Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Forschungsprojekt: Potenziale von Kleinstädten in peripheren Lagen

Konzept

Forschungsansatz

Folgende Forschungsfragen standen im Zentrum des Forschungsfeldes:

  • Vor welchen Herausforderungen stehen peripher gelegene Kleinstädte in Deutschland aktuell und perspektivisch?
  • Welche spezifischen Potenziale besitzen peripher gelegene Kleinstädte? Gibt es Unterschiede hinsichtlich der Ausgangssituationen und Entwicklungsmöglichkeiten?
  • Wie können peripher gelegene Kleinstädte in ihrer (in-)formellen, zentralörtlichen (Grund-)Funktion erhalten und gestärkt werden?
  • Welche Kleinstadt-spezifischen "Stellschrauben" stehen Verwaltung und Politik zur Verfügung, um die Potenziale für eine nachhaltige Stärkung ihrer Kommune zu erschließen? Folgen Kleinstädte dabei besonderen Handlungslogiken?
  • Welche Strategien und Instrumente sind geeignet, Kleinstädte bei ihren Zukunftsprozessen zu unterstützen? Welche Bedeutung können dabei Szenarioprozesse haben und wie können diese in Kleinstädten bestmöglich ausgestaltet werden? Welche Rahmenbedingungen sind dabei zu berücksichtigen?
  • Wie sind Prozesse zu gestalten, in denen Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erfolgreich zusammenwirken? Welche Möglichkeiten bieten innovative Aktivierungsansätze?
  • Welche Förder- und Unterstützungsangebote der Länder oder des Bundes gibt es für Kleinstädte in peripheren Lagen bzw. welche wären für deren nachhaltige Entwicklung notwendig?
  • Welche Informations-, Beratungs- oder auch Schulungsangebote können den Akteuren in Kleinstädten helfen, ihre spezifischen Entwicklungspotenziale zu erschließen?

Der Forschungsansatz verstand die Kleinstadt als (handelndes) Subjekt und nicht als (beforschtes) Objekt, die Kleinstadtforschung als Ko-Produktion und das Forschungsfeld als suchendes und lernendes System. Dementsprechend war das Forschungsfeld in vier thematische Schwerpunkte strukturiert:

  • gemeinschaftliche Kleinstadtentwicklung, Szenarioprozesse und Jugend-BarCamps,
  • Lernendes Netzwerk und Kleinstadtakademie,
  • Kleinstadtforschung sowie
  • Öffentlichkeitsarbeit und Transfer.

Kooperative Kleinstadtentwicklung:

Szenarioprozesse und Jugend-BarCamps

Im Mittelpunkt standen die gemeinschaftliche Kleinstadtentwicklung in den acht Modellvorhaben mit dem Ziel, tragfähige Entwicklungspotenziale zu identifizieren eine (Neu-)Orientierung anzustoßen und Zukunftsvision zu entwickeln, die die Kleinstadtgemeinschaft tragen und umsetzen kann. Zentral war dabei die Frage, wie sich die Lebensqualität in Kleinstädten erhalten und wirksam stärken lässt. Gleichsam als methodisches Rückgrat vor Ort dienten zwei innovative Partizipationsmethoden, die Szenariotechnik und Jugend-BarCamps. Aus den Ergebnissen vor Ort und dem Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen den Modellvorhaben ließen sich übertragbare Erkenntnisse gewinnen und Empfehlungen für eine zukunftsfähige Kleinstadtentwicklung ableiten. Die Szenarioprozesse und die Jugend-BarCamps wurden in den Modellvorhaben in eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung eingebunden und mit der Erarbeitung eines Strategie- und Handlungskonzeptes verbunden. Das stellte sicher, dass die Szenarien und Ergebnisse in konkrete Stadtentwicklungsziele, Schlüsselprojekte, Netzwerke sowie Weichenstellungen für den Folgeprozess einmünden. Die Modellvorhaben wurden dabei von lokalen Projektagenturen unterstützt.

Szenariotechnik und Szenariowerkstätten

In den acht Modellvorhaben wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt fünf Szenariowerkstätten durchgeführt. Die Szenariotechnik ist eine Verbindung von quantitativen und qualitativen Informationen, Meinungen und Einschätzungen mit dem Ziel, gemeinsam Visionen und Entwicklungspfade für die Zukunft zu entwerfen. Aus diesen lassen sich wiederum Ziele, Strategien, Maßnahmen und Projekte für die Kleinstadtentwicklung ableiten.

Der Prozess zur Erstellung von alternativen Zukunftsbildern wurde in fünf Phasen gegliedert:

  • Phase 1: die Bestimmung des Szenariofeldes,
  • Phase 2: die Identifikation von Schlüsselfaktoren, die auf das Szenariofeld einwirken,
  • Phase 3: die Analyse der Schlüsselfaktoren,
  • Phase 4: die Generierung der Szenarien sowie
  • Phase 5: der Szenariotransfer und die Rückkopplung in Strategien und Schlüsselprojekte.

Aus dieser Technik lassen sich notwendige Strategien und Schritte ableiten, denn „die der Methode inhärente Zukunftsorientierung schafft kein Wissen über die Zukunft, sondern ein besseres Verständnis der Gegenwart“ (Quelle: Prof. Matthias Böttger: Szenarios und schwache Signale. Vortrag im Rahmen des Symposiums: Die Stadt von übermorgen, 10.09.2015, Architektur Sommer Rhein Main 2015).

Trotz oder gerade weil die Rahmenbedingungen vieler Kleinstädte schwierig sind, erschien es notwendig, eine Vision als emotionales Bild der Zukunft, als Ausgangspunkt für diese Veränderungen und Neubestimmung zu nutzen. Dies setzte kreative Energien frei, die man aus der Problemdiskussion heraus niemals gefunden hätte. Durch eine narrative Darstellung wurde die Zukunft für alle vorstellbar. Alternativen ließen sich vergleichen und abwägen, Ziele formulieren. Das Design des Forschungsfelds gab dem Vor-Ort-Prozess so eine Struktur, lieferte darüber hinaus Informationen und Orientierung und förderte den Austausch und Lernprozesse mit den anderen Modellvorhaben.

Jugend-BarCamps

Die Jugendlichen führten in den Modellvorhaben Jugend-BarCamps durch. Zur Beschreibung ist der treffendste Begriff "UnKonferenz". Es sind, ähnlich den bekannteren Open-Space-Veranstaltungen, offene Beteiligungsformate mit inhaltlich nicht vorgegebenen Workshops. Zu den wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen gehört, dass ein BarCamp meist weniger auf Regeln und dafür mehr auf Selbstorganisation und -moderation setzt. Darüber hinaus vernetzen soziale Medien die Akteure und Diskussionen zwischen den Sessions. Ablauf und Themen entwickeln die Teilnehmenden zu Beginn des BarCamps selbst und gestalten sie im weiteren Verlauf unter dem Einsatz von digitaler Kommunikation und Präsentation. Barcamps dienen vorrangig dem inhaltlichen Austausch und der Diskussion der Teilnehmenden, können aber auch am Ende der Veranstaltung konkrete Ergebnisse vorweisen. Die Methode der Barcamps gibt Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf kreative und ihnen gerechte Weise, Raum und Möglichkeiten, ihre Sicht auf die Kleinstadt zu artikulieren. Sie können eigene Zukunftskonzepte und Visionen entwickeln und sich mit konkreten Projekten und Ideen in den Szenarioprozess wie in die Stadtentwicklung einbringen.

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Jugendliche während eines Jugend-BarCamps Jugendliche während eines Jugend-BarCamps

Ein erzieltes Ergebnis im Forschungsfeld war, dass aus den Jugend-BarCamps in einigen Modellvorhaben eine lokale Jugendbeteiligungskultur sowie entsprechende Strukturen und Netzwerke entstanden. Den Jugendlichen konnten Freiräume für kreative Kleinstadtentwicklung eröffnet werden, ihre Ideen konnten nachhaltig in die Stadtentwicklung einfließen.

Öffentlichkeitsbeteiligung

Die Szenarioprozesse und die Jugend-BarCamps wurden in den Modellvorhaben in eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung eingebunden und mit der Erarbeitung eines Strategie- und Handlungskonzeptes verbunden. So konnte sichergestellt werden, dass die Szenarien und Ergebnisse in konkrete Stadtentwicklungsziele, Schlüsselprojekte sowie in erste Umsetzungen, Netzwerke und Weichenstellungen für den Folgeprozess einmündeten. Lokale Projektagenturen unterstützten die Modellvorhaben.

Lernendes Netzwerk: Erfahrungswerkstätten, Lernende Ausstellung und Kleinstadtakademie

Das gesamte Forschungsfeld wurde im weiteren Sinne als ein lernender Prozess verstanden, der offen für neue Bedarfe, Ideen, Korrekturen und Veränderungen ist. Der Lernprozess und die Lerninhalte waren weitgehend selbstbestimmt. Das Lernen erfolgte miteinander und voneinander mithilfe von Erfahrungswerkstätten, digitaler Medienformate, der Aufarbeitung guter Beispiele, Fachexpertisen und einer wachsenden Ausstellung. Die Lernenden waren alle am Forschungsfeld Beteiligten.

Erfahrungswerkstätten

Arbeitsgruppe im Moderationsprozess in Malente Modellvorhaben Malente

Die Erfahrungswerkstätten richteten sich an die zentralen Akteure in den Modellvorhaben. Ziele waren der Erfahrungsaustausch über Potenziale, die Prozesse der kooperativen Kleinstadtentwicklung, Diskussion der Expertisen sowie das Arbeiten an einer übertragbaren Methodik der kooperativen Kleinstadtentwicklung. Sie fanden leicht zeitversetzt nach den örtlichen Szenariowerkstätten statt. Entsprechend waren sie thematisch auf die Themen "Potenziale und Einflussfaktoren", "Szenarien und Visionen" sowie "Visionstransfer und Verstetigung" ausgerichtet.

Wachsende Ausstellung

Die wachsende Ausstellung war integrierter Bestandteil und zentrales Produkt des Forschungsfeldes. Die Ausstellung dokumentierte die Prozesse in den Modellvorhaben, förderte den Erfahrungsaustausch und die Lernprozesse im Forschungsnetzwerk und sollte anderen Wege zu einer kooperativen und nachhaltigen Kleinstadtentwicklung zeigen. Sie entstand kontinuierlich und gemeinsam für und während der Szenario- und Erfahrungswerkstätten sowie der Bürgerbeteiligung. Darstellung und Formate waren offen. Beteiligte entwickelten diese im Prozess. Dazu gehörte auch der rege Erfahrungsaustausch zwischen Akteuren und Besuchern, die Möglichkeit, Anregung und Kritik, Hinweise und Beispiele aus anderen Städten aufzunehmen und direkt in die Ausstellung zu integrieren. Die lernende Ausstellung richtete sich an die handelnden Akteure, die Öffentlichkeit in den Modellvorhaben und die Fachöffentlichkeit.

Kleinstadtakademie

Zu Recht wird in der Literatur betont, dass sich Politik und Verwaltung der Kleinstädte weiterqualifizieren und auf veränderte gesellschaftliche wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren müssen. Diese Idee einer Lernenden Organisation wurde für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft in der Kleinstadt weiterentwickelt. Veränderungsmanagement und Bürgerkommune waren die Grundgedanken und die Basis der gemeinschaftlichen Kleinstadtentwicklung. Sie wurden in der Entwicklung einer "Kleinstadtakademie" aufgegriffen. Diese hat zum Ziel, Politik, Verwaltung und Kleinstadtgesellschaft intern organisierte oder extern beauftragte Qualifizierung, Unterstützung und Wissenstransfers anzubieten. Konzept und Inhalte entstanden aus den Erkenntnissen und dem Erfahrungsaustausch innerhalb des Forschungsfeldes. Ziel war die Entwicklung eines anwendbaren und übertragbaren sowie flexibel adaptierbaren Grundkonzepts für weitere Kleinstädte. Die "Kleinstadtakademie" wird somit der Verstetigung des Themas des Forschungsfeldes und der Erweiterung des Kleinstadtnetzwerkes dienen.

Transfer und Öffentlichkeitsarbeit

Der direkte Erfahrungstransfer in andere Kleinstädte wie auch die Sensibilisierung der (Fach-)Öffentlichkeit für die besondere Situation und Möglichkeiten von Kleinstädten in peripheren Lagen waren wichtige Ziele des Forschungsfelds. Neben der Wachsenden Ausstellung, den Veranstaltungen und der Öffentlichkeitsarbeit vor Ort wurden die Ergebnisse vor allem auf zwei öffentlichen Kleinstadtkongressen, zur Halbzeit und zum Abschluss, sowie in Expertenrunden mit Kleinstadtforschern und mit dem wissenschaftlichen Beirat des Forschungsfeldes präsentiert und diskutiert.

Begleitstruktur

Das BBSR koordinierte das ExWoSt-Forschungsfeld im Auftrag des BMUB / BMI, die Forschungsassistenz der Hochschule Neubrandenburg begleitete es und wertete es aus. Die Forschungsassistenz unterstützte die Durchführung der Jugend-BarCamps vor Ort und führte die Szenarioprozesse mit den Beteiligten in den Kommunen durch. Die Modellvorhaben wurden zusätzlich von Lokalen Projektagenturen unterstützt. Ein Beirat aus Vertreterinnen und Vertretern von Kommunen, kommunalen Spitzenverbänden und der Wissenschaft begleitete den Forschungsprozess. In einem wissenschaftlichen Kreis wurden spezielle Themen der Kleinstadtforschung und der zentralen Partizipationsmethoden, die sich aus der Arbeit mit den acht Modellvorhaben ergaben, aufgegriffen und reflektiert.


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