Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 31.08.2017 Regionen mit stark unterdurchschnittlichen Lebensverhältnissen

Die Analyse der Regionen mit Blick auf gleichwertige Lebensverhältnisse wurde auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Bundestagsdrucksache 18/10951) hin durchgeführt. Es handelt sich um die Wiederholung eines Daten- und Messkonzepts aus dem Jahr 2010 mit aktuellen Daten. Analysiert wurden 361 Regionen in Deutschland. Die wichtigsten Ergebnisse werden hier zusammengefasst.

"Gleichwertige regionale Lebensverhältnisse" werden unterschiedlich interpretiert. Messkonzepte sind immer auch ein Versuch, Diskussionen um nicht eindeutige Begriffe zu versachlichen, und das mit möglichst objektiv ermittelten Kennzahlen.

Es werden sechs Lebensbereiche (Einzeldimensionen) berücksichtigt, die als maßgeblich für einen angemessen Lebensstandard und für die Entwicklung in Regionen angesehen werden. Dazu zählt die wirtschaftliche Situation und das Vorhandensein von zukunftsfähigen Branchen. Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit? Gibt es genügend qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze? Wie ist die Einkommenssituation? Und wie sehen dagegen die Kosten für Wohnraum aus? Wie einfach lassen sich Infrastruktureinrichtungen erreichen? Wie verändert sich die Bevölkerung? Wandern junge Menschen vermehrt ab oder zu und wie setzt sich dann die bleibende Bevölkerung altersstrukturell zusammen?

Die nachfolgende Tabelle listet die in der Analyse verwendeten Kennzahlen (Indikatoren) auf:

Indikatoren für die Einzeldimensionen regionaler Lebensverhältnisse 
EinzeldimensionIndikatorenEinheitaktuelles JahrVergleichsjahr
DemografieBevölkerungsentwicklung%2005-20151995-2005
Lebenserwartung MännerJahre2012/13/141998/99/2000
Anteil unter 15-Jährige%20142000
Anteil über-75-Jährige%20142000
WirtschaftBIP je ErwerbstätigeEuro20142000
Beschäftigte in wissensintensiven Dienstleistungenje 100 Beschäftigte20142009
Beschäftigte in wissens- und forschungsintensiven Industrien1je 100 Beschäftigte20142009
ArbeitsmarktArbeitslosenquote%20142005
Pendeldistanzenkm20142000
Erwerbstätigenbesatzje 100 15- bis unter 65-Jährige20142000
Ausbildungsplatzquoteje 100 Bewerber20162000
WohlstandVerschuldete Privatpersonenje 100 Einwohner 18 Jahre und älter20152004
Anteil unter 15-Jährige, die in Bedarfsgemeinschaften lebenje 100 Einwohner unter 15 Jahre20152007
Verfügbares Pro-Kopf-EinkommenEuro je Einwohner20142000
InfrastrukturEinwohnerdichteEinwohner/km²20152000
PKW-Reisezeit zu Ober- und MittelzentrenMinuten20152002
Anteil unter 3-Jährige in Kindertagesstättenje 100 unter 3-Jährige Kinder20152006
Ärzte-Einwohner-Relationje 100 000 Einwohner20142000
Betten für stationäre Pflege je 100 Einwohner 65 Jahren und älter20132003
GrundschulnetzdichteGrundschulen je km² 20142000
Erreichbarkeit von Autobahnen, IC/ICE-Anschlüssen, FlughäfenMinuten20162000
Haushalte mit Breitbandversorgung mit mind. 50 Mbit/s2je 100 Haushalte20162010
WohnungsmarktAngebotsmieten3Euro je m²20162004
1alternativer Indikator zu FuE-Beschäftigte, da 2011 letztmalig erhoben;
2alternativer Indikator zur Grundversorgung mit Breitband mit mind. 1 Mbit/s, da nicht mehr Standard;
3alternativer Indikator zur Hauspreis-Einkommensrelation, da nur unregelmäßig und zuletzt 2011 erhoben

Wenn in einer Region mindestens drei oder sogar vier der Lebensbereiche (Einzeldimensionen) weit unter dem Durchschnitt der anderen Regionen liegen, dann gilt diese nach unserer Vorstellung als strukturschwach bzw. als Region mit "stark unterdurchschnittlichen Lebensverhältnissen" (präzise Methodenbeschreibung s.u.).

Die bewerteten Aspekte konzentrieren sich auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungschancen der Regionen. Subjektive Aspekte für Lebensqualität wie die Landschaftsqualität, das Vorhandensein familiärer Netze oder sozialer Zusammenhalt, welche für die Lebenszufriedenheit wichtige Parameter sind, bleiben unberücksichtigt.

Zu den Regionen, in denen diese Lebensbedingungen sich als ungünstig erweisen und deutlich vom Durchschnitt abweichen, gehören viele Regionen in Sachsen-Anhalt, im östlichen Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg abseits des Einzugsbereichs von Berlin. Hinzu kommen einige wenige Regionen in Sachsen und Thüringen sowie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die nachfolgende Tabelle benennt die identifizierten Räume:

Bundeslandunterdurchschnitlliche LebensverhältnisseKreisregion
Baden-Württemberg- 
Bayern- 
Berlin- 
Brandenburgsehr stark unterdurchschnittlichElbe-Elster
Prignitz
Ostprignitz-Ruppin
Oder-Spree/Frankfurt
stark unterdurchschnittlichOberspreewald-Lausitz
Uckermark
Bremen- 
Mecklenburg-Vorpommernsehr stark unterdurchschnittlichVorpommern-Rügen
Mecklenburgische Seenplatte
stark unterdurchschnittlichVorpommern-Greifswald
Niedersachenstark unterdurchschnittlichLüchow-Dannenberg
Nordrhein-Westfalenstark unterdurchschnittlichHerne, Stadt
Rheinland-Pfalz- 
Saarland- 
Sachsenstark unterdurchschnittlichErzgebirgskreis
Nordsachsen
Sachsen-Anhaltsehr stark unterdurchschnittlichAltmarkkreis Salzwedel
Burgenlandkreis
Harz
Mansfeld-Südharz
Stendal
stark unterdurchschnittlichAnhalt-Bitterfeld/Dessau-Roßlau
Jerichower Land
Saalekreis
Salzlandkreis
Wittenberg
Schleswig-Holstein- 
Thüringensehr stark unterdurchschnittlichKyffhäuserkreis
stark unterdurchschnittlichAltenburger Land
Unstrut-Hainich-Kreis

Mit der Methode lassen sich auch Regionen mit überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen bestimmen. Von allen 361 Regionen weisen 26 Regionen stark unterdurchschnittliche und 32 Regionen weit überdurchschnittliche Lebensverhältnisse auf. Regionen mit stark unterdurchschnittlichen Lebensverhältnissen sind in der nachfolgenden Karte in blauer Farbe eingezeichnet, Regionen mit stark überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen in orange.

303 der 361 Regionen gelten als ausgeglichen in ihren Lebensbedingungen. Das heißt zwar nicht, dass in diesen Regionen alles von selbst läuft oder keine Probleme zu bewältigen wären. Dort gibt es aber keine Ballung von unter- oder überdurchschnittlichen Bereichen.

Stark unterdurchschnittliche Lebensverhältnisse finden sich oft in ländlichen Regionen. Deshalb gehören in Ostdeutschland viele dünn besiedelte ländliche Regionen abseits großer Zentren zu den strukturschwachen Räumen.

Wirtschaftliche Entwicklungen konzentrieren sich aktuell auf Ballungsräume, weil sie das größte Angebot an qualifizierten Arbeitsplätzen bieten und über die kritische Masse für ein umfangreiches und vielfältiges Infrastrukturangebot verfügen. Ländliche Regionen im Umland dieser dynamischen Ballungsräume profitieren davon. Ländlichen Räumen mit einer breiten Basis an Mittelstandsbetrieben geht es ebenfalls gut. Der Vollständigkeit halber muss auch erwähnt werden, dass nicht alle Städte oder Ballungsräume sich überdurchschnittlich entwickeln, eine Ausnahme sind beispielsweise Teile des Ruhrgebiets.

Allerdings – das ist auch ein Ergebnis unserer Untersuchung - ist die Zahl der Regionen mit stark unterdurchschnittlichen Lebensverhältnissen seit der Jahrtausendwende von 47 auf 26 Regionen gesunken. Die Veränderungen seit dem Jahr 2000 zeigt die nachfolgende Karte.

Verwendung der Informationen

Die Analyse hat nicht das Ziel, Regionen zu benennen, um sie bloßzustellen. "Abgehängt" ist daher kein angemessener Begriff. Denn die Regionen sind ja keineswegs abgeschnitten von jedweder Entwicklung. In diesen Regionen sind die strukturellen Voraussetzungen für Entwicklung ungünstiger und ihre (wirtschaftliche) Entwicklung verläuft dadurch langsamer als in anderen Regionen.

Es sind gesellschaftliche Änderungsprozesse, die auch in einer regionalen Unausgewogenheit ihren Niederschlag finden. Deshalb können Regionen auch nicht allein die Probleme bewältigen, die mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen verbunden sind. Das ist eine Aufgabe, in der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam nach Lösungen und Strategien suchen und weiter suchen müssen. Geeignete Strategien und Maßnahmen zur Vermeidung eines Auseinanderdriftens der Regionen sind u.a.:

  • Länder- und kommunaler Finanzausgleich;
  • Gemeinschaftsaufgabe zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur;
  • Städtebauförderung mit verschiedenen Programmen, von der auch viele ländliche Regionen profitieren. Die Programme tragen dort auch zur Stärkung der Klein- und Mittelstädte als Ankerpunkte der regionalen Entwicklung bei.
  • Von Bund und Ländern finanzierte, unterstützende Modellprojekte, um geeignete, übertragbare Lösungen auszuprobieren, z.B.: Wie organisiert man öffentlichen Verkehr in schrumpfenden, dünn besiedelten Regionen? Wie lässt sich die medizinische Versorgung anders organisieren und damit sicherstellen?
  • Hinreichende kommunale Finanzspielräume, die durch Entlastungen von Bund und Länder ausgeweitet werden.

Regionale Förderung muss passgenau sein. Das heißt gezielte Förderung und nicht nach dem Gießkannenprinzip. Messkonzepte helfen, Regionen zu identifizieren, die einen besonderen Förderbedarf haben.

Mehr zur Methodik und den Dimensionen regionaler Lebensverhältnisse:
Download (PDF, 644 KB, Datei ist nicht barrierefrei)

Kontakt

  • Antonia Milbert
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat SR 3 „Menschen und Regionen im Wandel – Subjektive und objektive Indikatoren“
    Telefon: +49 30 18401-2256 und +49 355 121004-6801
    E-Mail: antonia.milbert@bbr.bund.de

Diese Seite