Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Methodische Weiterentwicklungen der Erreichbarkeitsanalysen des BBSR

Ergebnisse

Neben einer Aufarbeitung des Status quo von Erreichbarkeitsanalysen in Forschung und Praxis wurden die drei Aspekte Straßennetzgrundlagen, Integration des Öffentlichen Verkehrs ins bestehende Modell und (relevante) Ziele vertieft untersucht.

In einem ersten Baustein wurden verschiedene digitale Verkehrsnetze analysiert, um zu ermitteln, ob, und wenn ja wie, das für die BBSR-Erreichbarkeitsanalysen benutzte digitale Straßennetz modifiziert oder sogar ausgetauscht werden sollte. Schwerpunkt dieses Bausteins war eine vergleichende Analyse unterschiedlicher Wege zur Generierung und Codierung realistischer Netzwiderstände auf den einzelnen Segmenten von Straßennetzen.

Realistische Netzwiderstände wurden durch eine vergleichende Analyse der verschiedenen Schätzverfahren und Datenquellen (einschl. Big Data) hinsichtlich der grundsätzlichen Eignung, des Aufwands und der jeweils resultierenden Reisezeiten und Erreichbarkeiten abgeleitet. Hierdurch konnten Aussagen getroffen werden, wie die bisherigen Netzwiderstände des BBSR-Modells modifiziert und ergänzt werden können.

Wie die Ermittlung von Reisezeiten des Öffentlichen Verkehrs, die bisher außerhalb des BBSR-Analyserahmens liegt, in das Erreichbarkeitsmodell integriert werden können, wurde in einem zweiten Baustein detaillierter untersucht und diskutiert. Hierzu wurden unterschiedliche konzeptionelle und technische Möglichkeiten präsentiert, die auf eine fahrplanscharfe Analyse von ÖV-Reisezeiten abzielen. Das Ergebnis ist eine implementierbare Lösung zur Integration eines ÖV-Moduls in das BBSR-Erreichbarkeitsmodell.

Der dritte vertiefende Baustein war den Zielen in den Erreichbarkeitsanalysen gewidmet. Dazu wurden nach raum-, verkehrs- und zeitstrukturellen Merkmalen Nutzerpräferenzen und das realisierte Zielwahl- und Verkehrsverhalten untersucht.

Anschließend wurden Relevanz und Definition einzelner Ziele für die Erreichbarkeitsmodellierung im Personen- sowie Wirtschafts- und Güterverkehr diskutiert. Eine zentrale methodische Frage war, unter welchen Bedingungen Ziele räumlich aggregiert werden können, wie mit räumlich besonders strukturierten Teilräumen umzugehen ist und wann in der Modellierung ein Zielort als erreicht eingestuft werden kann. Zudem wurden zutreffende Erreichbarkeitsmindeststandards und Schwellenwerte diskutiert.

Strategische Weiterentwicklung des BBSR-Erreichbarkeitsmodells

Die strategische Weiterentwicklung des Erreichbarkeitsmodells des BBSR kann nicht darauf abzielen, alle möglichen Aspekte von Erreichbarkeit abzubilden. Es muss nach wie vor die jeweilige raumordnungspolitische Fragestellung ausschlaggebend für Art und Umfang der Analysen sein. Zudem müssen mögliche Erweiterungen der Erreichbarkeitsanalysen des BBSR mittelfristig vor dem Hintergrund der bestehenden finanziellen und personellen Möglichkeiten umsetzbar sein. Gleichzeitig sollte die Kontinuität in dem bestehenden, umfangreichen Analysespektrum weitgehend gewahrt bleiben.

Die Erreichbarkeitsanalysen des BBSR waren bislang überwiegend auf die Pkw-Erreichbarkeit fokussiert und nur in geringem Umfang auf Erreichbarkeit im Öffentlichen Verkehr oder im Güter- und Warenverkehr. Auch der Erreichbarkeit von Standorten per Fuß und Fahrrad, sowie der Erreichbarkeit aus der Kombination verschiedener Verkehrsmittel wird eine zunehmende Bedeutung zugesprochen.

Dies würde für das Modell entsprechende Weiterentwicklungen zur besseren Integration verschiedener Verkehrsnetzgrundlagen erfordern. Hier ist zudem eine Verknüpfung des Nahversorgungsmodells des BBSR mit einem (kleinräumigen) Erreichbarkeitsmodell denkbar.

Erreichbarkeit kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Tagesstunde, Wochentag, Jahreszeit) aufgrund unterschiedlicher Verkehrsnetzbelastungen, ÖV-Angeboten oder Restriktionen bei den Zielen (z. B. Öffnungszeiten) sehr verschieden sein. Bislang steht im Mittelpunkt der Erreichbarkeitsanalysen des BBSR mit dem Pkw die Philosophie des "frei fließenden" Straßenverkehrs, welche aber nur in bestimmten Zeiten in der Realität vorkommt. Im ÖV wird Erreichbarkeit am Vormittag gemessen, also ebenfalls zu Zeiten mit vergleichsweise hohen Angeboten.

Hier sollte geprüft werden, ob die Erreichbarkeitsanalysen des BBSR mittel- bis langfristig für weitere Zeitfenster entwickelt werden können, um den realen Bedingungen zu entsprechen. Empfohlen werden die Abbildung unterschiedlicher Netzzustände im Straßenverkehr und eine flexible Berücksichtigung unterschiedlicher Ankunftszeiten im öffentlichen Verkehr.

Der Aufwand zur Raumüberwindung lässt sich nicht nur in Form von Reisezeit abbilden. Kosten spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle für die Wahl von Verkehrsmittel und Zielen. Kosten können in Form von tatsächlichen monetären Reisekosten oder zusammenfassend mit der monetär ausgedrückten Reisezeit als generalisierte Kosten in Erreichbarkeitsanalysen berücksichtigt werden. Selbst die Einbeziehung von ökologischen Kosten (z. B. CO2-Emissionen) wäre möglich. Zu prüfen wäre daher, bei welchen Arten von Erreichbarkeitsanalysen Reisezeiten durch Kosten zur Darstellung des Raumüberwindungsaufwands ersetzt werden können.

Es gibt eine Reihe von komplexen, analytisch wertvollen Erreichbarkeitsindikatoren jenseits der klassischen einfachen Reisezeitindikatoren. Entsprechende Analysen sind mit dem Erreichbarkeitsmodell des BBSR bereits jetzt teilweise möglich. Die komplexen Ergebnisse verständlich zu visualisieren, ist jedoch eine schwierige Aufgabe. Als Basis der BBSR-Erreichbarkeitsanalysen sollten daher weiterhin die klassischen Reisezeitindikatoren dienen, die allerdings durch komplexere Erreichbarkeitsindikatoren ergänzt werden können. Hier bieten sich insbesondere Erreichbarkeitsindikatoren vom Typ "Potenzialerreichbarkeit" an.

Ein fortentwickeltes BBSR-Erreichbarkeitsmodell könnte mehr Analysen ermöglichen, die über eine rein (uni-)modale Betrachtung hinausgehen. Durch die Kombination von Erreichbarkeitsanalysen unterschiedlicher Verkehrsarten könnten Aussagen wie beispielsweise zur jeweils schnellsten Verkehrsart oder aggregierte, multimodale Indikatoren ermöglicht werden. Die Einbeziehung intermodaler Wegeketten ist dabei eine weitere Herausforderung.

Das BBSR-Erreichbarkeitsmodell sollte für Maßnahmen- und vergleichende Bewertungen stärker genutzt werden, da reine Kosten-Nutzen-Analysen wenig über räumliche Prozesse und Effekte aussagen. Diese Analysen sollten nicht nur verkehrliche Maßnahmen, sondern auch Standortplanungen umfassen. Vergleichende Erreichbarkeitsanalysen über die Zeit, zwischen Verkehrsmitteln, zwischen unterschiedlichen Netzzuständen durch Planungsmaßnahmen sowie zwischen Städten und Regionen könnten zukünftig an Bedeutung gewinnen.

Es wurde aufgezeigt, dass es viele neuartige und frei zugängliche, potenzielle Datenquellen (Open Data) für Verkehrsnetze und Zielaktivitäten gibt, deren Nutzbarkeit für die Erreichbarkeitsmodellierung dargestellt wurde. Gleichzeitig sind die Ergebnisse der BBSR-Erreichbarkeitsanalysen für viele Akteure wichtig. Daher sollten die Ergebnisse der systematischen, laufenden Erreichbarkeitsbeobachtung des BBSR, beispielsweise durch online verfügbare Visualisierungstools, besser nutzbar gemacht werden.

Technische Weiterentwicklung der Erreichbarkeitsmodellierung des BBSR

Hinsichtlich der technischen Weiterentwicklung der Erreichbarkeitsmodellierung des BBSR werden die folgenden Schritte prioritär empfohlen:

Bei der Ermittlung der minimalen Reisezeiten im Individualverkehr sollten Zeitaufschläge die auftretenden Auf- und Abrüstzeiten (z. B. Weg zum abgestellten Pkw, Ausfahrt aus Garage, Parksuchzeit, Abstellen des Fahrzeugs am Ziel etc.) berücksichtigen. Entsprechende Zeitaufschläge bilden die Pkw-Erreichbarkeit realistischer ab und ermöglichen eine bessere Vergleichbarkeit der Reisezeiten mit dem Pkw und ÖV.

Zur Routenberechnung sollten die Quellen und Ziele mit dem Verkehrsgraphen über virtuelle Anbindungskanten verknüpft werden. Den virtuellen Anbindungskanten sollten Raumüberwindungswiderstände für den Zugang bzw. Abgang zugewiesen werden. Auch dies ermöglicht neben einer realistischeren Abbildung der Erreichbarkeitsverhältnisse eine bessere Vergleichbarkeit der Reisezeiten mit dem Pkw und ÖV.

Für eine flächenhafte Abbildung der Erreichbarkeitsverhältnisse sollte zur Bildung von Isochronen ein Verfahren angewendet werden, das in den Zwischenräumen der Verkehrsgraphen ausgehend von den Netzknoten zu Reisezeitaufschlägen führt. Damit würde eine realistische Gesamtreisezeit für die Punkte in der Fläche zwischen den Netzknoten ausgegeben.

Zentrale Orte als Ziele (des Personen- und Güter- und Warenverkehrs) sollten räumlich präzise definiert und durch Zielflächen abgebildet werden. Wird die definierte Zielfläche erreicht, gilt der Zentrale Ort als erreicht. Mittelfristig sollten Zentrale Orte innergemeindlich ausdifferenziert werden.

Die verfügbaren Optionen zur Attributierung von Fahrgeschwindigkeiten sollten in Bezug auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Neben der kurzfristigen Korrektur auffälliger Attributierungen sollte als mittelfristig zu realisierende Option die Geschwindigkeitsattributierung mittels weiterer Strecken- und Siedlungsstrukturinformationen regelbasiert verfeinert werden. Eine streckengenaue Attributierung mithilfe gemessener Geschwindigkeiten auf der Basis von Big Data-Quellen, wie in diesem Bericht dargelegt, kann aufgrund des Aufwands nur langfristig erfolgen.

In das BBSR-Erreichbarkeitsmodell sollten unterschiedliche Varianten des Straßennetzzustands (z. B. unbelastetes, normal belastetes oder extrem belastetes Netz) integriert werden. Dies erlaubt die Erreichbarkeitsmodellierung für unterschiedliche Zeiträume.

Zur Integration von digitalen Fahrplandaten in das BBSR-Erreichbarkeitsmodell und zur Berechnung bundesweiter ÖV-Reisezeitenmatrizen durch das BBSR sollte die Entwicklung und der Einsatz einer inhouse-Spezialsoftware forciert werden, die den Anforderungen einer flexiblen Nutzung von ÖV-Daten zur Modellierung der Erreichbarkeit im öffentlichen Verkehr erlaubt.

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