Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Dokumenttyp: Fachbeitrag Datum 19.08.2022 Cluster Kleinstadtforschung

Einleitung

Spätestens mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie erfuhren Kleinstädte als begehrte Wohn- und Lebensorte eine hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit (vgl. Müller 2020; Oberst/Voigtlände 2021: 283 ; Gerth 2021; Leitel 2021).

Auch in der Wissenschaft wurden Kleinstädte lange nicht beachtet bzw. systematisch beforscht. Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahren zunehmend (vgl. Mayer 2021a: 150 f.; ARL 2019; Steinführer/Sondermann/Porsche 2021: 18 f.). Trotzdem werden Kleinstädte in der (Fach-)Öffentlichkeit ebenso wie in der politischen Diskussion weiterhin schnell den ländlichen Räumen zugeordnet oder verschwinden in der Mischkategorie „Klein- und Mittelstädte“. Kleinstädte bilden jedoch einen eigenen, wichtigen Stadttyp im polyzentrischen Siedlungssystem Deutschlands (vgl. Porsche/ Steinführer/Sondermann 2019: 3; Milbert/Porsche 2018: 6, 19).

Anliegen des Cluster Kleinstadtforschung des BBSR ist es, sich der komplexen Wirklichkeit der Kleinstädte sowie ihrer Vielfalt zu nähern. Dazu bedarf es einer Verbindung aus quantitativen und qualitativen Methoden in den unterschiedlichen Forschungs- und Förderformaten des Bundesbauministeriums und des BBSR.

Anlass

Was eine Kleinstadt ist, ist nicht genau definiert. Das BBSR nutzt hierfür seine eigene Abgrenzung der Stadt- und Gemeindetypen (>> weitere Informationen). Kleinstädte sind Gemeinden und Gemeindeverbände mit einer Einwohnerzahl zwischen 5.000 und 20.000 Einwohnern oder mindestens mittelzentraler Teilfunktion. Die Kleinstädte sind jedoch nicht nur bezüglich ihrer Bevölkerungsgröße, sondern auch hinsichtlich ihrer Flächenausdehnung und Siedlungsstruktur sehr vielfältig. Zahlreiche Kommunalreformen seit den 1970er-Jahren in Westdeutschland und seit dem Jahr 1990 in Ostdeutschland führten zu teils großflächigen Kleinstädten, die nicht nur einen Stadtkern, sondern mehrere Siedlungsschwerpunkte besitzen. Die Anzahl ihrer Ortsteile kann zwischen 20–50 betragen. Im Vergleich: Manche Großstädte haben weniger Stadtbezirke. Diese unterschiedlichen Strukturen lassen sich gut über Rasterdaten visuell veranschaulichen.

Die Bedeutung der über 2.100 Kleinstädte als Wohn-, Lebens- und Arbeitsorte, aber auch als Orte der Wirtschaftsentwicklung, des Klimaschutzes und der Klimaanpassung sowie für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland, wurde lange nicht beachtet. Dabei lebt hier ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands. Kleinstädte umfassen mit 46,5 % den größten Flächenanteil und sind mit 46,0 % der Gemeinden und Gemeindeverbände die größte Gruppe der Stadttypen in Deutschland.

Die Karte zeigt die Verteilung der Kleinstädte in Deutschland. Größere Kleinstädte sind in dunkelblau, Kleine in hellblau dargestellt. Die Groß- und Mittelstädte, Landgemeinden sind über drei unterschiedlich große graue Punkte eingefügt. Lage von Kleinstädten sowie der übrigen Stadt- und Gemeindetypen in Deutschland 2020

Die Grafik stellt drei Säulendiagramme mit jeweils vier Säulen für Groß-, Mittel- und Kleinstädte sowie Landgemeinden dar. Diese zeigen die  prozentuale wie Verteilung in absoluten Zahlen für Stadt- und Gemeindetypen, Flächenanteile, Bevölkerung. Säulendiagramm Bedeutung der Kleinstädte als Stadttyp in Deutschland 2019

Die Abbildung stellt neun unterschiedliche Kleinstädte in ihrer Flächengröße (in km²), ihrer Einwohnerzahl sowie dem jeweiligen Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche dar. Grafik Siedlungsstrukturen Siedlungsstrukturen von Kleinstädten in ihren extremen Ausprägungen 2019

Über die statistischen Merkmale hinaus sind Kleinstädte durch vielfältige Herausforderungen geprägt, die sich räumlich unterschiedlich stark ausprägen. So sind zum Beispiel Wohnungs- und Immobilienmärkte in Kleinstädten im Umfeld von Ballungsräumen durch Wanderungsgewinne und die damit verbundenen Aufgaben zur Schaffung von Wohn- wie auch Gewerbeflächen angespannt. Im Gegensatz dazu stellt sich für Kleinstädte in peripheren Lagen nicht selten die Herausforderung bei Abnahme oder Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung gleichzeitig einen attraktiven Wohnungs- und Immobilienmarkt zu schaffen und zudem den ortsbildprägenden Bestand zu erhalten (vgl. BBSR o. J.; Milbert/Porsche 2021). Vielfältige Herausforderungen und Chancen stehen somit oft dicht beieinander und stellen in den über 2.100 Kleinstädten in Deutschland eine eigene Komplexität dar. Blaupausen aus der Großstadtforschung, -planung und -entwicklung lassen sich darauf nicht übertragen. Hier spielen nicht nur andere räumliche Strukturen eine Rolle, sondern auch die geringere personelle Ausstattung und damit weniger ausdifferenzierte Strukturen der Verwaltungen.

Kleinstadtforschung des BBSR

In der Forschung wurden Kleinstädte lange nicht als eigenständiger Stadttyp betrachtet. In Zyklen fanden sie mal mehr und mal weniger Beachtung. Konjunktur hatte der Forschungsgegenstand „Kleinstädte“ in den 1970er-Jahren mit einem stark soziologischen Fokus sowie in der Zeit der Wiedervereinigung der 1990er-Jahre, in der sich die Kleinstadtforschung stark auf die neuen Bundesländer und vor allem das Krisenhafte dieses Stadttyps bezog. Dabei handelte es sich meist nur um thematische Einzelfallstudien, regionale Betrachtungen und wenige umfassendere Arbeiten zu Klein- und Mittelstädten. Mit der Veröffentlichung zu Klein- und Mittelstädten in Deutschland (vgl. BBSR 2012) setzte das BBSR im Jahr 2012 ein deutliches Zeichen in der Forschungslandschaft. Bundesweit werden dort beide Stadttypen aus unterschiedlichen thematischen Blickwinkeln betrachtet bzw. analysiert.

Damit begann im BBSR eine intensive Beschäftigung mit dem Stadttyp der Kleinstädte, ihren Strukturen, Potenzialen, Chancen wie auch Herausforderungen. Insbesondere der Zugang des BBSR über quantitative Analysen führte zu einem ergänzenden Blick auf die bestehenden, überwiegend soziologisch geprägten qualitativen Forschungen. Die Studie und ihre Ergebnisse waren Impuls und Anlass, sich Kleinstädten stärker zuzuwenden.

Heute hat sich im BBSR ein Cluster „Kleinstadtforschung“ etabliert, das – quantitativ wie qualitativ – sowohl aus verschiedenen Referaten und Perspektiven als auch referatsübergreifend und interdisziplinär die Entwicklung von Kleinstädten beforscht. Verschiedene Forschungsvorhaben zeigen, dass Kleinstädte zu Innovationspotentialen, lebendigen und attraktiven Räume mit hoher baukultureller Qualität beitragen. Weitere Forschungsthemen umfassen die Bedeutung und Wirkung der lokalen Wirtschaft für Kleinstädte und ihren Stadträumen sowie Strategien zur Sicherung lebendiger und nutzungsgemischter Wohn- und Versorgungsstandorte. So befinden sich beispielsweise über 500 der fast 1.700 Hidden Champions in Kleinstädten.

Sehr deutlich konnte die bisherige Forschung des BBSR die Bedeutung der Kleinstädte für eine ausgewogene Entwicklung aller Teilräume Deutschlands belegen und damit wichtige Erkenntnisse für die Stadt- bzw. Regionalentwicklungs- sowie Bundespolitik erarbeiten. Eine zentrale Aussage ist, dass die Sicherung der gleichwertigen Lebensverhältnisse ohne die Stabilisierung und Unterstützung der Kleinstädte nicht möglich ist.

Neben der Forschung des BBSR zählt auch der Blick auf andere europäischen Länder und die Zusammenarbeit mit Partnern wie der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) oder den Fachinstituten für Ländliche Räume des Thünen-Instituts zu einer wichtigen Säule der Kleinstadtforschung.

Auf Grundlage der bisherigen Vorhaben und Erkenntnisse intensiviert das BBSR die Forschung mit und für Kleinstädte, um Wissen und Erkenntnisse für die Politikberatung zu generieren und für die Akteure in den Kleinstädten zugänglich zu machen.

Die Grafik zeigt die Entwicklung des Clusters Kleinstadtforschung auf, beginnend im Jahr 2015. Die unterschiedlichen Produkte und Vorhaben des Forschungsclusters, wie Publikationen und Forschungsprojekte, sind auf dieser Webseite dokumentiert. Grafik Kleinstadtforschung im BBSR

Ziel des Forschungsclusters

Innerhalb des Forschungsclusters werden Kleinstädte sowohl als eigenständiger Forschungsgegenstand als auch im Verhältnis der Gesamtheit der Stadt- und Gemeindetypen untersucht, um die Ergebnisse der Wissenschaft, der Fachöffentlichkeit und den verschiedenen Kleinstadtakteuren zur Verfügung zu stellen. Der räumliche Kontext, das Zusammenspiel mit sowie die Abgrenzung zu den weiteren Stadt- und Gemeindetypen wird durch die Kleinstadtforschung im BBSR deutlicher herausgearbeitet, um Kleinstädte stärker in den fachlichen Fokus zu rücken, den Wissenstransfer für die einzelnen Interessensgruppen zu steigern und im Rahmen der wissenschaftlichen Politikberatung präzisere Aussagen treffen zu können.

Darüber hinaus erhalten Kleinstädte und ihre Akteure die Möglichkeit, aus den theoretischen und empirischen Forschungsergebnissen sowie insbesondere aus den qualitativ ausgerichteten und praxisnahen Modellvorhabenwichtige Erkenntnisse für ihre Stadtentwicklung zu ziehen. Die Kleinstadtakademie liefert für diesen Wissenstransfer und den Austausch der Akteure aller Kleinstädte die geeignete Plattform.

Bild 1

Bild / Video 1 von 6

Das Foto zeigt ein Produktionswerk der Firma Kendrion in Malente, das in eine Landschaft aus Feldern, Wald und Seen eingebettet ist. Hidden Champion in der Kleinstadt Malente: die Werke der Firma Kendrion

Kontakt

  • Antonia Milbert
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat SR 3 „Menschen und Regionen im Wandel – Subjektive und objektive Indikatoren“
    Telefon: +49 30 18401-2256 und +49 355 121004-6801
    E-Mail: antonia.milbert@bbr.bund.de

  • Lars Porsche
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat RS 7 „Baukultur, Städtebaulicher Denkmalschutz“
    Telefon: +49 228 99401-2351
    E-Mail: lars.porsche@bbr.bund.de

  • Christoph Vennemann
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat RS 7 „Baukultur, Städtebaulicher Denkmalschutz“
    Telefon: +49 228 99401-1246
    E-Mail: christoph.vennemann@bbr.bund.de

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