Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Gartenstadt 21 – ein neues Leitbild für die Stadtentwicklung in verdichteten Ballungsräumen – Vision oder Utopie?

Ergebnisse

Analysephase

Seit dem Erscheinen der Schriften von Ebenezer Howard wird der Begriff der "Gartenstadt" von Kommunen und Bauträgern gleichermaßen benutzt, um neue Projekte zu vermarkten, ohne dass diese zwingend Ideen der von Howard konzipierten Gartenstadt aufgreifen. Gleichzeitig gibt es Projekte der Stadtentwicklung die – obwohl sie nicht den Namen Gartenstadt tragen – viele gartenstädtische Aspekte berücksichtigen. Anhand von 13 historischen und aktuellen Stadtentwicklungsprojekten wurde untersucht, ob und wie die baulich-räumliche, ökonomische und gesellschaftliche Ansätze Howards umgesetzt wurden.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Modell der Gartenstadt seit seiner Entstehung Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder vor dem Hintergrund des jeweiligen städtebaulichen Zeitgeistes neu interpretiert wurde. Eine gesamtheitliche Berücksichtigung der Prinzipien einer Gartenstadt nach Howard wurde jedoch kaum erreicht. Hingegen lassen sich insbesondere bei jüngeren Projekten der Stadtentwicklung, bei denen neue grüne und urbane Quartiere entstehen sollen, die Prinzipien der Gartenstadt in vielerlei Hinsicht erkennen. Dies gilt neben städtebaulichen Aspekten auch für neue Formen des Zusammenlebens, der Teilhabe und die Begleitung durch kooperative Planungs- und Realisierungsprozesse.


10 Thesen zur Gartenstadt 21

Ausgehend von den Erkenntnissen aus der Analysephase sind im Gespräch mit Fachexperten zehn Thesen zu einer Neuinterpretation des Gartenstadtgedankens entwickelt worden, die prozesshafte und funktionale Qualitäten einer nachhaltigen Stadtentwicklung im Sinne einer "Gartenstadt21 Grün-Urban-Vernetzt" beschreiben:

  1. Die Gartenstadt21 ist durch gemeinschaftliche Organisations- und Finanzierungsmodelle geprägt, welche ihre Entwicklung und dauerhafte Pflege sicherstellen.
  2. Die Gartenstadt21 ermöglicht anpassungs- und tragfähige Modelle der allgemeinen Mitwirkung und Teilhabe zu entwickeln und zu verstetigen.
  3. Die Gartenstadt21 bewirkt eine Qualifizierung und Vernetzung vorhandener Siedlungs- und Freiraumstrukturen in der Großstadtregion.
  4. Die Gartenstadt21 verfügt über stadträumliche Qualitäten, bei denen eine hohe bauliche Dichte und öffentliche Freiräume in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
  5. Die Gartenstadt21 bietet eine attraktive "Grüne Infrastruktur", im Sinne von differenzierten öffentlichen Freiräumen mit unterschiedlichen Funktionen.
  6. Die Gartenstadt21 ist klimaangepasst und energieoptimiert.
  7. Die Gartenstadt21 bietet vielfältige bezahlbare Wohnangebote für verschiedene soziale Gruppen.
  8. Die Gartenstadt21 berücksichtigt neue Formen des Arbeitens sowie die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft gleichermaßen.
  9. Die Gartenstadt21 verfügt über verschiedene öffentliche und soziale Einrichtungen für Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft.
  10. Die Gartenstadt21 ist durch ein vernetztes Mobilitätsangebot geprägt und trägt hierdurch zu einer Reduzierung der Verkehrsbelastung bei.

Download der Thesen zur "Gartenstadt 21 grün – urban – vernetzt"
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Zukunftslabor

Um diese Thesen in konkrete Visionen für die Stadt von morgen zu überführen, hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) nach einem bundesweiten Auswahlverfahren die folgenden drei interdisziplinären Teams zur Teilnahme an einem Zukunftslabor eingeladen:

  • Team yellowz, urbanista, ARGUS, lad+ mit BU Wuppertal und FHNW Basel (Oliver Bormann, Julian Petrin, Martin Diekmann, Christian Scheler, Guido Spars, Andreas Nütten)
  • Team cityförster, freiwurf, landinsicht (Martin Sobota, Sanna Richter, Börries von Detten, Anke Schmidt, Liesa Schroeder)
  • Team TOPOTEK 1, HHF Architekten, Transsolar, Hoffmann-Leichter (Francesca Vernier, Simon Frommenwiler, Christian Frenzel, Matthias Richter, Celine Baumann)

Die Aufgabe der Teams bestand darin, gut kommunizierbare Bilder und Konzepte zu erarbeiten, die die Grundlage für einen breiten Diskurs über neue gesellschaftliche und baulich-räumliche Entwicklungsansätze für verdichtete Ballungsräume bilden können.

Das ZUKUNFTSLABOR fand vom 6. bis 8. September in der Bremer Überseestadt statt.

Verschiedene Fachexperten vertieften im Rahmen von Impulsvorträgen aktuelle Herausforderungen der Stadtentwicklung in Ballungsräumen und zeigten konkrete prozessuale und innovative Lösungsansätze auf. Im Vordergrund standen die Themen: Entwicklung der grünen Infrastruktur, Einflussnahme auf den Bodenmarkt, Kooperation zwischen Akteuren des Wohnungsmarkts, Teilhabe sowie Entwicklungstendenzen und aktuelle Ansätze des Arbeitens in der Stadt.

Die Vorträge finden sich in der Sonderpublikation "Gartenstadt21 Grün-Urban-Vernetzt, Band 2: Ein Modell der nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung".
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Während des Zukunftslabors entwickelten die drei Teams jeweils für einen der drei Raumtypen Visionen für die Gartenstadt21: "Metrozone", "Zwischenstadt" und "Stadtrand". Die Ergebnisse bestätigten die These, dass es sich bei der Gartenstadt21 um ein Modell handelt, dem auch heute noch trotz oder gerade wegen neuer Herausforderungen wieder eine hohe Bedeutung zukommen kann. Neue Prozesse und Methoden in der Stadtentwicklung – insbesondere neue Instrumente des Umgangs mit Grund und Boden –, die Vernetzung der verschiedenen Funktionen, die Rolle von Grün- und Freiräumen für die Lebensqualität sowie die Einbeziehung informeller Prozesse und die vorausschauende Berücksichtigung möglicher zukünftiger Anforderungen sind auch heute wichtige Themen in der Stadtentwicklung.

Dabei wurde deutlich, dass das Modell der Gartenstadt21 keinesfalls nur große, funktionsgemischte Neubausiedlungen am Rande großer Ballungsräume umfasst, sondern vor allem die Transformation monofunktionaler oder zersiedelter Stadt- und Landschaftsräume in den Fokus nimmt. Die Grün- und Freiflächen bilden das Rückgrat, die Quartiere werden mit sozialen, funktionalen, ökologischen oder ökonomischen Qualitäten angereichert und im Sinne der vorliegenden zehn Thesen weiterentwickelt.

Um die Gartenstadt21 umzusetzen, entwickelte das "Team Zwischenstadt" (yellowz, urbanista, ARGUS, lad+ mit Andreas Nütten und Guido Spars) die Idee eines deutschlandweit aufgelegten Fonds, der frei werdende Grundstücke erwirbt und für die Stadtentwicklung vorbereitet. Dieser Fonds dient dazu, zumeist unterentwickelten oder brachliegenden Boden zu erwerben und zu halten. "Gespeist wird der Fonds aus freiwilligen Einzahlungen Privater im Rahmen ihrer Altersvorsorge (dritte Säule der Vorsorge). Die Anteilseigner sparen in diesem Fonds ihre Altersvorsorge an, die sie sich dann zum Zeitpunkt des Renteneintritts als Gesamtsumme oder in monatlichen Rentenzahlungen wieder auszahlen lassen können. […] Der vom Fonds erworbene Boden wird vorbreitet oder erschlossen und entweder über Erbpachtverträge an Bauwillige verpachtet oder auch verkauft. Der Fonds erwirtschaftet die notwendige Rendite aus den regelmäßigen Erbpachtzahlungen der Pächter, aus den Wertzuwächsen der angekauften Grundstücke (durch Planung, Infrastruktur etc.) und aus zwischenzeitlichen Verkäufen von Liegenschaften an interessierte Käufer."

Für das "Team Stadtrand" (cityförster, freiwurf, landinsicht) liegt die zentrale Rolle der Entwicklung einer multifunktionalen Gartenstadt21 bei einer "Stadtrandagentur" und engagierten Schlüsselakteuren. Die Agentur hat die Aufgabe, "Kraftfelder" der Stadtentwicklung zu identifizieren, an denen die Entwicklung der Gartenstadt ansetzen kann. Schlüsselakteure der Stadtentwicklung können "das Zustandekommen einer Gartenstadt befördern […], nicht nur indem sie Grund und Boden bereitstellen, Finanzen einsetzen, bauliche Hüllen produzieren. Es braucht auch jene, die durch ihr persönliches Aktivwerden am Ort zum Aufbau einer Ortsidentität beitragen." Dazu gilt es "jene für den Prozess zu gewinnen, die schon dort wohnen, arbeiten oder sich erholen. Stadt weiterbauen berührt immer auch deren Interessen. Es geht nicht einfach darum, Akzeptanz bei diesen Personen zu wecken, sondern auch nach deren Interessen zu fragen. […] Zu alledem bedarf es umfassender Recherche-, Informationsarbeit und vieler Konsultationen, Beratungen."

Das "Team Metrozone" (TOPOTEK 1, HHF Architekten, Transsolar, Hoffmann-Leichter) sieht in den Landschaftsräumen der Metrozone das zentrale Potenzial für die Entwicklung de Gartenstadt21. Diese bilden das grüne Rückgrat der Gartenstadt 21. "Fest umrissene etablierte Erholungsräume wie Waldstücke oder Friedhöfe bleiben in ihrem Bestand als fixe Elemente des Grüngürtels gewahrt. Hauptinterventionsbedarf besteht in den Grünräumen, die sich zwischen den einzelnen Siedlungsbereichen befinden. Sie werden sukzessive funktional qualifiziert und übernehmen wichtige Aufgaben bei der Entwicklung der Metrozone. […] Ziel ist die Ausbildung eines funktional differenzierten Grüngürtels, der die heterogenen Siedlungsbereiche miteinander verbindet und unterschiedliche räumliche Qualitäten und Identitäten aufweist. […] Die Grünbereiche dringen in die Siedlungsräume ein und verzahnen sich mit diesen."

Fazit des Zukunftslabors

Die Untersuchung und die Ergebnisse des Zukunftslabors haben bestätigt, dass der Geisteshaltung und den Prinzipien der Gartenstadt auch heute – trotz oder gerade wegen der vielfältigen und komplexen Herausforderungen der aktuellen Stadtentwicklung – wieder eine hohe Bedeutung zukommen kann.

Die Beiträge für eine Neuinterpretation des Gartenstadtgedankens im Sinne der Gartenstadt21 grün-urban-vernetzt machen ebenfalls deutlich, dass dies nicht nur für große, funktionsgemischte Neubausiedlungen am Rande großer Ballungsräume relevant ist. Es gilt vor allem auch für die Transformation monofunktionaler oder zersiedelter Stadt- und Landschaftsräume. Stadtumbau, Stadtergänzung und Stadterweiterung stehen dabei nicht als Alternativen nebeneinander, sondern bilden in der Gartenstadt21 eine Einheit. Vorhandene Quartiere werden mit sozialen, funktionalen, ökologischen oder ökonomischen Qualitäten angereichert und weiterentwickelt.

Dazu bedarf es nicht nur einer proaktiven Bodenpolitik der öffentlichen Hand sowie entsprechender Finanzierungsinstrumente, sondern auch vielfältiger neuer Organisationsstrukturen. Dabei sind Teilhabe, Partizipation und neue Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens bestimmende Wesensmerkmale. Die durch die Teams genannten und für die Entwicklung einer Gartenstadt21 zu berücksichtigenden Aspekte und Vorschläge fasst die nachstehende Grafik zusammen.

Fachveranstaltung Gartenstadt21 Grün-Urban-Vernetzt

Während der von rund 100 Akteuren aus Wissenschaft, Verwaltung und Planungspraxis besuchten Fachveranstaltung wurden die Ergebnisse des Zukunftslabors öffentlich präsentiert und die wesentlichen Aspekte der historischen Gartenstadt sowie aktuelle Ansätze einer Stadtentwicklung im Sinne der Gartenstadt21 vorgestellt.

Beispielsweise besitzt die kommunale Bodenpolitik in der Landeshauptstadt München bereits eine gewisse Tradition. Diese umfasst die Nutzung planungsbedingter Wertsteigerungen, den Zwischenerwerb von Grundstücken sowie eine Grundstücksvergabe nach Verkehrswert, in Abhängigkeit vom vorgelegten Konzept. Dadurch werden neue Baugebiete auf ehemals städtischen Grundstücken größtenteils durch kommunale Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und Baugemeinschaften entwickelt.

Eine wichtige Rolle für die Herstellung neuer Qualitäten im Quartier und die Gewährleistung finanzieller Teilhabe spielt die Übernahme von Immobilien durch gemeinnützige Akteure. Grund und Boden wird dadurch von spekulativen Interessen gesichert. Ein reduzierter Erbbauzins für gemeinnützige Einrichtungen kann eine fördernde Rolle spielen.

Abschließend wurden in einer lebendigen Runde von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen, den Teilnehmern des Zukunftslabors und dem Publikum diskutiert, was getan werden kann, um das Modell einer Gartenstadt21 umzusetzen.

Zentrales Ergebnis dieser Debatte war, dass eine Gartenstadt21 entsprechend der räumlichen Ausgangssituation immer wieder neu gedacht werden muss. "Die Gartenstadt ist kein finaler Zustand, sondern verändert sich immer wieder und muss durch Prozesse begleitet werden, die dauerhaft moderiert, begleitet und von Beginn an in die städtebauliche Entwicklung implementiert werden. Es muss eine Form von Institutionalisierung geben. Dafür brauchen die Kommunen Unterstützung" (Bastian Wahler-Żak vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)).

Weitestgehend Konsens bestand auch hinsichtlich der vorliegenden zehn Thesen, die die einzelnen Aspekte einer zeitgemäßen qualitätvollen Stadtentwicklung richtig wiedergeben. Ob jedoch der Begriff der Gartenstadt21 angemessen ist, wurde sehr unterschiedlich beurteilt.


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