Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 23.06.2021 Klimaangepasstes Bauen systemisch entwickeln: Beispiel Hitze und Starkregen

Das Klima ändert sich: Die Jahresmitteltemperaturen in Deutschland steigen, extreme Starkregen- und Hochwasserereignisse nehmen zu. Das Bauwesen als Teilbereich der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) zeigt gerade vor den aktuellen Klimafolgen wie Hitze, Starkregen, Hochwasser und auch Sturm seine Verletzbarkeit. Die Gefahren sind erkannt und in Veröffentlichungen des Weltklimarates (IPCC) bestätigt.

Bislang sind Gebäude und Liegenschaften jedoch nicht flächendeckend resilient gestaltet. Ihre Anpassungsfähigkeit an Klimafolgen muss erhöht werden, um für die zukünftigen Herausforderungen des Klimawandels gewappnet zu sein. Viele Planungsfragen und Lösungen wurden bislang einzeln betrachtet. Nun gilt es, das Klimaangepasste Bauen ganzheitlich als ein System zu entwickeln. Denn Anpassung als Vorsorgemaßnahme geht über den Objektschutz hinaus.

Robuste, gut geplante Gebäude können am Ende sogar den Anpassungsdruck mindern, indem die einzelne bauliche Einheit einen Beitrag für die Entlastung des Gesamtsystems Stadt leistet. Retentionsdächer beispielsweise können das öffentliche Kanalsystem bei extremen Starkregenereignissen entlasten und Gründächer Hitzeinseleffekte in Städten nachweislich reduzieren.

Für den Bundesbau bedeutet es unter anderem, Kriterien des Klimaangepassten Bauens im Rahmen des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) des Bundes weiterzuentwickeln und im Baufachlichen Grundsatz zu verankern. So wurden in einer Überarbeitung der „Baufachlichen Richtlinien Abwasser“ Aspekte der Klimaanpassung bezogen auf Starkregenmanagement für den Bundesbau integriert: Mittels einer digitalen Prüfliste kann in Zukunft eine qualitative Ersteinschätzung zum Gefährdungspotenzial einer Liegenschaft aufgestellt werden.

Sommerlicher Wärmeschutz bei der Gebäudeplanung

Überdurchschnittlich heiße Tage, Stürme oder Starkregen sind die zukünftigen Herausforderungen für Gebäude und Liegenschaften. Unter diesen Voraussetzungen wird die Bedeutung des sommerlichen Wärmeschutzes bei der Planung von Gebäuden in Zukunft weiter zunehmen. Bautechnische Lösungen und innovative Bauprodukte sind vorhanden. Gleichzeitig rücken neue Stellschrauben zur Minderung der Hitzeproblematik, gerade im städtischen Bereich, zunehmend in den Vordergrund. Hierzu zählen insbesondere auch passive und naturbasierte Lösungen wie Dach- und Fassadenbegrünungen. Jedoch kann gerade das Gebäudegrün im Bauwesen auf Zielkonflikte mit bautechnischen Standards und gesetzlichen sowie normungsbezogenen Anforderungen zu Brandschutz, Feuchteschutz und zur Beständigkeit der Fassade stoßen.

Im Rahmen des BBSR-Projektes „Klimaanpassung und Normungsverfahren – Analyse bestehender bautechnischer Normen und Regelwerke für einen Anpassungsbedarf an die Folgen des Klimawandels“ (>> weitere Informationen) werden bestehende Normen dahingehend überprüft, ob diese im Hinblick auf den Klimawandel überarbeitet werden sollten, um die negativen Folgen des Klimawandels besser abzufedern. Somit ergibt sich allein aus der einzelnen Bauteil- und Materialbetrachtung eine hohe Komplexität.

Wahl der Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst Innenraum- und Mikroklima von Gebäuden

Mittels einer computergestützten, thermisch-dynamischen Gebäudesimulation kann bereits während der Planung abgeschätzt werden, wie sich ein Gebäude heute und in Zukunft in Bezug auf Hitze verhalten wird. Diese Erkenntnisse können iterativ in eine optimale Gebäudeplanung einfließen.

Im Rahmen des BBSR-Projektes „Weiterentwicklung und Konkretisierung des Klimaangepassten Bauens – KLIBAU“ (>> weitere Informationen) wurden mehrere Simulationen anhand einer modellhaften Beispielliegenschaft durchgeführt. Ein Ergebnis zeigte den Einfluss der Oberflächenbeschaffenheit eines Gebäudes auf das Innenraumklima, aber auch auf das Mikroklima der direkten Umgebung. Verglichen wurden zwei wasserführenden Dachschichten (Variante A: klassische Bitumendachbahn, Variante B: weiße Kunststoffdichtungsbahn).

Innenraumklima: Bei Simulation eines durchschnittlichen Jahres der Klimaperiode 2021 bis 2050 für den Standort Potsdam, angewandt auf eine Massivkonstruktion, reduzierten sich die Übertemperaturgradstunden im betrachteten Raum allein durch die Farbwahl der Dachabdichtungsbahn um 24 Kh/a (knapp 14 %). Bei Gebäudekonstruktionen mit geringer thermischer Speichermasse der Bauteile, beispielsweise Holzbau, kann sich die Wahl der Oberflächenfarbe einer freiliegenden Dachabdichtung noch wesentlich stärker auf den Innenraumkomfort bzw. den Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes auswirken. Hier zeigt sich bei gleichbleibenden Annahmen zu Klima, Temperatur und Standort, dass allein durch die Veränderung der Materialeigenschaften der Abdichtungsbahn die Übertemperaturgradstunden um mehr als 300 Kh/a (über 20 %) reduziert werden können. Die Übertemperaturgradstunden errechnen sich aus der Überschreitung einer festgelegten Anforderungstemperatur in Grad Celsius multipliziert mit der Dauer der Überschreitung in Stunden.

Zusätzlich kann die Abdichtungsbahn der direkten Hitzeeinwirkung entzogen werden, indem eine Kiesschicht aufgebracht wird. Infolge des relativ hohen Reflexionsgrades und der zusätzlichen thermischen Speichermasse einer 10 cm dicken Kiesauflage verbessert diese Maßnahme die thermische Behaglichkeit im Sommer. Denn durch die Sonneneinstrahlung muss zunächst die gesamte Masse der Kiesauflage erwärmt werden, bevor sich ein wesentlicher Wärmestrom durch das Dach in den Innenraum einstellt. Gegenüber der hellen Dachabdichtungsbahn würden die Übertemperaturgradstunden somit um circa 90 Kh/a weiter reduziert (vgl. Endbericht "KLIBAU – Weiterentwicklung und Konkretisierung des Klimaangepassten Bauens": Download (PDF, 14MB, Datei ist barrierefrei/ barrierearm)).

Mikroklima: Die Simulationen zum Mikroklima wurden mit der Software ENVI_MET durchgeführt. Abbildung 1 zeigt die Oberflächentemperaturen einer schwarzen Bitumendachbahn. Um 15.00 Uhr wurde an der kritischsten Stelle eine maximale Oberflächentemperatur auf der Dachfläche von ca. 64 °C erreicht. Abbildung 2 zeigt die Simulation mit einer gealterten weißen Kunststoffdichtungsbahn. Bei dieser Ausführung lag die maximale Oberflächentemperatur unter 40 °C (ebd.: S.100 ff.).

Grafische Darstellung der Oberflächentemperaturen der Bauteile bei Verwendung einer Bitumendachbahn Abbildung 1: Oberflächentemperaturen der Bauteile bei Verwendung einer Bitumendachbahn Abbildung 1: Oberflächentemperaturen der Bauteile (in °C) bei Verwendung einer Bitumendachbahn

Grafische Darstellung der Oberflächentemperaturen der Bauteile bei Verwendung einer weißen Kunststoffdichtungsbahn Abbildung 2: Oberflächentemperaturen der Bauteile bei Verwendung einer weißen Kunststoffdichtungsbahn Abbildung 2: Oberflächentemperaturen der Bauteile (in °C) bei Verwendung einer weißen Kunststoffdichtungsbahn

Gebäudegrün als Schutz vor Hitze und Starkregen

Im Sinne des systemischen Verständnisses des Klimaangepassten Bauens sind insbesondere bauliche Lösungen interessant, welche auf mehrere Klimawirkungen reagieren. Ein Beispiel ist der Einsatz von Gebäudegrün. Bezüglich der Klimawirkung Hitze können Dach- und Fassadenbegrünung Verdunstung und Verschattung verstärken und somit die Kühl- und Dämmleistung für das Gebäude optimieren und zur Umgebungskühlung beitragen. Weitere Effekte im Sinne des systemischen Ansatzes sind die Förderung von Artenvielfalt und Biodiversität, die Reduktion der Luftbelastung und Kohlenstoffspeicherung in Substrat und Pflanzen sowie insbesondere Leistungen zum Regenwasserrückhalt bei Abflussspitzen.

Gerade bei extremen Starkregenereignissen ist es wichtig, dass die Entwässerung von Regenwasser am Gebäude funktionstüchtig ist und den erhöhten Wassermengen Stand halten kann. Im besten Fall kann das Dach zeitweise Regenwasser speichern und somit die öffentliche Kanalisation im Falle eines Starkregenereignisses entlasten. Die Gefahr von Überschwemmungen aufgrund einer überlaufenden Kanalisation kann somit minimiert und Schäden an Bauwerken können vermieden werden.

Grundlage für sämtliche Nachweise der Dachentwässerung ist die DIN 1986-100:2016-12. Eine wesentliche Einflussgröße stellt der Abflussbeiwert dar. Dieser ist abhängig von der Oberflächenbeschaffenheit des Daches. Abbildung 4 zeigt drei verschiedene Dachaufbauten und Dachoberflächen sowie die entsprechend unterschiedlichen Abflussbeiwerte. Versiegelte oder dichte Oberflächen haben einen Abflussbeiwert von 1,0: Das Wasser muss vollständig über die Entwässerungsanlagen abgeführt werden. Begrünte Oberflächen haben je nach Ausführung einen Abflussbeiwert von bis zu 0,3 und können somit bis zu 70 % des anfallenden Niederschlagwassers in den Vegetationsebenen oder im Dachaufbau zurückhalten.

Grafische Darstellung der Abflussbeiwerte verschiedener Dachoberflächen Abbildung 3: Abflussbeiwerte verschiedener Dachoberflächen Abbildung 3: Abflussbeiwerte verschiedener Dachoberflächen

Am Beispiel eines Retentions-Gründaches konnte gezeigt werden, dass dieses das öffentliche Kanalsystem bei extremen Starkregenereignissen nachweislich entlastet und positiv auf das Innenraum- und Mikroklima einwirken kann. Synergetische Effekte und eine ausgewählte Kombination von Maßnahmen der Klimaanpassung im Bauwesen gilt es zu verstehen und zu nutzen. Nur so können Klimaanpassung und Klimaschutz Hand in Hand gelingen.

Ausblick

Die Klimaanpassung von Gebäuden stellt keine isolierte Aufgabe dar. Die Anpassung muss gleichzeitig mit dem Klimaschutz gedacht werden. Ökobilanzierung, Ressourcenaspekte und Baukosten müssen mit möglichen Schäden an Gebäuden abgewogen werden. Die Lebenszyklusbetrachtung und eine Kosten-Nutzen-Abwägung können Bauenden und Planenden bei der Bewertung und Entscheidung unterstützen, welche Maßnahmen sie treffen wollen. Die Einordnung einer Ökosystem- bzw. Systemleistung der baulichen Maßnahme ist noch nicht ausreichend monetarisierbar, könnte aber zukünftig eine zusätzliche Rolle bei Planungsentscheidungen spielen.

Kontakt

  • Svenja Binz
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat WB 6 „Instrumente des ressourcenschonenden und klimaangepassten Bauens“
    Telefon: +49 30 18401-2766
    E-Mail: svenja.binz@bbr.bund.de

  • Dr. Stefan Haas
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat WB 6 „Instrumente des ressourcenschonenden und klimaangepassten Bauens“
    Telefon: +49 30 18401-3414
    E-Mail: stefan.haas@bbr.bund.de

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