Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 02.08.2022 Siedlungsflächen mit Fernerkundung kleinräumig erfassen – neue explorative Flächendaten aus dem Projekt incora

Incora steht für Inwertsetzung von Copernicus-Daten für die Raumbeobachtung und ist ein vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Rahmen des Modernitätsfonds mFUND gefördertes Forschungsprojekt. In diesem Projekt wurde untersucht, inwiefern mit Datenquellen aus Satelliten des europäischen Copernicus-Programms das Monitoring des Flächenverbrauchs in Deutschland verbessert werden kann. Im Fokus stehen Daten zu bebauten Flächen, zu Siedlungs-, Verkehrs- sowie Grünflächen.

Allgemeine Informationen zum Projekt

Incora ist ein vom mFUND (BMDV) finanziertes Projekt mit einer Laufzeit von Dezember 2018 bis Februar 2022. Durchgeführt wurde es vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie von der mundialis GmbH & Co. KG.

Warum werden neue Daten zur Flächennutzung benötigt?

Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zielt auf eine Verringerung des Flächenverbrauchs, den Schutz des Freiraums und die Vermeidung der Landschaftszerschneidung ab. Bis 2030 soll der durchschnittliche tägliche Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland auf unter 30 Hektar begrenzt werden. Damit die Zielerreichung gesichert beurteilt werden kann, bedarf es eines detaillierten Monitorings und Kenntnissen der Siedlungsausdehnung. Die Datenbasis zur Prüfung der genannten Nachhaltigkeitsziele, die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung, wird aus dem Amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) abgeleitet und ist in zeitlicher und räumlicher Auflösung begrenzt (siehe Tabelle 1). Sie erfasst die Landnutzung, weshalb gesicherte Kenntnisse zur Nutzung der Flächen benötigt werden. Die Erfassung ist zeitaufwendig und aufgrund unterschiedlicher Auslegungsmöglichkeiten der ihr zugrundeliegenden Regeln fehleranfällig.

Tabelle 1: Übersicht über verfügbare Flächeninformationen und Unterscheidung von Landnutzung und Landbedeckung
BezeichnungFlächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzungincora-Landbedeckung
Art der ErfassungLandnutzungLandbedeckung
Definition der Siedlungsfläche

Siedlungs- und Verkehrsfläche

(inkl. Freiflächen)

Bebaute Fläche

(nur die bebaute oder teilversiegelte Fläche)

Auflösung räumlichGemeindeebene; Basis-Daten ALKIS-aggregierte Flächen auf Basis unterschiedlicher Mindesterfassungsgrößen10x10 m Raster
Auflösung zeitlichVeröffentlichung jährlich; bis zu mehreren Jahren Versatz möglichJe nach Nutzbarkeit der Satellitenbildszenen alle 5 Tage theoretisch möglich; mindestens jährlich möglich


Weiterhin sind Landnutzungen auf Mindesterfassungsgrößen limitiert, d. h. nicht erfassbare Flächen werden der Nachbarfläche zugeschlagen, wodurch Details verloren gehen. Mit dem Projekt incora werden Informationsbedarfe für ein detailliertes Monitoring der Siedlungsflächen in Theorie und Praxis ermittelt und es wird die Möglichkeit analysiert, bestehende Lücken in räumlicher und zeitlicher Genauigkeit durch die fernerkundliche Analyse von Landbedeckungsänderungen zu schließen. Zwar hat die Landbedeckung gegenüber der Landnutzung einen geringeren Informationsgehalt, sie kann jedoch abhängig von der Rasterauflösung Details unabhängig von Mindesterfassungsgrößen besser und aktueller darstellen.

Die mittlere Abbildung zeigt zur Veranschaulichung Einfamilienhäuser mit ihren Gärten. Diese entfallen in der Abbildung links. Die Abbildung rechts zeigt die Bebauung und die Gärten. Abbildung 1 Abbildung 1: Aggregierte Landnutzung der Siedlungsflächen (l.), Luftbild (m.), incora Landbedeckungsklassifikation 2019 (r.) in Dortmund

Vorgehen

Frei verfügbare, räumlich und zeitlich hochauflösende Fernerkundungsprodukte des Copernicus-Programms bieten neue Möglichkeiten, bestehende Datenquellen mit neuen Informationen über die Siedlungsflächenentwicklung zu ergänzen. So befinden sich seit 2018 zwei Satelliten des Typs Sentinel-2 im Orbit, die frei verfügbare Datenprodukte in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung anbieten. Diese Erdbeobachtungssatelliten liefern Daten für längere Zeitreihen und sind daher für ein Monitoring der Landbedeckung geeignet. Hauptziele des incora-Projekts waren die automatisierte Erstellung von Landbedeckungsdaten sowie die Berechnung von Indikatoren für die Siedlungsflächenentwicklung. Dabei wurde das Potenzial von Daten des optischen, multispektralen Landbeobachtungssensors Sentinel-2 für die Entwicklung und Verarbeitung von Indikatoren für die Siedlungsflächenentwicklung und das Monitoring auch im Hinblick auf Ressourceneffizienz und Umweltleistung untersucht. Zu diesem Zweck wurden für die Jahre 2016, 2019 (siehe Abb. 2) und 2020 deutschlandweite Landbedeckungsklassifikationen aus Sentinel-2-Satellitenbild-Daten abgeleitet: die incora-Landbedeckung.

Abbildung 2: Diese Karte zeigt rechts die deutschlandweite incora-Landbedeckungsklassifikation von 2019, links den Ausschnitt des Großraums Köln, Bonn. Abbildung 2 Abbildung 2: a) Deutschlandweite incora-Landbedeckung b) Detail Köln/Bonn, incora-Landbedeckung

Diese teilt die Landoberfläche in Klassen ein (bebaute Fläche, hohe Vegetation, niedrige Vegetation, offener Boden, Ackerland, Wasser) und ist in ihrem abbildbaren Maßstab abhängig vom Auflösungsvermögen der ihr zugrunde liegenden Fernerkundungsdaten. Sentinel-2-Aufnahmen haben dabei eine Auflösung von zehn Metern. Das bedeutet, dass jeder Pixel einer daraus abgeleiteten Landbedeckungsklassifikation eine Fläche von 10 × 10 Metern repräsentiert. Je nach Klassendefinition enthalten Landbedeckungsklassifikationen nicht nur Informationen über bebaute Flächen, sondern sie können beispielsweise auch für die Berechnung von Indikatoren zur Grünüberdeckung verwendet werden. Aus der Kombination von Klassifikationen verschiedener Jahre lassen sich Veränderungen der Landbedeckung identifizieren (Change-Detection), die für die Berechnung von dynamischen Indikatoren (z. B. Zunahme von baulich geprägter Fläche) herangezogen werden können. Ein weiteres wichtiges Fernerkundungsprodukt ist eine Versiegelungskarte, die im Projekt erstellt wurde und für jeden Pixel den Versiegelungsgrad in Prozent abbildet. Für beide Produkte wird eine jährliche Aktualisierung angestrebt.

Um die Methodik zu testen und weiterzuentwickeln, wurden Indikatoren-Konzepte (siehe Abb. 2) erstellt und auf theoretische Machbarkeit geprüft. Eine Indikatoren-Pyramide (Abb. 3), die als Grundlage für das angestrebte Monitoring dient, beinhaltet eine Auswahl von 34 Indikatoren, mithilfe derer die folgenden Bereiche abgedeckt werden:

  • baulich geprägte Flächen
  • Vegetations- und Grünflächen
  • Nachverdichtungspotenziale
  • Zersiedlung
  • Freiraumschutz
  • Bebauungsstruktur.

Außerdem wurden die 34 Indikatoren jeweils einer von vier Hauptebenen zugeordnet: Die Spitze der Indikatoren-Pyramide bildet die Gruppe der Kernindikatoren, die für das Siedlungsflächenmonitoring essenziell sind und sich an den Nachhaltigkeitsindikatoren Deutschlands (u. a. SDG 11.1 a–c) orientieren. Weitere Ebenen umfassen Zusatzindikatoren, bundesweite Raumstrukturindikatoren und Fallbeispielindikatoren mit regionalem und lokalem Raumbezug

Abbildung 3: Das Diagramm zeigt das Indikatoren Set des incora Projektes in Form einer Pyramide. Links sind die Indikatoren zu sehen, in der Mitte die Einstufung in die Ebenen und Rechts die Eingliederung in die Indikatorengruppen. Abbildung 3: Indikatoren-Pyramide Abbildung 3: Indikatoren-Pyramide, Indikatoren-Bezeichnung (l.), Pyramidenebene (m.), Indikatoren-Gruppe (r.)

Hinsichtlich ihrer praktischen Anwendbarkeit wurden die in der Pyramide erfassten Indikatoren zunächst im Verwaltungsgebiet Dortmund, dann für Nordrhein-Westfalen und anschließend deutschlandweit getestet. Berechnungen von Indikatoren für die Landbedeckungsklassifikation 2019 und 2020 zeigen für Deutschland plausible Ergebnisse (siehe Tabelle 2). Dazu gehören Indikatoren zur Siedlungsstruktur und zur Vegetationsverteilung. Komplexe Indikatoren wurden in kleinerem Maßstab erfolgreich entsprechend der Indikatoren-Pyramide getestet. Kompaktheit sowie Versiegelung im Außenbereich sind zudem vielversprechende Indikatoren, die für eine deutschlandweite Berechnung in Frage kommen.

Tabelle 2: Im incora-Projekt deutschlandweit erfolgreich berechnete Indikatoren
SiedlungVegetation
Anstieg baulich geprägter FlächenVegetationsbedeckung der Bezugsfläche
Neue Bebauung außerhalb von OrtslagenVegetationsbedeckung innerhalb von Ortslagen
Veränderung der BebauungsdichteVegetationsbedeckung außerhalb von Ortslagen
Überbauung von LandwirtschaftsflächeGrünflächenausstattung der Bezugsfläche
Bebauung auf geschützten Gebieten 


Nach der Berechnung der Indikatoren lässt sich festhalten, dass die Veränderungsberechnungen der zur Klasse „baulich geprägte Flächen“ gehörenden Indikatoren für 2019 und 2020 gut nutzbar sind. Die Gegenüberstellung mit anderen flächenbezogenen Daten zeigt vor allem für die Daten der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung plausible Ergebnisse. Betrachtungen der Veränderung zwischen 2016 und 2019 wurden aufgrund der schlechten Vergleichbarkeit der Daten – 2016 befand sich nur ein einziger Sensor im Orbit – verworfen. Für die kommenden Jahre sind dank der zwei Sentinel-2-Satelliten, die bis mindestens 2030 in Betrieb sein sollen, weitere Daten zu erwarten, die eine längere Zeitreihe mit hochwertigeren Ergebnisse ermöglichen.

Erkenntnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die Fernerkundung aus frei verfügbaren Daten zur Beurteilung der Entwicklung baulich genutzter Flächen (u. a. Änderungs- und Strukturindikatoren), der Bodenversiegelung und der Vegetation nutzbar ist. Die incora-Landbedeckung kann eine wertvolle Ergänzung zu etablierten Daten wie der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung sein. Sie kann genutzt werden, um Daten zu validieren und Details der Landnutzung hervorzuheben. Vor allem Flächenbilanzierungen sind räumlich und zeitlich detailliert möglich. Die Ergebnisse des Projektes zeigen jedoch auch, dass Auflösung und Klassifikationsgüte nicht ausreichen, um die amtliche Flächenstatistik zu ersetzen. Die Erkenntnisse aus der Berechnung der Daten und Indikatoren unterstreichen den Bedarf an geeigneten Daten für ein stabiles und zukunftsfähiges Monitoring der Siedlungsflächenentwicklung und des Flächenverbrauchs. Die intelligente Verknüpfung von Datengrundlagen mit neu aufkommenden Technologien dient dazu, Stärken und Schwächen der einzelnen Verfahren auszugleichen. Die niedrigschwellige Bereitstellung und Visualisierung von Ergebnissen gilt als Voraussetzung, um datenbasierte politische Entscheidungen zu ermöglichen. Die Einbindung digitaler Informationen zur geplanten Siedlungsentwicklung ist dringend erforderlich, um unerwünschte Auswirkungen des Flächenverbrauchs bereits in der Planungsphase erkennen und abmildern zu können. Ein wichtiger Schritt zum intelligenten Umgang mit Flächendaten ist deren kritische Betrachtung, wofür eine Webanwendung, das Web-GIS www.incora-flaeche.de, zur Verfügung steht.

Das incora-Dashboard

Das aus dem Forschungsprojekt hervorgegangene Dashboard stellt die wichtigsten Ergebnisse anwenderfreundlich dar. Es dient als exploratives Informationswerkzeug, um Fragestellungen zur Siedlungsflächenentwicklung datenbasiert und kritisch zu betrachten. Dabei werden verschiedene Datensätze kartographisch und statistisch dargestellt. Außerdem werden Fragestellungen der Siedlungsflächenentwicklung mit den wichtigsten Indikatoren zu verschiedenen Themenbereichen aufgezeigt. Neben dem kartographischen und statistischen Kernstück der Plattform machen eine Vielzahl von Texten und Hinweisen den Themenschwerpunkt greifbar. Aktuell adressiert die Plattform www.incora-flaeche.de vor allem die wissenschaftliche Fachöffentlichkeit und stellt Referenzen sowie zahlreiche Informationen zum Projekt zur Verfügung.

Beispielseite des Web GIS incora-flaeche.de Abbildung 4: Beispielseite des Web GIS incora-flaeche.de Abbildung 4: Beispielseite des Web GIS incora-flaeche.de

Literatur

Eichfuss, S., Hollen, M., Riembauer, G., & Xu, S., 2021: Monitoring von Siedlungsflächen auf Basis von Sentinel-2. In: Meinel, G.; Krüger, T.; Behnisch, M.; Erhardt, D. (Hrsg.), 2021: Flächennutzungsmonitoring XIII. Flächenpolitik – Konzepte – Analysen – Tools. IÖR Schriften, Band 79. Berlin: 189–200. Zugriff: https://doi.org/10.26084/13dfns-p017 [abgerufen am: 26.07.2022]

Publikation über die Klassifikationsmethodik

Riembauer, G.; Weinmann, A.; Xu, S,; Eichfuss, S.; Eberz, C.; Neteler, M., 2021: Germany-wide Sentinel-2 based Land Cover Classification and Change Detection for Settlement and Infrastructure Monitoring. In: Soille, P.; Loekken, S.; Albani, S. (Hrsg.): Proceedings of the 2021 conference on Big Data from Space (BiDS’ 21). Luxemburg: 53–56. Zugriff: https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/ac7c57e5-b787-11eb-8aca-01aa75ed71a1 [abgerufen am: 26.07.2022]

Publikation zur Nutzung der Daten in einem kritischen Kontext

Schmitz, J.; Fina, S.; Riembauer, G.; Hollen, M., 2021: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche nachgerechnet: Ein Plädoyer für frei zugängliche ALKIS-Daten. In: Meinel, G.; Krüger, T.; Behnisch, M.; Erhardt, D. (Hrsg.), 2021: Flächennutzungsmonitoring XIII. Flächenpolitik – Konzepte – Analysen – Tools. IÖR Schriften, Band 79. Berlin: 161–169. Zugriff: https://doi.org/10.26084/13dfns-p015 [abgerufen am: 26.07.2022]

Weitere Informationen

bold geo (Umsetzung des Web-GIS incora-flaeche.de)
zur Website

Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) (mFund-Förderung)
zur Website

Copernicus in Deutschland (Erdbeobachtungsprogramm)
zur Website

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021 (Informationen der Bundesregierung)
zum PDF

Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung (Qualitätsbericht des Statistischen Bundesamtes)
zum PDF

ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (Projektleitung)
zur Website

mundialis GmbH & Co. KG (Projektpartner)
zur Website


Kontakt

  • Silas Eichfuss
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat RS 6 „Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung“
    Telefon: +49 228 99401-2245
    E-Mail: silas.eichfuss@bbr.bund.de

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