Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Forschungsprojekt: Potenziale von Kleinstädten in peripheren Lagen

Ergebnisse

Im Mittelpunkt des Forschungsfeldes standen die Prozesse einer gemeinschaftlichen Kleinstadtplanung mit dem Ziel einer (Neu-)Orientierung und Zukunftsvision, die von der Kleinstadtgemeinschaft getragen und umgesetzt werden kann. Zentral waren dabei die Fragen, wie die Kleinstadt zukunftsfähig und lebenswert bleiben bzw. auch für andere lebenswert werden kann, welche bisher nicht erkannten bzw. genutzten Potenziale dazu beitragen können und welche tradierten Handlungsmuster wie -pfade überdacht, neu ausgerichtet und ggf. auch verlassen werden müssen. Aufgabe des Forschungsfeldes war es, diesen Prozess zu ermöglichen, fachlich zu unterstützen sowie einen organisatorischen und methodischen Rahmen zu schaffen. Informationen zum Forschungsansatz und zum Methodeneinsatz finden Sie unter folgendem Link:

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Methoden und Instrumente

Szenarioprozesse als Weg zu einem gemeinsam getragenen Zukunftsbild

Als Fazit zur Anwendung der Szenariomethode kann festgestellt werden, dass ein normativer, narrativer, auf Wunschbilder ausgerichteter Szenarioprozess geeignet ist, einen guten, öffnenden Impuls für einen kooperativen Stadtentwicklungsprozess zu geben. Die besondere Stärke der Szenariomethode ist die spielerische Auseinandersetzung mit der Zukunft und der Lebensqualität der Stadt. Hinzu kommen eine positive Gruppendynamik, ein gemeinsam erarbeiteter Konsens sowie das ganzheitliche, leicht verständliche Ergebnis. Die Teilnehmenden sehen eine neue Qualität des Miteinanders und die bewusstere Auseinandersetzung mit der Vielfalt der eigenen Stadt. Es kann so vor Ort eine neue Form bzw. Kultur von Planung befördert werden: partizipativ, ganzheitlich orientiert und strategisch fokussiert. Der aktive Szenarioprozess wird nicht mit dem Zukunftsbild der Stadt beendet – sondern dieses leitet die inhaltliche Ausrichtung von Leitprojekten und Handlungsfeldern und ist damit Grundlage für verbindliche Folgeplanungen. Erste Umsetzungen von Projektideen aus den Werkstätten können – und sollten – immer noch während des laufenden Prozesses und zeitnah anschließend an die Erstellung des Zukunftsbildes erfolgen. Häufig bedarf es dafür nur geringer Investitionskosten – zeigt aber den Teilnehmenden der Beteiligungsformate, dass Engagement und Bürgerbeteiligung erfolgreich ist.

Kreativtechniken wie narrative Szenarios ersetzen jedoch kein analytisches Denken. Sie können vielmehr als Brücke zwischen analytisch orientierter Planung und kreativitätsorientierter Visionsentwicklung verstanden werden. Sie müssen mit „klassischen“ Methoden der Stadtplanung und der integrierten Stadtentwicklung sinnvoll verknüpft werden. Entsprechend wurden bereits parallel zum Szenarioprozess oder daran anschließend in den beteiligten Kommunen Handlungskonzepte und Strategiepapiere erarbeitet, um die Ergebnisse (Handlungsfelder, Leitprojekte, kurzfristig umzusetzende Starterprojekte) strategisch zu bündeln und für ihre nachfolgende Umsetzung zu operationalisieren.

Anwendung der Szenariomethode siehe: >> weitere Informationen

Jugend-BarCamps als ergänzendes Format der Beteiligung

Das Verständnis der kooperativen Kleinstadtplanung schloss im Forschungsfeld eine aktive Jugendbeteiligung in den Modellvorhaben ein. Als Format kam das Jugend-BarCamp zum Einsatz.

Wesentliches Fazit ist, dass Jugendliche ein Interesse haben, sich für ihre eigene Sache einzusetzen. Sie haben eine eigene Sicht auf ihre Stadt. Und sie haben Wünsche und konkrete Vorstellungen für Veränderungen. Es macht ihnen Freude, miteinander Themen zu diskutieren, Ideen zu sammeln und Lösungen für jugendspezifische Verbesserungen in ihrer Kleinstadt zu finden. Dafür brauchen sie keinen vorgegebenen festen Rahmen und keine Anleitung durch Erwachsene, sondern sie können mit ein paar einfachen Regeln (und vorherigem Ausprobieren) selbst das Diskutieren, Ideenfinden und das Arbeiten an Fragestellungen und Lösungen organisieren. Ihre Wünsche und Ideen sind realitätsnah und orientieren sich an ihren Lebenswelten. Um diese zu artikulieren, benötigen sie offene, selbstorganisierte und flexible Formate. Die gewählte Methode Jugend-BarCamp ist jugendgerecht aber anspruchsvoll. Sie eignet sich als Einstieg in und Anstoß für eine kontinuierliche Jugendbeteiligung. Sie sollte aber nicht die ausschließliche Methode für Jugendbeteiligung bzw. den Einstieg in die Jugendbeteiligung sein. Der Impuls des Jugend-BarCamps wurde in den meisten Modellvorhaben aufgegriffen und in weiterführende Aktivitäten der Kommunen überführt, sowohl zur weiteren Beteiligung als auch zur Entwicklung und Umsetzung konkreter Projektideen. Für eine nachhaltige Jugendbeteiligung hatten sich bereits vor dem ExWoSt-Forschungsfeld kontinuierliche Angebote wie Jugendsprechtag, Jugendparlamente, Jugendbeiräte bewährt und werden dementsprechend fortgeführt.

Anwendung des Instruments Jungend-BarCamps siehe:
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Beteiligungsformate der Modellvorhaben

In den Modellvorhaben kamen eine Vielzahl von individuellen, durch die lokalen Projektagenturen initiierten Informations- und Beteiligungsformate zum Einsatz, die den Szenarioprozess und die Jugend-BarCamps weit über die klassische Öffentlichkeitsarbeit unterstützten.

Es konnten grundlegend drei Kategorien unterschieden werden:

  • Formate, die auf das Sammeln und Entwickeln von Ideen abzielen, dabei aber auf einzelne Themen, Orte in der Stadt oder spezifische Zielgruppen zugeschnitten sind,
  • Formate, die auf ein Sammeln von Ideen in der Breite abzielen,
  • Formate die dazu dienen, Informationen zum Prozess in die Breite der Stadtgesellschaft zu tragen.

Es kann eingeschätzt werden, dass eine gute Mischung der Formate auch zu guten Ergebnissen und einem anhaltenden Prozessinteresse der Stadtgesellschaft führt. Insbesondere das Sammeln von Ideen in der Breite birgt die Gefahr des „Verzettelns“. Mit der großen Zahl von Anregungen und Themen muss nachfolgend auch konstruktiv umgegangen werden können.

Erfolgreich und prozessstützend waren die Formate, die auf einzelne Inhalte, Orte, Zielgruppen zugeschnitten waren. Sie gaben dem Prozess frühzeitig Struktur, bündelten die Anliegen der Akteure und hielten diese im Prozess. Auch der Schritt zu konkreten Strategien und Projekten schien hier kürzer zu sein. Bei diesen Formaten besteht jedoch die Gefahr, dass Einzelaspekte ggf. zu isoliert, vom Kontext des querschnittsorientierten Gesamtprozesses losgelöst betrachtet werden.

Zukunftsthemen für eine kleinstädtische Urbanität

Die Ergebnisse der Szenario- und Jugendbeteiligungsprozesse zeigen, wie sich Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft, der Wirtschaft und der Kommunalverwaltung die Zukunft „ihrer“ Kleinstadt vorstellen. Es sind Visionen und Potenziale von Kleinstädten, die sich aus den eigenen Möglichkeiten ergeben, allgemeine Entwicklungen und Einflussfaktoren berücksichtigen und auf andere Kleinstädte übertragen lassen. Sie lassen sich in sieben Handlungsfeldern zusammenfassen:

  1. Lebensqualität, Wohnen und Lebensgefühl – Es geht um gute Bedingungen für das eigene Leben und neue Einwohner, weniger um Arbeitsplätze.
  2. gut vernetzte, alternative und flexible Mobilitätsformen und Erreichbarkeit der nächsten Zentren,
  3. örtliche Vereinslandschaft und Gemeinschafts- und Kommunikationsorte als tragende Säulen für sozialen Zusammenhalt und Engagement,
  4. Bildung und Wirtschaft basierend auf Wissensökonomie, Dienstleistungen sowie kreativen Orten und Köpfen,
  5. Tourismus als Querschnittsthema, das viele Aspekte der Lebensqualität berührt und mit seinen Angeboten und Infrastrukturen sowohl den Gästen als auch der Einwohnerschaft zugutekommt,
  6. Digitalisierung, die mit Möglichkeiten anderer Erreichbarkeiten, Vernetzungen und Angebote in vielen Handlungsfeldern als Teil neuer Lösungen und Strategien verstanden wird,
  7. Kooperation nach innen wie außen als ein wesentlicher Lösungsansatz, um die Ziele der Kleinstadtentwicklung auch mit neuen Instrumenten zu erreichen.

Sowohl die Erfahrungen mit den kooperativen Prozessen in den Modellvorhaben als auch die daraus resultierenden Zukunftsthemen verdichteten sich im Verlauf des Forschungsfeldes zu einer These, die in Bezug auf die Zukunft der kleinen Stadt in Richtung einer kooperativen Stadtentwicklung mit dem Ziel einer eigenen „kleinstädtischen Urbanität“ weist – auch wenn Urbanität und Kleinstadt als ein Widerspruch erscheinen mögen. Die kleinstädtische Urbanität wird als eine bürgergetragene Urbanität verstanden. Das Leben in der Kleinstadt kann in viel stärkerem Maße durch die Mitwirkungen der Bürgerinnen und Bürger geprägt werden, als dies in der Großstadt der Fall ist. Viele Kleinstädte in peripheren Lagen haben gelernt, sich in zum Teil schwierigen Umständen zu behaupten und mit wirtschaftlichen und sozialen Brüchen umzugehen.

Kooperative Kleinstadtplanung

Die in den Modellvorhaben des Forschungsfeldes durchgeführten Szenarioprozesse und die darüber hinaus angewandten individuellen Informations- und Beteiligungsformate der Lokalen Projektagenturen haben gezeigt, dass intensive, die ganze Bandbreite der Stadtgesellschaft einbindende Bürgerbeteiligung, Kommunikation und der Einsatz von Kreativtechniken wesentliche Faktoren sind, um neue tragfähige Potenziale zu erschließen. Kooperative Kleinstadtplanung ist der Weg, der als Daueraufgabe zu gestalten ist. Es handelt sich dabei um einen partnerschaftlichen und arbeitsteiligen Prozess zwischen Stadtgesellschaft, lokaler Wirtschaft, Politik und Verwaltung mit dem Ziel eines nachhaltig guten Lebens in ihrer Kleinstadt. Eine kooperative Kleinstadtplanung braucht in der Regel einen Impuls und Gelegenheiten sowie Lern- und Experimentierräume, um das Potenzial der Veränderung, das transformative Potenzial von Bürgerschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Gang zu setzen. Es geht darum, Strukturen und Räume zu schaffen, die es den Partnern erlauben, sich auszutauschen und gleichberechtigt und aus der jeweils eigenen Perspektive eine Vielfalt von Ideen und Initiativen zu entwickeln. Solche Möglichkeitsräume sind z.B. Jugend-BarCamps und Szenarioprozesse, wie sie im Forschungsfeld erprobt worden sind.

Zum Abschluss des ExWoSt-Forschungsfeldes lassen sich wichtige Erfolgsfaktoren von Prozessen kooperativer Kleinstadtplanung zusammenfassen:

  1. Rückhalt aus der Kommunalpolitik,
  2. gute Begleitung von außen,
  3. Beteiligung und Information mit geeigneten Instrumenten,
  4. Motivation und Engagement aller am Prozess Beteiligten,
  5. finanzielle und personelle Ressourcen zur Absicherung des Gesamtprozesses,
  6. Umsetzung der Projekte als Zeichen eines erfolgreichen Prozesses,
  7. Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen.

Zentrale Empfehlungen

Im Forschungsfeld hat sich gezeigt, dass Kleinstädte mit ihren begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen mehr Aufmerksamkeit, Unterstützung und Begleitung benötigen. Kleinstädte müssen von Bund und Ländern gestärkt und befähigt werden, ihre Vitalität, soziale und wirtschaftliche Stärken sowie Zentrumsfunktionen in der Region zu erhalten und gemeinschaftlich auszubauen. Dazu gehört an erster Stelle die Sicherung einer ausreichenden Grundfinanzierung für kleine Städte, damit sie sowohl ihre Regelaufgaben als auch wichtige strategische freiwillige Aufgaben erfüllen können.

Förderprogramme von Bund und Ländern sollten noch stärker als bisher darauf ausgerichtet werden, Kleinstädte auf dem Weg einer „kooperativen Kleinstadtentwicklung“ mit dem Ziel einer lebendigen, vielfältigen und funktionstüchtigen Stadt mit einer eigenen, bürgergetragenen Urbanität zu unterstützen. Dementsprechend sollten zwei Förderbereiche gestärkt und ausgebaut werden:

  1. Planungs- und Prozessförderung: Unterstützung einer „Kooperativen Kleinstadtplanung“ sowie
  2. Investive Förderschwerpunkte: Investitionen in eine moderne Infrastruktur, in ein qualitativ hochwertiges Wohnen, in Gemeinschafts- und Kommunikationsorte und ein attraktives Umfeld einschließlich investitionsbegleitender Maßnahmen, z.B. in der Städtebauförderung.

Darüber hinaus wird die Umsetzung der im Forschungsfeld entwickelten Idee einer Kleinstadtakademie empfohlen. Erste Gedanken zu Funktion, Inhalten und Lernformaten einer Kleinstadtakademie liegen vor. Die Kleinstadtakademie ist ein offenes Lernnetzwerk zur Qualifizierung und Vernetzung von Kleinstädten und zur Förderung einer nachhaltigen und resilienten Kleinstadt. Aufgabe der Kleinstadtakademie sind Wissensvermittlung, Wissenstransfer zu aktuellen, kleinstadtrelevanten Zukunftsthemen sowie zu Methoden gemeinschaftlicher Kleinstadtentwicklung. Dazu initiiert sie wechselseitige Lernprozesse, schafft Gelegenheiten für Experimente und Koproduktion von sozialen Innovationen und nutzt klassische Wege der Wissensvermittlung wie Tagungen, Seminare, Workshops und Veröffentlichungen.

Über die Kleinstadtakademie hinaus wird schließlich noch empfohlen, das Wissen um die Bedeutung und Funktion von Kleinstädten zu verbessern. Hierzu sollte die Fortführung und Stärkung des im Rahmen des Forschungsfeldes entstandenen informellen Netzwerks von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an Themen der Kleinstadt forschen.

Kleinstadtakademie und das Informelle Netzwerk können dazu beitragen, dass Grundlagenforschung und anwendungsbezogene Forschung zu Kleinstädten systematisch vorangetrieben und gefördert werden. Dies möglichst ressortübergreifend, denn zum besseren Verständnis sowie zur Ableitung von Politik und Handlungsempfehlungen sind die Datenlagen wie qualitative Forschungsergebnisse zu Ressortthemen wie Wohnen, Bildung, Sozialstruktur, Wirtschaft zu einem Gesamtkontext zusammen zu führen.

Detaillierte Ausführungen finden sich in den Publikationen zum Forschungsfeld unter Veröffentlichungen.

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