Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Jugendliche im Stadtquartier

Veranstaltungsdokumentation

Abschlusstagung – "Junge Impulse für die Stadtentwicklung"
am 18. und 19. Februar 2010 in Kassel

Donnerstag, 18. Februar 2010

Nach einer Begrüßung durch Manfred Hilgen (BMVBS) gaben Stephanie Haury und Stephan Willinger (BBSR) eine Einführung ins Forschungsfeld und stellten zentrale Erkenntnisse aus Sicht des Bundes vor. Die Schwerpunkte setzten die beiden dabei zum einen auf erfolgversprechende Methoden: Aktionsorientiert zu beteiligen und Dinge erst einmal auszuprobieren seien für viele Jugendliche wichtige Ansätze, damit die Motivation geweckt werde und erhalten bleibe. Zum anderen thematisierten die beiden Wissenschaftler den Reiz des Ungewohnten und der Brüche in der Stadt. Andere Orte zu bauen und die Stadt neu zu sehen, seien wichtige Impulse, welche die Jugendlichen für die Entwicklung ihrer Städte lieferten. Es komme auf die langfristige Verankerung einer neuen Beteiligungskultur an, in der Jugendliche einen wichtigen Platz einnähmen.

Silke Edelhoff (JAS e.V) und Cornelia Eschweiler (Jugendbotschafterin aus Aachen) stellten die zentralen Forderungen vor, die auf dem Workshop "Jugend.Stadt.Labor 2009" erarbeitet wurden. Am Jugendworkshop "young cities now!" in Berlin nahmen Jugendliche aus fast allen Modellvorhaben teil und setzten sich mit dem Thema Stadt und ihren Bedürfnissen auseinander. Sie erarbeiteten eine Jugendcharta, die direkt an Entscheidungsträger im BMVBS gegeben wurde. Das Manifest mit dem Titel "Lebe Deine Stadt – neues gemeinsam vorwärts bringen" kann unter http://youngcitiesnow.de/manifest/ eingesehen werden.

Zwei Podiumsdiskussionen, an denen jeweils vier Modellvorhaben und vier Experten beteiligt waren, bildeten den Schwerpunkt des ersten Tages. Auf der ersten Podiumsdiskussion stellten vier Modellvorhaben ihre Projekte unter folgenden Schwerpunkten vor:

  • Marco Clausen und Robert Shaw: Stadtsafari 2.0 (Berlin) - Jugend erobert Freiräume in Kreuzberg
  • Todde Kemmerich und Momo Streim: SüdWestLabor Fliegendes Bauwerk (Bergheim) - Innovative bauliche Lösungen finden
  • Steffen Präger und Stephan Rothe: Ladebalken (Erfurt) - Wir fürs Quartier - ein Fonds für Jugendprojekte
  • Jutta Küppers und Sirus Kestel: Platz da?! (Fürth) - Einbeziehung der Jugendlichen über Marketingmethoden

Die zweite Podiumsdiskussion über "Junge Impulse" hatte stärker die Stadtteil- und Metaebene im Blick. Die vier Modellvorhaben, die sich präsentierten, nahmen die folgenden Themen in den Blick:

  • Katrin Weber und Sven Riemer: Jugend im Bildhauerviertel (Leipzig) - Aneignung bestehender Gebäude durch Jugendliche
  • Heidrun Eberle und Sebastian Ring: Modul 7 (München) - Stadtteilerkundung und Aktivierung durch neue Medien
  • Claudia Schoch und Nadine Tita: Jugend-Check-Impulse für Duisburg 2027: Jugendliche beeinflussen strategische Planungen
  • Carsten Schoch und Karin Diekstall-Heuser: Donnerschwee wird freizeitfit (Oldenburg): Jugendliche in klassische Planungsaufgaben einbinden

Neben vertieften Nachfragen zu einzelnen Aspekten bestimmter Modellvorhaben beschäftigten sich die beiden Podiumsdiskussionen vor allem mit zwei übergeordneten Themen. Zum einen wurde diskutiert, welches Beteiligungsverständnis unserem Handeln zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, welche Rolle der Raum und damit auch die Stadtplanung in der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, Jugendliche in die Gesellschaft einzubinden, leisten kann. Zudem forderten die Teilnehmenden eine stärkere (verbindliche) Verankerung von Jugendbeteiligung in das Verwaltungshandeln. Weiterhin wurde unterstrichen, dass es mit Verwaltungsabläufen nicht getan sei, sondern dass eine veränderte Beteiligungskultur eigentlich eine andere Baukultur einschließt und eine Anstrengung vieler unterschiedlicher Akteure erfordert. Hervorgehoben wurde zudem die Rolle einer baukulturellen und demokratischen Bildung für Jugendliche, die es zu etablieren gelte.

Freitag, 19. Februar 2010 – Weltcafé junge Impulse für die Stadtentwicklung

Der zweite Tag der Tagung war dem Erfahrungsaustausch der Modellvorhaben und der abschließenden Bewertung der vergangenen Monate gewidmet. In dem Weltcafé "Junge Impulse für die Stadtentwicklung" bearbeiteten die Teilnehmer insgesamt elf Fragen, die im Interesse des Forschungsprojektes liegen:

  1. Jugendlicher ist nicht gleich Jugendlicher: Skizzieren und beschreiben Sie "Typen" von Jugendlichen und deren speziellen Bedürfnisse an ihr Lebensumfeld (soweit Sie sie kennen)!
    >> Jugendliche sind sehr heterogen und unterscheiden sich auch bezüglich ihrer Nutzung von Stadt und den Ansprüchen an diese erheblich. Hierauf müssen Projekte reagieren. Ein wichtiges Thema ist immer wieder die Verfügungsgewalt über Räume bzw. der Umgang mit den Jugendlichen in Konfliktsituationen.
  2. Jugendliche und die anderen Generationen: Was geht zusammen, wo bestehen Unverständnis, Abgrenzung und das Bedürfnis nach eigenen Räumen? Was sind hier konstruktive Ansätze, um Konflikte zu mindern?
    >> Hier wurden von den Teilnehmern vor allem der mangelnde Kontakt zwischen den Generationen und die Notwendigkeit zur neuen Inszenierung von Begegnungen thematisiert.
  3. Aus Ihren Erfahrungen im Projekt: Skizzieren und erläutern Sie gemeinsam auf dem Tisch das perfekte Stadtquartier für Jugendliche!
    >> Die Teilnehmer waren sich einig, dass ein Stadtquartier nicht "perfekt" sein kann und soll, sondern dass Konflikte um die Ressource Raum dazugehören. Die Kultur der Aushandlungsprozesse muss sich jedoch ändern, so dass Jugendliche mehr Chancen haben, für ihre Interessen einzustehen. Ein weiteres zentrales Anliegen der Teilnehmer war die langfristige Sicherstellung der Veränderbarkeit städtischer Räume durch die Bewohner, also auch durch die Jugendlichen.
  4. Der Prozess im Projekt: Jugendliche aktivieren, Motivation halten, Kreativität unterstützen - Was sind die Empfehlungen für Nachahmer? Wo waren Stolpersteine und Hemmnisse im Projekt; was hat gar nicht geklappt? Was sind Ansätze, mit solchen Momenten umzugehen?
    >> Die Teilnehmenden waren sich einig, dass vor allem umfassende und vielfältige Strategien zum Erfolg führen. Essentiell sind persönliche Kontakte, vorhanden Netzwerke und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Sehr erfolgreich wurden auch peer-to-peer Ansätze bewertet. Es wurde zudem gefordert, Jugendbeteiligung in der Stadtentwicklung zu verstetigen, da so langfristige Strukturen aufgebaut und gleichzeitig für besondere zusätzliche Projekte genutzt werden können.
  5. Von der Vision zur Realität - Höhenflug oder Absturz? Was ist aus den Ideen und Erwartungen der Projektinitiatoren geworden?
    >> Die Teilnehmenden stellten fest, dass sich ihre Visionen teilweise stark von denen der Jugendlichen unterschieden. Der (oft von außen herangetragene) Erfolgsdruck, der manchem experimentellem Charakter entgegen steht, wurde thematisiert. Die Jugendlichen wollten ein Produkt mit akzeptierter Teilhabe, also raus aus der Nische. Es wurde immer wieder hervorgehoben, dass Jugend keine besonders Bedürftigen sind, sondern sie sind ein Teil der Gesellschaft. So müssen sie wie auch andere Gruppen lernen, sich für ihre Ziele einzusetzen. Dabei besteht der Lernprozess auch darin, dass sich nicht jeder Wunsch erfüllen lässt; dass es dabei Abhängigkeiten gibt und auch unterschiedliche Machtkonstellationen.
  6. Die baulichen Produkte: Was sind innovative und erfolgreiche bauliche oder stadträumliche Produkte in den Modellvorhaben? Was macht ihre Essenz aus? Warum sind sie für die Jugendlichen ein Beitrag zu mehr Lebensqualität?
    >> Die Gebäude und Orte, die Jugendliche in der Stadt nutzen und adaptieren, bieten ihnen andere Angebote als jene, die sie zu Hause antreffen. Die Orte fungieren dabei sehr unterschiedlich: vom "geschützten Raum" in dem man "chillen" und entspannen kann bis zur städtischen Bühne, auf der man sich präsentiert und sich der Begegnung mit der Erwachsenenwelt stellt. Die notwendige Ausgestaltung und Organisation von baulichen Produkten wurde von den Teilnehmern sehr kontrovers diskutiert.
  7. Die "strukturellen" Produkte: Was haben die Projekte auf der lokalen und stadtweiten Ebene angestoßen? Welche Strukturen haben sich geändert, welche müssen noch geändert werden, damit Jugendliche mehr Möglichkeitsräume bekommen? Wo bestehen konkrete Ansätze, gerade das Thema Stadtplanung und Jugendbeteiligung strukturell enger zu verzahnen?
    >> In den Städten der Modellvorhaben haben die Jugendlichen eine geänderte Wahrnehmung ihrer Interessen angestoßen. Voraussetzung für einen strukturellen Wandel ist – und da waren sich alle einig – die Veränderung der Haltung der Akteure gegenüber Jugendinteressen. Eine formelle und normative Konkretisierung der Jugendbeteiligung z.B. im Baugesetzbuch kann hilfreich sein. Sie bietet aber für die Praxis nicht ausreichende Lösungen. In konkreten Planungsprozessen sind Kooperationspartner in der Verwaltung oder Vermittler zwischen den unterschiedlichen Handlungsebenen gefragt.
  8. Thema Nachhaltigkeit: Was bleibt von den Projekten? Wie können gute Ansätze weiter aufrechterhalten werden?
    >> Die Teilnehmenden unterschieden zwischen den (Nach-)wirkungen der Projekte für die beteiligten Jugendlichen und den Wirkungen in Akteurskreisen und Quartieren. Positiv sehen die Teilnehmenden die Anstoßwirkung der Projekte und die erlebten Erfolge, die bei Akteuren sowie Jugendlichen weiteres Engagement produzieren können. Für eine lokale Nachhaltigkeit können insbesondere die aufgebauten Netzwerke und Kooperationen sorgen. Schwierig wird hingegen die temporäre und auf Projekte bezogene Begrenzung gesehen, so dass ggf. einiges an Impulsen und Engagement verloren gehen wird. Daher betonen die Teilnehmenden die Sinnhaftigkeit einer stetigen Jugendbeteiligung.
  9. Die Geister, die ich rief ... Wie können Kommunen und andere Akteure den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegen kommen? Wie kann lokales Engagement von Jugendlichen produktiv für die Quartiersentwicklung genutzt werden?
    >> Es wurden von den Teilnehmern zwei Strategien eingebracht, mit denen die Berücksichtigung von Jugendinteressen in der kommunalen Praxis stärker verankert werden sollen, die zum Teil kontrovers diskutiert wurden. Zum einen die Einrichtung verbindlicher gesetzlicher Vorgaben zur Jugendbeteiligung (Beteiligungspflicht im Rahmen von Bauleitplanung etc.), zum anderen das Etablieren einer "Ermöglichungskultur" in kommunalen Verwaltungen über gute Beispiele. In der Diskussion wurde deutlich, dass beide Strategien – formale sowie ideelle Verankerung der Jugendbeteiligung – parallel verfolgt werden sollten.
  10. Handlungsempfehlungen an den Bund: Was kann der Bund tun, damit Jugendliche mehr Möglichkeitsräume in der Gestaltung ihrer Lebenswelt bekommen? Was wären wichtige Ansätze in Förderprogrammen (z.B. Soziale Stadt, Stadtumbau, ...)?
    >> Die Teilnehmer begrüßten die Förderung der Modellvorhaben. Sie wünschen sich vom Bund für eine größere Breitenwirkung weitere Projektmittel, insbesondere eine
    Ausweitung der Jugendaktionsfonds. Allerdings können diese aktionsorientierten Aktivitäten verlässlich dauerhafte Strukturen in der Jugendarbeit nicht ersetzen. Der Bund sollte gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Belange Jugendlicher in bestehende Instrumente der Städtebauförderung wie z.B. in die Programme Stadtumbau, Soziale Stadt, Städtebaulicher Denkmalschutz und deren Beteiligungsprozesse verbindlich festlegen. Die Teilnehmer waren sich einig, dass für eine gelebte Beteiligungskultur die gesamte Gesellschaft verantwortlich ist (Eltern, Kindertagesstätte, Schule, Kommune, Land und Bund). Dabei sollte sich die Beteiligung von Jugendlichen nicht nur auf die Aktivierung von Brachflächen und temporären Räumen beschränken.
  11. Wie weiter? Wenn Sie als erste "Generation" von Jugend-Modellvorhaben weitere Projekte als neue Modellvorhaben auswählen dürften: Mit welchen Themen und Problemstellungen sollten sich zukünftige Modellvorhaben beschäftigen? Welche Methoden sollten unbedingt mal ausprobiert werden?
    >> Viele Modellvorhaben bedauern die kurze Laufzeit des Forschungsprojektes. Es ist ein Netzwerk entstanden, in dessen Rahmen ein Austausch über innovative Konzepte der Jugendbeteiligung möglich ist. Es wird eine Verlängerung empfohlen, um echte Vorbildprojekte für die Praxis in Deutschland zu entwickeln und die Möglichkeiten der Verstetigung des Begonnenen zu prüfen. Bei der Beschäftigung mit Jugend in der Stadtentwicklung geht es um ein neues Stadtverständnis. Jugendliche wollen Stadt als Möglichkeitsraum nutzen! Dafür brauchen sie keine zugewiesenen Räume, sondern eine möglichst flexible und grundsätzlich für alle offene Raumstruktur. Und sie brauchen eine Ermöglichungskultur, die Jugendliche bei der Aneignung der Stadt unterstützt.

Nachdem in insgesamt vier Runden die Themen der elf Tische von unterschiedlichen Gruppen von Teilnehmenden diskutiert wurden, fassten Stephanie Haury und Klaus Habermann-Nieße die Ergebnisse des Weltcafés zusammen. Die Veranstaltung wurde durch Anja Röding und Jaqueline Modes vom BMVBS abgeschlossen.

Fazit zur Tagung

Auf der Tagung "Junge Impulse für die Stadtentwicklung" entwickelten sich im Austausch und Diskurs der unterschiedlichen Teilnehmer eine Synthese und Verdichtung bisheriger Erkenntnisse. Insbesondere die Podiumsdiskussionen und das "Weltcafé" am zweiten Tag lieferten wichtige Anstöße für die bald erscheinende Publikation und trugen dazu bei, die weitere Ausrichtung des Forschungsprojektes in seinen Schwerpunkten zu schärfen. Die Tagung bot für die Teilnehmenden sehr gute Möglichkeiten des fachlichen Austauschs und der weiteren auch über das Forschungsprojekt hinaus gehenden Vernetzung. Die Tagung war ein erfolgreicher und für alle Beteiligten motivierender Abschluss des Forschungsprojektes "Jugendliche im Stadtquartier 2009".

Programm der Tagung (>> weitere Informationen)

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