Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Die Zukunft der europäischen Zusammenarbeit in der Raumentwicklung

Ergebnisse

1. Einordnung der europäischen territorialen Zusammenarbeit und Raumentwicklung in den breiteren Kontext der Raumentwicklung

Arbeitspaket 1 verfolgte die folgenden Ziele:

  1. Die Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Synergien der verschiedenen Politikfelder (unter anderem Europa 2020, EU-Regionalpolitik, europäische Raumentwicklungspolitik) aufzuzeigen, und
  2. die politischen Rahmenbedingungen für die Gestaltung territorialer Zusammenarbeit und Raumentwicklungspolitik ab 2020 zusammenzufassen.

2. Identifizierung möglicher Schwerpunkte der europäischen Raumentwicklung unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Vergleichende Analyse: raumordnerische Leitbilder in Europa

Im Zuge der Bearbeitung des zweiten Arbeitspakets wertete das Projektteam nationale und transnationale raumordnerische Leitbilder und Visionen aus. Dabei standen weniger die inhaltlichen Schwerpunkte, sondern die Frage nach Governance-Prozessen und der Koordination der Raumordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie deren Wirkungen auf sektorale Fachpolitiken im Vordergrund. Aus der Analyse geht hervor, dass zwar fast alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union über ein nationales raumordnerisches Leitbild oder eine raumordnerische Vision verfügen, sich deren inhaltliche und methodische Ansätze sowie rechtliche Verbindlichkeiten in den letzten zehn Jahren jedoch immer weiter diversifiziert haben. So haben die osteuropäischen Länder weitestgehend eine Entwicklung im Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung und Koordination hin zu integrierten Ansätzen und Leitbildern auf nationaler Ebene einen Nachholprozess vollzogen. In den westeuropäischen Ländern fand hingegen ein Trend zu einer Delegation von raumordnerischen Kompetenzen auf die subnationale, regionale oder gar kommunale Ebene statt. Defizite gibt es nach wie vor bei der wirkungsvollen Umsetzung von raumordnerischen Ansätzen in sektoralen Politiken. Unter diesen Umständen und der derzeitigen politischen Lage in Europa dürfte es schwierig sein, gemeinsame und verbindliche Leitbilder in der Raumordnung zu erarbeiten. Eine wesentlich höhere Dynamik in der Zusammenarbeit besteht jedoch für kleinere europäische Teilräume. Bilaterale Abstimmungen sowie gemeinsame grenzübergreifende, raumordnerische Leitbilder wurden in der Vergangenheit sowohl auf Projektebene als auch auf Basis informeller Gremien weiterentwickelt und institutionalisiert.

Vergleichende Analyse: Die Rolle der Raumordnung im Rahmen der EU-Regionalpolitik

In einem weiteren Teil des zweiten Arbeitspakets stellte sich die Frage nach der Verknüpfung zwischen der Raumordnung und der europäischen Regionalpolitik. Die übergeordnete Frage lautet, inwiefern sich räumliche Ansätze in der laufenden EU-Förderperiode 2014–2020 durchgesetzt haben und inwiefern in der Regionalpolitik auf raumordnerische Leitbilder zurückgegriffen wurde. Die Beantwortung der Fragen erfolgte über eine Auswertung von Studien, Interviews, ausgewählten Partnerschaftsvereinbarungen und Praxisbeispielen aus den EU-Mitgliedstaaten. Die Analyse ergab, dass im Vergleich zur vorherigen Förderperiode 2007-2013 insbesondere konzeptionelle Stadt-Umland-Strategien und stadtregionale Förderkonzepte über eine rein städtische Dimension hinaus erweitert wurden. Neue Instrumente wie ITI und CLLD ermöglichen europaweit die Entwicklung von räumlich verankerten Förderkonzepten durch integrierte Ansätze. Das Ergebnis: Die räumlichen Ansätze haben zwar in der laufenden Förderperiode bei der Strategieerstellung an Bedeutung gewonnen, ihre Wirkungen werden aber häufig durch komplexe und langwierige Umsetzungsmechanismen limitiert. Die vorliegenden Verordnungsvorschläge von Mai 2018 weisen jedoch eine weitere Kontinuität dieser Förderstrategien in der Zukunft hin. Entscheidend ist dabei der Dialog mit den EFRE-Verwaltungsbehörden gerade bei der Erstellung der Partnerschaftsvereinbarungen, damit die räumliche Dimension auch in der neuen Strukturfondsperiode gestärkt werden kann.

Aufbereitung verschiedener Politikszenarien für die Stärkung der europäischen Raumentwicklung

Der Schwerpunkt in diesem Leistungsbaustein lag auf der Bewertung von möglichen Governance- und Politikansätzen, durch die der Prozess der Erarbeitung zukünftiger Leitbilder der europäischen Raumentwicklung und ihre Umsetzung gestärkt werden könnten. Die möglichen Ansätze, die in diesem Bericht analysiert wurden sind:

  1. Leitbilder der europäischen Raumentwicklung, die entweder top-down durch die Europäische Kommission oder bottom-up durch die Addition nationaler räumlicher Leitbilder der Mitgliedstaaten erarbeitet werden
  2. Leitbilder der Makroregionen
  3. Territoriale Kohäsion als Teil der formellen Kohäsionspolitik
  4. Weiterführung der interministeriellen Zusammenarbeit in der Raumentwicklung
  5. Anknüpfung an raumrelevante EU Fachpolitiken mit transnationalem Koordinationsanspruch

Im derzeitigen politischen Kontext sind einige dieser Szenarien erfolgversprechender als andere. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die europäische Raumentwicklung am wirkungsvollsten durch eine Kombination verschiedener Ansätze gestärkt werden kann. Dies bedeutet für europäische Raumplaner, dass in Zukunft mehr Aufmerksamkeit auf Governance- und Kommunikations-Ansätze in diesen Foren gelegt werden sollte.

Potenziale und Herausforderungen des neuen Rechtsinstrumentes zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus Sicht deutscher Grenzregionen

Ein weiterer Schwerpunkt des zweiten Arbeitspakets war die Analyse des Prozesses zur Erarbeitung eines neuen EU Rechtsinstruments zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, und eine erste Bewertung der Potenziale und Herausforderungen dieses Ansatzes durch Akteure der deutschen Grenzregionen. Am 16. Januar 2018 fand in Berlin dazu ein Arbeitstreffen mit Praktikerinnen und Praktikern der kommunalen Ebene statt. Der Workshop griff den Vorschlag der luxemburgischen Präsidentschaft auf, die Möglichkeiten für eine neue Verordnung zu einer "European Cross-border Convention on specific provisions in cross-border regions (ECBC)" zu überprüfen. Die eingeladenen deutschen kommunaler Vorhabenträger diskutierten, welche Ansätze hilfreich wären, um Hindernisse bei der Planung und Umsetzung komplexer grenzüberschreitender Projekte der Raumplanung zu beseitigen. Die Analyse erlaubt eine bessere Einschätzung und Bewertung der politischen und rechtlichen Diskussion zur Verbesserung der Bedingungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

3. Empfehlungen zur Zukunft von Interreg

Die Ableitung von Empfehlungen für die Diskussion über die Zukunft von Interreg beruht auf den Ergebnissen von drei Untersuchungsschritten:

  • Analyse der Entwicklung der transnationalen Zusammenarbeit seit 1996
  • Bewertung der neuen Ausrichtung der transnationalen Zusammenarbeit in der laufenden Förderperiode 2014-2020
  • Herausarbeitung des Alleinstellungsmerkmals von Interreg B gegenüber anderen EU-Förderprogrammen

Im Fokus der Untersuchung stand die transnationale Zusammenarbeit (Interreg B), insbesondere hinsichtlich der Kooperationsräume mit deutscher Beteiligung. Andere Ausrichtungen von Interreg, wie z.B. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Interreg A), wurden nur berücksichtigt, soweit sie für die transnationale Zusammenarbeit von Bedeutung waren. Grundsätzlich lag der Schwerpunkt auf inhaltlichen bzw. strategischen Fragen und nicht auf administrativen Herausforderungen der Projektabwicklung und Fragen einer möglichen Verfahrensvereinfachung.

Analyse der Entwicklung der transnationalen Zusammenarbeit seit 1996

Die Analyse der bisherigen Interreg-Programmgenerationen zeigt, in welchen Schritten sich der Schwerpunkt der transnationalen Zusammenarbeit im Rahmen von Interreg B seit 1997 von der Raumentwicklung (und der anfänglichen Ausrichtung auf Akteure der Raumentwicklung) auf die Ziele der Kohäsionspolitik – also auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Unterstützung wirtschaftlichen Wachstums – verlagert hat. Entsprechend werden inzwischen verstärkt Akteure der Wirtschaftsentwicklung angesprochen. Anstelle (raum-)spezifischer Fragen treten allgemeine (sektorale) Ziele und messbare Ergebnisse in den Vordergrund.

Bewertung der neuen Ausrichtung der transnationalen Zusammenarbeit in der laufenden Förderperiode 2014- 2020

Die unterschiedlichen Ansätze zur Umsetzung der Interreg-spezifischen Regeln und Vorgaben in den einzelnen Kooperationsräumen belegen, dass die Mitgliedstaaten die vorhandenen Handlungsspielräume bei der Ausgestaltung der transnationalen Kooperationsprogramme genutzt haben. Gleichzeitig haben sich die Erwartungen an transnationale Interreg-Projekte, ihre Ergebnisse und Auswirkungen verändert. Der Schwerpunkt hat sich von der Projektebene auf die Programmebene verlagert, und die Programmräume der transnationalen Kooperationsprogramme wurden als Aktionsbereiche für die EU-Kohäsionspolitik gestärkt.

Zugleich schwächt die unterschiedliche Herangehensweise in den einzelnen Kooperationsräumen jedoch das Profil von Interreg und erschwert die übergreifende Zusammenarbeit über Kooperationsräume hinweg. Daher sollte für zukünftige Förderzeiträume geprüft werden, ob eine stärkere Harmonisierung der Regularien und Vorschriften (einschließlich der Indikatoren) in allen Kooperationsprogrammen die Position der transnationalen Zusammenarbeit stärken könnte.

Herausarbeitung des Alleinstellungsmerkmals von Interreg B gegenüber anderen EU-Förderprogrammen

Interreg ist Teil der EU-Förderlandschaft, unterscheidet sich aber deutlich von anderen Förderprogrammen, wie z.B. Horizon 2020 oder LIFE. In diesem Untersuchungsschritt wurde entsprechend das Verhältnis von Interreg zum breiteren Kontext der EU-Förderprogramme bearbeitet. Ziel war es, den Mehrwehrt und die Alleinstellungsmerkmale der transnationalen Programme herauszuarbeiten. Im Ergebnis können die folgenden Elemente als zentrale Bestandteile von Interreg B identifiziert werden:

  • breite Vielfalt an Akteuren, thematischen Feldern und geförderten Aktivitäten, was die Umsetzung integrierter und sektorübergreifender Ansätze ermöglicht
  • Potenzial für ortsbezogene Ansätze (place-based approaches) und die Unterstützung von Bottom-up-Initiativen aufgrund der Programmverwaltung durch die Mitgliedstaaten
  • herausragendes Potenzial für die Aktivierung von Entscheidungsträgern

Rahmenbedingungen, die die Gestaltung der künftigen europäischen Zusammenarbeit beeinflussen können

Die zukünftige Entwicklung von Interreg ist durch eine Vielzahl an inneren (EU-Politik) und äußeren (globale und unvorhergesehene) Rahmenbedingungen gekoppelt, deren Auswirkung derzeit einer Vielzahl an Unsicherheitsfaktoren unterliegt. Zahlreiche Faktoren können sich auf die zukünftige Entwicklung von Interreg auswirken: Die sich verändernde Rolle der EU in der globalen Wirtschaft und Politik, die Veränderung von Fertigungsprozessen und Standortbedingungen, Migrationsströme, der demographische Wandel, aber auch der Brexit, ein zunehmender globaler Protektionismus und Rückbesinnung auf primäre nationalstaatliche Interessen sowie die weiterhin angespannte Situation in der Eurokrise.

Parallel dazu laufen die reguläre Debatte über die Zukunft der europäischen Strukturpolitik und die Verhandlungen um die Ausgestaltung des zukünftigen mehrjährigen Finanzrahmens. Sie gehen derzeit eng mit einer Debatte über die politische Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses einher. Der vorliegende Bericht analysiert globale, europäische und nationale Rahmenbedingungen und versucht Fragen sowie Thesen für eine weiterführende Debatte aufzugreifen. Er zeigt auf, welche Hemmnisse auf Interreg einwirken können, aber auch welche Chancen es für Interreg gibt, um sich weiterhin als Marke im europäischen Förderkanon zu profilieren.

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