Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Aufbau von dualen Netzwerkinfrastrukturen für Senioren (Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz)

Innovative Projekte zur Regionalentwicklung - Infrastruktur und demographischer Wandel

Die Vernetzung regionaler Kompetenzen und die Verknüpfung von Ehrenamt und Professionellen standen im Mittelpunkt des Projektes. Dies sind angesichts der altersbedingten Anpassung der Infrastruktur im ländlichen Raum sowie des zunehmenden Bedarfs älterer Menschen nach mehr Kommunikation und Information wichtige Herausforderungen.

Neben der Etablierung eines realen Netzwerkes für Senioren sowie insbesondere der Erarbeitung eines Leitbildes (mittlerweile vom Kreistag beschlossen) wurden eine Website als Informations- und Kommunikationsplattform (virtuelles Netzwerk) entwickelt und eingerichtet sowie Öffentlichkeit und Politik sensibilisiert. Ein Kernstück der Umsetzung bezüglich der Versorgungssituation in den Gemeinden ist der Aufbau einer regionalen Koordinationsstelle für die Belange der Seniorinnen und Senioren und der Ausbau von kommunalen Nachbarschaftshilfen durch bürgerschaftliches Engagement.

Chancen organisierter Nachbarschaftshilfe

Entscheidend für den Projekterfolg war eine prozessorientierte Vorgehensweise, mit der die nötigen Maßnahmen und Projekte erst Schritt für Schritt entwickelt werden und nicht von vornherein über die Beteiligten "übergestülpt" werden. Durch die Leitbildentwicklung und den parallel dazu stattfindenden Netzwerkaufbau wurden die Öffentlichkeit und die politische Ebene sensibilisiert, was für eine große Akzeptanz gesorgt hat, wie der einstimmige Kreistagsbeschluss zur Annahme des Leitbildes als mittelfristige Handlungsstrategie zeigt.

Wie die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen, brauchen Altenhilfekonzepte in kleinen Gemeinden einen eigenen Ansatz, weil Fachwissen über Angebote und Möglichkeiten oft nur in begrenztem Umfang vor Ort vorhanden ist. Gleichzeitig ist meist der örtliche Bedarf für Einrichtungen der Altenhilfe (zum Beispiel für Pflegeheime) zu gering, um auf der Ebene der Einzelgemeinde wirtschaftlich rentable Betriebsgrößen zu erreichen.

Andererseits sind viele Bürger bereit, sich sozial zu engagieren. Dieses unschätzbare Engagement muss durch ein individuelles Konzept gefördert und in die Planung eingebunden werden. Dabei besteht Handlungsbedarf insbesondere in Anbetracht

  • der lokal unterschiedlich gelagerten Ausstattung des Hilfesystems im ländlichen Raum,
  • der mangelnden Abstimmung von Teilsystemen,
  • der unzureichenden Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Senioren.

Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass für die weitere effiziente Arbeit eine Koordinationsstelle notwendig ist, die als treibende Kraft die Initiierung von Projekten, die Pflege der Netzwerke und die Informationsweitergabe als regionalen Service umsetzt. Die bestehenden (kommunalen) Stellen können diese Aufgaben nicht übernehmen, zumal sie mit den Pflichtaufgaben beim Vollzug der Gesetze bei einem dünnen Personalbesatz mehr als ausgelastet sind.

Vor allem im Bereich der Seniorenarbeit kann der Aufbau von bürgergesellschaftlich organisierter Nachbarschaftshilfe Ansatzpunkte für die Entwicklung eines neuen bürgerschaftlichen Engagements auch jenseits der etablierten Ehrenamtlichkeit schaffen. Das Projekt Nachbarschaftshilfe ("soziale Feuerwehr") kann als praxisnahes Versorgungsmodell auf kommunaler Ebene betrachtet werden, durch das, gesellschaftlich betrachtet, Kosten verhindert bzw. gesenkt werden. Die Akzeptanz dieser Form der ehrenamtlichen Arbeit ist darüber hinaus auf allen Ebenen in Politik und Gesellschaft groß.

Aus der Sicht der wissenschaftlichen Begleitforschung lassen sich die mit dem Modellprojekt gewonnenen Lösungsansätze zur Weiterentwicklung der Strukturen der Altenhilfe folgende Schlüsse ziehen:

  • Die gesammelten Erfahrungen belegen, dass eine systematisch angelegte Kooperation und Vernetzung von verschiedenen Leistungsanbietern auf Landkreis- ebenso wie auf kommunaler Ebene Synergien schafft, die zu qualitativ besseren Leistungen bei einem rationelleren Ressourceneinsatz führen. Erfolg versprechend sind solche Ansätze, die darauf abzielen, vorhandene Kooperationsstrukturen schrittweise zu lokalen Qualitätsnetzwerken wie den Nachbarschaftshilfen auszubauen.
  • Diese lokalen Vernetzungen bedürfen allerdings, wie im Leitbild angelegt, einer "übergeordneten" Dachstruktur, da viele Arbeiten nicht ausschließlich in ehrenamtlicher Tätigkeit wahrgenommen werden können.
  • Die Abstimmung und Ausarbeitung eines Leistungsangebots sollte ebenso wie die Verbesserung der Steuerung mit dem Ziel einer regionalen Vernetzung von Bürgern, Einrichtungen und Kommunen und den damit erhofften Synergien, in überschaubaren Strukturen erfolgen. Dadurch können engagierte Bürger besser miteinander kooperieren und dabei die erforderlichen Hilfen für die Klienten unmittelbar abstimmen.
  • Konkrete Leistungen lassen sich in komplexen Verbünden viel schwerer realisieren und sind, wie mit der Verabschiedung des Seniorenleitbildes im Kreisrat geschehen, eher als regionales Entwicklungsziel zu betrachten. Dabei ist zu beachten, dass auf regionaler Ebene ein Mindeststandard an Personal die Durchführung von gemeinsam abgestimmten Aufgaben organisiert und koordiniert.
  • Die Netzwerkkoordination sollte aus Gründen der Legitimation und der Anerkennung in den Händen einer lokalen Moderation, Planung und Steuerung liegen. Die Zuständigkeit hierfür kann sowohl bei der Kommune als auch bei einer kirchlichen oder ehrenamtlich tätigen Einrichtung liegen. Das ist notwendig, weil diese vor Ort über das entsprechende Potenzial und die Erfahrung verfügt und bei den Akteuren anerkannt ist. Entscheidend ist, dass die Instanz neutral gegenüber den verschiedenen Einzelinteressen insbesondere der Leistungsanbieter agiert sowie über ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz verfügt. Die Vernetzung mit den politischen und administrativen Entscheidungsträgern sollte sichergestellt sein.

Mobilisierung ehrenamtlichen Engagements als Zukunftsinvestition

Die genannten strukturellen Ansätze sollten durch gemeinwesenorientierte Altenarbeit im lokalen Umfeld, vor allem durch Hilfs- und Kommunikationsangebote in Form von Nachbarschaftshilfen auf kommunaler Ebenen ergänzt werden. Träger können beispielsweise Kirchengemeinden sein, die aufgrund ihrer sozialen Verankerung und ihrer besonderen Kompetenz und Erfahrung für diese Aufgabe geradezu prädestiniert erscheinen.

  • Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse des Modellprojekts besteht im Nachweis, dass es möglich ist, durch Mobilisierung von ehrenamtlichem Engagement eine stabile und dauerhafte Möglichkeit zur Betreuung und Unterstützung von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen zu schaffen. Die Tätigkeit von freiwilligen HelferInnen entlastet die Angehörigen und hat im Vergleich zur professionell erbrachten Pflegeleistung ihre eigene soziale Qualität.
  • Die Mobilisierung von bürgerschaftlichem Engagement stellt eine echte Erweiterung der bestehenden Hilfeangebote dar und steht im besten Sinne des Wortes für eine "neue Kultur des Helfens". Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die freiwilligen Helfer hinreichend qualifiziert, kontinuierlich begleitet und "belohnt" werden. Hierfür ist es erforderlich, eine quasiprofessionelle Betreuungs- und Unterstützungsinfrastruktur.

Projektträger des Modellvorhabens war der Landkreis Neumarkt i.d.OPf. Ansprechpartner im BBR war Martin Spangenberg.

Alle Modellvorhaben des Projekts

Liste der Modellvorhaben

Zugehörige Projekte

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