Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 06.06.2023 Reviere im Strukturwandel

Ausgangsbedingungen und Transformationspotentiale der Braunkohlereviere im Vergleich

Die Braunkohleregionen befinden sich mitten im Strukturwandelprozess. Hinsichtlich der Bewältigung und Gestaltung dieses Wandels besitzen die drei Reviere unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Potentiale.

Rund zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ zeigen vergleichende Analysen zwischen den drei Braunkohlerevieren, dass ihre Ausgangssituationen und damit ihre Möglichkeiten zur Bewältigung des Strukturwandels trotz einiger Gemeinsamkeiten sehr heterogen sind. Der vorliegende Fachbeitrag stellt einen Vergleich des Lausitzer, des Mitteldeutschen und des Rheinischen Reviers anhand ausgewählter Indikatoren (Revierabgrenzung, Beschäftigung, Raumtyp Lage, Fläche und Bevölkerungszahl, Bevölkerungsentwicklung) her. Damit werden Herausforderungen und individuelle Problemlagen, aber auch Potentiale der Kohleregionen im Strukturwandel sichtbar.

Revierprofile

Hinsichtlich ihrer gebietsräumlichen Gliederung fallen erste Unterschiede auf. Lediglich das Rheinische Revier lässt sich einem einzelnen Bundesland (Nordrhein-Westfalen) zuordnen (siehe Tabelle 1). Das Lausitzer und Mitteldeutsche Revier erstreckt sich über jeweils zwei Bundesländer (Brandenburg und Sachsen bzw. Sachsen und Sachsen-Anhalt). Dies hat Auswirkungen auf die Steuerung des Strukturwandelprozesses. In Nordrhein-Westfalen erfolgt dieser primär zentralistisch, während er in den ostdeutschen Revieren hingegen einer länderübergreifenden Koordination bedarf. Diese Koordination bleibt trotz zunehmender Erfahrungen in einigen Politikfeldern (insbesondere Wirtschaft) angesichts unterschiedlicher administrativer Gliederungen und Zuständigkeiten eine Herausforderung.

In Bezug auf die Zahlen der direkt Beschäftigten im Braunkohlesektor fällt auf, dass im Mitteldeutschen Revier mit nur 2.052 Beschäftigten deutlich weniger Menschen im Braunkohlesektor tätig sind als in der Lausitz (7.362) oder im Rheinischen Revier (8.481). Gemessen an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt der Anteil in allen Revieren auf einem geringen Niveau von unter 2 % (siehe Tabelle 1). Zudem berechnen Hermann, Schuster und Förster (2018: 18), dass knapp zwei Drittel der aktuell im Braunkohlebergbau Beschäftigen bis zum Jahr 2030 in den (Vor-)Ruhestand gehen werden.

Der Kohleausstieg lässt somit weder einen Strukturbruch noch Massenarbeitslosigkeit erwarten, wie es im Kontext der Nachwende-Transformation in den ostdeutschen Kohleregionen in den 1990er-Jahren der Fall war. Ganz im Gegenteil: Damit der Wandel gelingen kann, brauchen die Braunkohleausstiegsregionen für die Umsetzung der vielzähligen Strukturstärkungsmaßnahmen weitere Fachkräfte. So werden allein über den Bund bis 2028 5.000 neue Arbeitsplätze durch die Ansiedlung eigener Behörden und Einrichtungen in den Kohleregionen geschaffen, die es mit qualifizierten Fachkräften zu besetzen gilt (vgl. Noack 2022). Bisher sind knapp 70 % der Stellen in Einrichtungen und Behörden des Bundes in den Braunkohlerevieren besetzt (vgl. Bericht der Bundesregierung 2022: 11).

Tabelle 1: Revierprofile
Lausitzer RevierMitteldeutsches RevierRheinisches Revier
Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR, DEBRIV
zugehörige Landkreise und kreisfreie Städte

Brandenburg:
Cottbus, Stadt; Dahme-Spreewald;
Elbe-Elster; Oberspreewald-Lausitz;
Spree-Neiße

Sachsen:
Bautzen; Görlitz

Sachsen-Anhalt:
Anhalt-Bitterfeld; Burgenlandkreis; Halle (Saale); Mansfeld-Südharz

Sachsen:
Leipzig, Stadt; Leipzig, Land; Nordsachsen

Nordrhein-Westfalen:
Düren; Euskirchen; Heinsberg; Mönchengladbach; Rhein-Kreis Neuss; Rhein-Erft-Kreis; Städteregion Aachen
aktive Tagebaue
  • Jänschwalde
  • Welzow-Süd
  • Nochten
  • Reichwalde
  • Amsdorf
  • Profen
  • Vereingtes Schleenhain
  • Inden
  • Hambach
  • Garzweiler
aktive Kohlekraftwerke
  • Boxberg
  • Jänschwalde
  • Schwarze Pumpe
  • Lippendorf
  • Schkopau
  • Frechen/ Wachtberg
  • Neurath
  • Niederaußem
  • Weisweiler
direkt Beschäftigte im Braunkohlesektor (2021)7.3622.0528.481
Anteil der direkt Beschäftigten im Braunkohlesektor an den sozial­versicherungs­pflichtigen Beschäftigten (2021)1,74 %0,27 %1 %

Raumtyp Lage

Die drei Reviere zeigen im Vergleich eine grundlegend verschiedene Charakteristik ihrer Raumtypologie. Der Raumtyp Lage gibt Auskunft darüber, welches Tagesbevölkerungspotenzial innerhalb von zwei Stunden Fahrzeit im motorisierten Individualverkehr erreichbar ist (Raumtypen des BBSR).

Das Rheinische Revier ist gekennzeichnet durch eine vornehmlich „sehr zentrale“ beziehungsweise „zentrale“ Lage, wobei die Dichte der Groß- und Mittelstädte von Nord nach Süd abnimmt (siehe Abbildung 1). Im Mitteldeutschen Revier lässt sich dagegen ein Zentrum-Rand-Gefälle von „zentral“ zu „peripher“ beobachten. Hier entsteht durch die Großstädte Leipzig und Halle (Saale) eine Lagegunst, welche sich in Richtung der Reviergrenzen abschwächt. Das Lausitzer Revier ist in überwiegenden Teilen „peripher“ oder „sehr peripher“ geprägt. Lediglich im Norden und Südwesten des Reviers sind die Ausstrahleffekte der Großstädte Dresden und Berlin und eine damit verbundene „zentrale“ Lage zu beobachten.

Die Karte bildet den Raumtyp Lage sowie die Zentralen Orte in den drei deutschen Braunkohlerevieren ab. Raumtyp Lage in den Braunkohlerevieren Raumtyp Lage in den Braunkohlerevieren

Die verschiedene Raumtypologie der drei Reviere resultiert in einer individuellen Ausgangslage jedes Reviers im Strukturwandel (vgl. Ribbeck-Lampel/Spohr/Otto 2023). Die Nähe zu Arbeitsplätzen und Erwerbstätigen, die Erreichbarkeit von Großstädten sowie die Infrastrukturausstattung seien an dieser Stelle beispielhaft für Einflussgrößen genannt, die sich direkt und indirekt auf den Strukturwandel auswirken können. Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen der Nähe zu Agglomerationszentren und der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit einer Region. Häufig besitzen Regionen, welche gut an städtische Zentren angebunden sind, eine höhere Standortattraktivität gegenüber Unternehmen (vgl. RWI 2017: 196).

Fläche und Bevölkerungszahl

Hinsichtlich ihrer Flächenausdehnung weisen die drei Reviere eine starke Heterogenität auf. Das Rheinische Revier ist mit 4.977 km² das kleinste Revier und nur ungefähr halb so groß wie das Lausitzer (11.727 km²) und das Mitteldeutsche Revier (10.432 km²). Insgesamt umfasst es 15 % der Fläche des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Der Flächenanteil des Lausitzer Reviers an den Bundesländern Brandenburg und Sachsen beträgt jeweils 24 %. Das Mitteldeutsche Revier breitet sich zu 22 und 29 % der Landesfläche über Sachsen und Sachsen-Anhalt aus (vgl. Ribbeck-Lampel/Spohr/Otto 2023: 16 ). Diese Anteile verdeutlichen, dass die räumliche Betroffenheit auf Landesebene unterschiedlich ist.

Das Rheinische Revier ist zwar das flächenmäßig kleinste der drei deutschen Braunkohlereviere, aber mit 2,46 Mio. Einwohnenden das bevölkerungsreichste. Im vergleichsweise großen Lausitzer und Mitteldeutschen Revier leben hingegen nur 1,14 bzw. 1,94 Mio. Menschen (siehe Abbildung 2). Damit geht eine unterschiedlich ausgeprägte Bevölkerungsdichte einher. So ist das Lausitzer Revier mit knapp 98 Einwohnenden/km² dünn besiedelt. Das Rheinische Revier weist mit 493 Einwohnenden/km² eine sehr hohe Bevölkerungsdichte auf, während das Mitteldeutsche Revier mit 185 Einwohnenden/km² zwischen den anderen Revieren liegt.

Auch der Anteil der Bevölkerung, welcher vom Strukturwandel betroffen ist, verteilt sich nicht gleichmäßig über die verschiedenen Bundesländer. In Nordrhein-Westfalen leben 14 % der Menschen im Rheinischen Revier, in Brandenburg ein Anteil von 24 % der Bevölkerung im Lausitzer Revier und in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind sogar 40 % der Menschen vom Strukturwandel tangiert (vgl. Ribbeck-Lampel/Spohr/Otto 2023: 16).

Die Abbildung zeigt die durch verschieden große Kreise abstrahierte Flächengröße der drei Braunkohlereviere auf der linken Seite und deren Bevölkerungszahl auf der rechten Seite. Abstrahierte Reviergröße nach Flächengröße (links) und Bevölkerungszahl (rechts) der drei Braunkohlereviere Abstrahierte Reviergröße nach Flächengröße (links) und Bevölkerungszahl (rechts) der drei Braunkohlereviere

Bevölkerungsentwicklung

Ausgeprägte räumliche Unterschiede zwischen den Braunkohlerevieren lassen sich auch hinsichtlich ihrer demografischen Entwicklung beobachten. Sie ist ein zentraler Standortfaktor für deren ökonomische Entwicklungsperspektive.

Tabelle 2: Demografie der Braunkohlereviere
Lausitzer RevierMitteldeutsches RevierRheinisches Revier
Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR, Regionaldatenbank Deutschland
Bevölkerungsentwicklung
2011-2021- 4,24 %+ 2,38 %+ 3,38 %
2020-2021- 0,39 %- 0,004 %+ 0,32 %
Durchschnittsalter in Jahren
202148,2745,743,95

Im Lausitzer Revier zeichnet sich eine negative Bevölkerungsentwicklung ab. Innerhalb der Reviergrenzen kam es zu einem Bevölkerungsrückgang von über 4 % innerhalb eines Jahrzehnts (siehe Tabelle 2). Diese Entwicklungen finden in allen Landkreisen des Reviers statt, lediglich im an Berlin angrenzenden Landkreis Dahme-Spreewald lässt sich ein Bevölkerungszuwachs beobachten.

Die Lausitzer Bevölkerung wurde nicht nur kleiner, sondern auch älter. Das zeigt ein Vergleich der Alterskohorten zwischen 1995 und 2021. Insbesondere der Anteil der 18- bis 65-Jährigen sank in diesem Zeitraum von 64 % auf 56 %, während sich der Anteil der über 65-Jährigen im selben Zeitraum fast verdoppelte (siehe Abbildung 3). Zwar hat sich dieser Alterungstrend in der Lausitz in den letzten zehn Jahren verlangsamt (2011 = 25 %, 2021 = 28,5 %), setzt sich aber kontinuierlich fort.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Alterskohorten je Braunkohlerevier für die Altersgruppen unter 18, 18 bis 65 und 65 und älter für 1995 und 2021. Entwicklung der Alterskohorten in den Braunkohlerevieren Entwicklung der Alterskohorten in den Braunkohlerevieren

Im Mitteldeutschen Revier setzt sich dieser Trend in Teilen fort. Auch hier schrumpfen die Alterskohorten der unter 18- Jährigen und der 18- bis 65-Jährigen, während die Gruppe der über 65-Jährigen wächst. Der Großstadt Leipzig kommt in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung im Mitteldeutschen Revier eine Sonderposition zu. Mit dem gleichnamigen umgebenen Landkreis ist sie die einzige Region, in der seit 2000 ein durchgängiges Bevölkerungswachstum zu beobachten ist. Das starke Wachstum der Stadt Leipzig sowie die positive Bevölkerungsentwicklung des Oberzentrums Halle (Saale) begründen, warum das Mitteldeutsche Revier in Summe eine positive Bevölkerungsentwicklung aufweist. In allen anderen Landkreisen des Reviers ist die Bevölkerungszahl im letzten Jahrzehnt gesunken.

Auch im Rheinischen Revier ist die Bevölkerung im letzten Jahrzehnt angestiegen, hier jedoch in allen Landkreisen. Die positive Bevölkerungsentwicklung lässt sich somit nicht auf die Entwicklung einzelner Wachstumskerne zurückführen. Ein Blick auf die Alterskohorten zeigt auch hier, dass die Gruppe der über 65-Jährigen seit 1995 angewachsen ist, während der Anteil der unter 18-Jährigen sowie der 18- bis 65-Jährigen gesunken ist. Diese Entwicklungen sind jedoch nicht so stark ausgeprägt wie im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier.

Die demografischen Entwicklungen in den Revieren zeigen Parallelen zu den Entwicklungen auf Bundesebene. Während die Bevölkerung in Großstädten weitgehend stabil bleibt, kommt es in den peripheren ländlichen Regionen zu rückläufigen Entwicklungen. Demzufolge geht die Bevölkerung insbesondere in den beiden eher ländlich geprägten ostdeutschen Revieren zurück, wobei die Abnahme der Bevölkerung besonders in der für wirtschaftliche Entwicklungen relevanten Altersgruppe der 18- bis 65-Jährigen zu beobachten ist (vgl. RWI 2017: 212). Dabei hat die Lausitz den geringsten Anteil der 18- bis 65-Jährigen und zugleich den größten Anteil über 65-jähriger Menschen aufzuweisen. Dies wirkt sich negativ auf das Erwerbspersonenpotential aus und vergrößert die Notwendigkeit, Fachkräfte durch Zuwanderung zu gewinnen.

Fazit

Suggeriert der Begriff „Revier“ zwar eine vermeintliche Ähnlichkeit, offenbaren sich bereits anhand der räumlichen sowie demografischen Strukturen erhebliche Unterschiede zwischen den drei Braunkohleausstiegsregionen. So profitiert das Rheinische Revier von seiner überwiegend sehr zentralen Lage, die sich positiv auf die Standortattraktivität für die Ansiedlung von Unternehmen auswirken kann (vgl. RWI 2017: 196). Denn Unternehmen suchen zugunsten der Bildung von regionalen Innovationsclustern die räumliche Nähe regional verankerter Unternehmen (vgl. Heidenreich und Mattes 2021). Dies gilt ebenso für die Verdichtungsräume im Mitteldeutschen Revier, rund um die Zentren Leipzig und Halle (Saale), und in deutlich abgeschwächtem Maße für das einzige Oberzentrum im Lausitzer Revier, die Stadt Cottbus.

Das ländlich geprägte Lausitzer Revier und die peripheren Lagen des Mitteldeutschen Reviers haben im Hinblick auf ihre Flächenreservoirs aber auch Vorteile gegenüber dem Rheinischen Revier. Zwar findet die Ansiedlung erneuerbarer Energien auf ehemaligen Flächen des Braunkohletagebaus in allen drei Revieren statt, allerdings ist die Flächenverfügbarkeit für größere Transformationsflächen (über 100 ha) zur Ansiedlung CO2-neutraler Zukunftsindustrien im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier größer.

Dagegen profitiert das Rheinische Revier bei der kurz- und mittelfristigen Bewältigung des Strukturwandels im Hinblick auf das Fachkräfteangebot von seiner positiven demografischen Entwicklung. Dennoch ist auch dort die Notwendigkeit gegeben, Fachkräfte aus dem Binnenraum Deutschlands und dem Ausland anzuwerben, um die Strukturwandelvorhaben erfolgreich umzusetzen. Die „Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH“ (2021) rechnet durch die strukturpolitische Intervention je nach Szenario mit mehreren tausend bis zu zehntausenden zusätzlichen Arbeitsplätzen für das Rheinische Revier (vgl. Kempermann et. al 2021). Die Anwerbung von externen Fachkräften wird angesichts der demografisch rückläufigen Entwicklungen in den ländlich geprägten Landkreisen des Mitteldeutschen Reviers und in der demografisch schrumpfenden Lausitz im Vergleich zum Rheinischen Revier ein Kraftakt.

Kontakt

  • Dr. Anika Noack
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Kompetenzzentrum Regionalentwicklung Cottbus
    Referat SR 1 „Transformation“
    Telefon: +49 355 121004 60
    E-Mail: anika.noack@bbr.bund.de

  • Hanne Selling
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Kompetenzzentrum Regionalentwicklung Cottbus
    Referat SR 1 „Transformation“
    Telefon: +49 30 18401 7995
    E-Mail: hanne.selling@bbr.bund.de

  • Dr. Juliane Ribbeck-Lampel
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Kompetenzzentrum Regionalentwicklung Cottbus
    Referat SR 2 „Regionale Strukturpolitik, Raumentwicklungsförderung“
    Telefon: +49 30 18401 7994
    E-Mail: juliane.ribbeck-lampel@bbr.bund.de

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