Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 06.04.2022 Digitale Gerechtigkeit in der Smart City

Ein Strategie- und Analyserahmen für kommunale Digitalisierungsstrategien

Mit der Entwicklung einer digitalen Daseinsvorsorge entsteht auf kommunaler Ebene die Herausforderung, die Digitalisierung nicht nur technisch voranzutreiben, sondern ein eigenes Verständnis digitaler Gerechtigkeit zu entwickeln.

Das große Versprechen: Teilhabe an der Digitalisierung in Stadt und Region

Das Ziel der Smart City umfasst nicht nur die optimierte Vernetzung kommunaler Infrastrukturen oder die Digitalisierung von Daten. Sie birgt darüber hinaus das Versprechen einer verbesserten gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern. Die mittlerweile über 70 vom Bund als Modellprojekte Smart Cities geförderten Kommunen, Kreise und interkommunalen Verbünde haben daher Themen der Partizipation sowie der digitalen Teilhabe und Gerechtigkeit fest in ihrer eigenen DNA verankert.

Strategie und Forschungsbedarf: Digitale Gerechtigkeit als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge

Dies lässt jedoch die Frage aufkommen, woran Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Digitalisierungs- und Smart-City-Prozessen überhaupt teilhaben sollen, wie eine solche Teilhabe ermöglicht wird und wer an solchen Prozessen der Digitalisierung von Stadt und Region überhaupt teilnimmt. Welche sozialen Milieus werden durch solche Angebote zur Teilhabe erreicht und in Projekte und Planungsverfahren eingebunden?

Es ist überraschend, dass zu diesen einfachen Fragen bisher nur wenige Forschungsarbeiten und Handlungsanleitungen für Kommunen vorliegen. Zwar gibt es bereits gute Kenntnisse über den technischen Ausstattungsgrad und die Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Netze bei Bürgerinnen und Bürgern. Auch bieten viele Kommunen bereits vielfältige Förderansätze zur Teilhabe und Inklusion sozialer Gruppen am Prozess der Digitalisierung an. Eine Systematisierung dieser vielzähligen Ansätze im Rahmen eines übergreifenden Verständnisses digitaler Gerechtigkeit im Rahmen einer kommunalen Daseinsvorsorge steht jedoch noch aus. Neben einem konzeptionellen Defizit besteht empirischer Forschungsbedarf insbesondere zu der Frage, mit welchen Zielen, Handlungsprofilen und Ambitionsgraden Smart Cities ihren (Selbst-)Anspruch digitaler Teilhabe und Partizipation planen, umsetzen oder evaluieren.

Rahmenkonzept Strategie und Forschung: Vier Dimensionen digitaler Gerechtigkeit

Ein Vorschlag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) unterscheidet vier inhaltliche Dimensionen (vgl. Abbildung 1), die ein umfassendes Konzept digitaler Gerechtigkeit in Smart Cities zumindest enthalten sollte:

  • Erzielen eines höchstmöglichen Maßes an technischer und materieller Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Infrastrukturen,
  • Förderung digitaler Nutzungskompetenzen von Bürgerinnen und Bürgern (z. B. über Fortbildungsangebote, Lernlabore o. ä.),
  • Befähigung von Bürgerinnen und Bürgern, Informationen über Prozesse und Projekte der Stadtentwicklung zu erhalten und vielfältige Teilhabemöglichkeiten an kommunalen Planungsverfahren bzw. Entwicklungsprojekten und
  • Minimierung direkter und indirekter ökologischer bzw. sozialer Folgewirkungen der Digitalisierung (z.B. über nachhaltige Beschaffung von Endgeräten, nachhalte Energieversorgung digitaler Infrastrukturen o. ä.).

Die Grafik stellt die vier genannten Dimensionen digitaler Gerechtigkeit synoptisch dar. Abbildung 1 Dimensionen und Kriterien digitaler Gerechtigkeit

Fallstudienanalyse und erste Ergebnisse

Vor diesem Hintergrund untersuchte das BBSR in einer Fallstudienanalyse neun national geförderten Smart-City-Modellprojekte. Die verwendeten Erhebungsmethoden umfassten Desktopanalysen, qualitative bzw. Gruppeninterviews mit Projektverantwortlichen und eingeholte Berichterstattungen aus den Modellprojekten. Ziel war es, die (Weiter-)Entwicklung, Validierung und Anwendung eines Analyse- und Evaluationsrahmens für Handlungsansätze zur Umsetzung digitaler Gerechtigkeit in Smart Cities zu betreiben.

Die Analyse zeigt unter anderem, dass die untersuchten Modellprojekte eigene Ansätze zur Stärkung digitaler Gerechtigkeit in der Stadtgesellschaft erkennen lassen, auch wenn diese nur in wenigen Fällen in ein rahmengebendes Konzept eingebettet sind. Ein zentrales Handlungsfeld bildet die Entwicklung digitaler Kompetenzen in der Stadtgesellschaft, unter anderem über digitale Lernorte, deren Inanspruchnahme und Zielgruppenrelevanz allerdings bislang kaum evaluiert wird. Globale Dimensionen digitaler Gerechtigkeit (u. a. Energieverbrauch, ökologische Suffizienz) spielen in den Modellprojekten bisher nur eine untergeordnete Rolle.

Schlussfolgerungen

Aus methodischer Perspektive erweist sich der erarbeitete Ansatz als tragfähig sowohl zur Analyse digitaler Gerechtigkeit als auch zur (Selbst-)Evaluation. Die Anwendung eines solchen Analyse- und Evaluationsrahmens ist von zentraler Bedeutung, da nur über ein differenziertes und empirisch fundiertes Verständnis digitaler Gerechtigkeit das Versprechen verbesserter Teilhabe und Partizipation in Smart Cities wirklich eingelöst werden kann.

Kontakt

  • Dr. Ralf Schüle
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat RS 5 „Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr“
    Telefon: +49 228 99401-2305
    E-Mail: ralf.schuele@bbr.bund.de

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