukturierungen im Bestand alleine nicht ausreichen, um generationenübergreifende Nachbarschaften zu initiieren. Obwohl eine Bandbreite von Wohnformen in Kassel und auch Lübbenau realisiert wird (altengerechte Wohnungen, Pflegewohnungen, familiengerechte Grundrissveränderungen, ergänzende Einfamilienhäuser, Mehrgenerationenhäuser) ist eine zusätzliche Steuerung von Seiten des Wohnungsunternehmens insbesondere im Hinblick auf ergänzende Dienstleistungen und informelle Nachbarschaftshilfe notwendig. Deutlich wurde auch, dass diese Steuerung für einen langfristigen Zeitraum erforderlich ist, um stabile Strukturen aufzubauen.

Perspektiven

Zum Abschuss der Fachtagung betonte Dr. Ulrich Hatzfeld vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung noch einmal den experimentellen Charakter des Forschungsfeldes, der auch in vielen Strategieansätzen der Modellvorhaben zum Tragen kommt. Gleichwohl wies er darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen für die Gestaltung familien- und altengerechter Stadtquartiere nicht kurzfristig verändern lassen und rief zu einem anhaltenden Diskurs auf, um das Thema noch stärker in das Bewusstsein der Politik und in die fachöffentliche Diskussion zu bringen. Hierzu sollen auch die Ergebnisse der 27 Modellvorhaben und die Auswertung der Erfahrungen von 30 Fallstudien beitragen. Richtungsweisende Lösungsansätze werden auch von den Projekten erwartet, die den Einsatz neuer Technologien für attraktive Stadtquartiere erproben und hierfür eine Projektzuwendung erhalten werden. In der weiteren Perspektive ist vorgesehen den Referenzrahmen zu erweitern, in dem ein Gutachten vergeben wird, das quartiersbezogene Ansätze im europäischen Ausland dokumentiert, die die Nachbarschaft stützen und das Zusammenleben der Generationen fördern.

In der Gesamtheit wurde die Fachtagung als gelungener und motivierender Auftakt für das mit hohen Erwartungen verbundene Forschungsthema bewertet. Das Radialsystem V, ein Gebäude dessen Funktion sich mit den geänderten städtischen Anforderungen zu einem Kulturort gewandelt hat, wurde von vielen Teilnehmern als Tagungsort mit einer inspirierenden Atmosphäre angesehen. 

Vorträge der Fachtagung

"Leben in der Stadt"
Vortrag MdB Achim Großmann
Download (PDF, 64 KB, Datei ist nicht barrierefrei)

"Städte für alle Generationen"
Vortrag Prof. Dr. Walter Siebel
Download (PDF, 92 KB, Datei ist barrierefrei/ barrierearm)

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