Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Forschungsprojekt: Green Urban Labs

Ergebnisse

Die Green Urban Labs waren eine Maßnahme des Weißbuchs Stadtgrün. Ein zentrales Ergebnis und großer Gewinn des Weißbuchprozesses sowohl aus politischer als auch fachlich-wissenschaftlicher Sicht war die vertiefte Einführung des Begriffs „grüne Infrastruktur“ in den stadtentwicklungspolitischen Diskurs. Mit grüner Infrastruktur wurde eine Perspektive auf Stadtgrün etabliert, die weit über das herkömmliche Verständnis von Erholung in Grün- und Parkanlagen hinausgeht. Nicht mehr die einzelne Grünfläche steht im Fokus, sondern ein Netz unterschiedlicher Elemente und Strukturen mit verschiedenen Funktionen – bezogen etwa auf Ökosystemleistungen, Klimaschutz und Klimaanpassung, Biodiversität oder Lebensqualität. Grün wird somit zu einer lebenswichtigen städtischen Infrastruktur. Zu dieser zählen nicht nur Parks und Grünflächen, sondern beispielsweise auch Straßenbäume, Brachflächen, Abstandsgrün, Privatgärten sowie alle versiegelten und bebauten Flächen, die durch die Anlage entsprechender Begrünung als Teil der grünen Infrastruktur qualifiziert werden.

Dieses Verständnis von Stadtgrün als grüne Infrastruktur war auch für das Forschungsfeld grundlegend. Die Grundannahme lautete: Grün- und Freiräume in der Kommune müssen zusammengedacht und als multifunktionales Netz verstanden werden, das sich über die Gesamtstadt legt. Es trägt dabei zur Gesundheit und Lebensqualität aller Bewohnerinnen und Bewohner bei. Darüber hinaus wurde immer deutlicher, dass die Vorstellung grüner Infrastruktur als primär technisch-funktional verstandener Begriffskomplex nicht ausreicht. Soziale Dimensionen wie Zugänglichkeit, Chancengleichheit, Teilhabe, Lebensqualität oder Identifikation spielen für eine hochwertige grüne Infrastruktur eine weit größere Rolle, als ihnen bislang vielerorts zugedacht wurde. Es galt herauszufinden, wie sich solche Dimensionen in der kommunalen Praxis umsetzen lassen.

Neue Perspektiven: Multicodierung und Umweltgerechtigkeit

Zusammen mit der grünen Infrastruktur bildeten die Begriffe „Umweltgerechtigkeit“ und „Multicodierung“ den Rahmen für die Forschung in den Green Urban Labs. Zu Beginn als voneinander getrennt betrachtet, stellte sich im Laufe der Beobachtungszeit heraus, dass alle drei eng miteinander verbunden sind. Über unterschiedliche Maßstabsebenen hinweg können sie die Vielschichtigkeit urbanen Grüns abbilden. Gemein ist ihnen ein Verständnis von Stadtgrün, das Mensch und Umwelt gleichwertig betrachtet. Sie helfen, Schnittstellen differenzierter in den Blick zu nehmen. Sie können so „nach innen“ zum Teil einer Planungsstrategie werden und definieren „nach außen“ einen Leitbildkanon.

Als Begriff durch die Forschung weiter qualifiziert, ist Multicodierung mehr als die bereits bekannten Begriffe wie Mehrfachnutzung oder Multifunktionalität. Es geht nicht nur um die Überlagerung unterschiedlicher Funktionen, wie im Weißbuch Stadtgrün definiert, sondern vielmehr um das Aufspüren und Aushandeln unterschiedlicher Akteursinteressen im Planungsprozess und darüber hinaus. Planung ist ohne intensive Abwägung und Einbindung einer Vielzahl von Akteuren kaum mehr möglich. Dies betrifft sowohl die Interessen verschiedener Fachressorts als auch die der Bürgerinnen und Bürger und künftigen Nutzerinnen und Nutzer. Multicodierung könnte darum zum Begriff der Stunde werden. Als Planungshaltung und gleichermaßen als Planungsstrategie erwies sich der Begriff im Forschungsfeld als ein Schlüsselinstrument, um diese Interessen im Prozess zusammenzubringen und gemeinsame Lösungen auszuhandeln. Durch die Überlagerung von Klimaschutz, Klimaanpassung, Regenwassermanagement und unterschiedlichen Nutzungsangeboten erhöhte sich die Wertigkeit und Qualität der einzelnen Grünfläche innerhalb des Netzes der grünen Infrastruktur. Dies führte zu ihrer Stärkung, beispielsweise in Konkurrenz zu Belangen des Wohnungsbaus.

Umweltgerechtigkeit dagegen ist als Begriff bereits etabliert und lässt sich als interventionsorientiertes Leitbild definieren, das Umweltaspekte in der Stadtentwicklung stärkt und den Blick auf solche Quartiere lenkt, die in der Regel nicht im primären Fokus der Stadtentwicklung stehen. Es rückt die Versorgung mit und die Zugänglichkeit von Grünflächen in damit schlecht versorgten Quartieren in den Fokus. Beim Umgang mit dem bereits gut erforschten und auch im deutschsprachigen Diskurs seit einigen Jahren etablierten Begriff lag der Fokus im Forschungsfeld vor allem auf der Frage, wie dieses vielschichtige Leitbild für städtisches Verwaltungshandeln operationalisiert werden kann. Dabei stellten sich quantitative Kriterien und Datenverfügbarkeiten zu Umweltbelastungen und Grünversorgung als wesentliche Grundvoraussetzungen heraus. Um Quartiere aber nicht nur mit Grün zu versorgen, sondern auch entsprechende (Nutzungs-)Qualitäten zur Verfügung zu stellen, spielen auch qualitative Kriterien zu deren Gestaltung und Ausstattung sowie Teilhabe und Mitwirkung an der Planung und Nutzung der Grünfläche eine wichtige Rolle. Hier deutet sich bereits an, dass Multicodierung für eine umweltgerechte Versorgung mit Grün unerlässlich ist, um diese Qualitäten zu erreichen.

Strategien für Kommunen

Aus der Analyse der drei Begriffe, dem Input aus den verschiedenen Veranstaltungen sowie den Planungsprozessen in den Modellvorhaben ergaben sich unterschiedliche Schlüsselstrategien für die grüne Infrastruktur in den Kommunen.

Abwägungs- und Aushandlungsprozesse
Erfolgreiche Grünplanung gelingt in einem breiten Akteursbündnis. Dazu gehören unterschiedliche Fachämter, Multiplikatoren, die aktive Zivilgesellschaft sowie Bürgerinnen und Bürger. Ämterübergreifende Zusammenarbeit stellte sich in den Modellvorhaben als zentral heraus: Ressortübergreifende Projektgruppen oder Steuerungsrunden sowie gezielte Kooperationen mit einzelnen Fachämtern waren entscheidend für den Erfolg der Projekte. Darüber hinaus war auch die Beteiligung von und die Kooperation mit der Zivilgesellschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern wesentlich. Das galt insbesondere dort, wo die Stadt aufgrund von Eigentumsverhältnissen keinen Zugriff auf Flächen sowie wenig finanzielle Ressourcen hat. Aber auch für Betrieb und Pflege von Grünflächen stellte sich die Kooperation mit Externen als wesentlich heraus, nicht nur um Pflegekosten zu reduzieren, sondern vor allem auch, um Teilhabe und Zugänglichkeit für die Anwohnerinnen und Anwohner zu verbessern. Um all diese Akteure einzubinden und deren Engagement zu managen, müssen Verwaltungen verstärkt auf die entsprechenden Schnittstellen und eine offene Planungskultur achten. Dafür braucht es Offenheit zu anderen Ressorts und anderen Themenfeldern der integrierten Stadtentwicklung. Nur so konnte die Sportverwaltung in Bochum beispielsweise einen Sportplatz in ein multifunktionales und klimaangepasstes Bewegungs- und Begegnungsfeld umbauen. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die – aktive und nicht nur informierende – Einbindung der Akteursgruppen vor Ort, sowohl in Planungs- als auch in Aneignungsprozessen.

Geschickt planen
Grüne Infrastruktur als Netz zu entwickeln, erfordert umfassende Planung. Bestand, Bedarf und gewünschte Qualität grüner Infrastruktur müssen erfasst und entsprechend bewertet werden, insbesondere auch hinsichtlich des Klimas und der Umweltgerechtigkeit oder um die doppelte Innenentwicklung gezielt vorantreiben zu können. Wo wird Grün in welcher Qualität benötigt? Um dies zu erfassen, braucht es zahlreiche Daten zur Grünversorgung, zur Umweltbelastung und zu Sozialem. Eine entsprechende Datenbasis ist unerlässlich, wenn es um den Umgang mit Metaproblemen geht, etwa den Folgen des Klimawandels. Ohne wissenschaftlich erfassten Datenbefund und ohne die dafür nötigen Messungen und Erhebungen gelingt zum Beispiel die Feststellung geeigneter Orte für Klimaoasen nicht. Auch die Entwicklung von Kleingärten in Rostock bewegt sich im Spannungsfeld von sozialen und ökologischen Bedarfen und Qualitätskriterien. Ebenso ist dies eine Grundvoraussetzung, wenn Kommunen im Sinne eines umweltgerechten Umgangs allen Bevölkerungsgruppen einen gleichberechtigten Zugang zu Grün ermöglichen möchten. Darüber hinaus können Kommunen auf einen breiten Fundus formeller und informeller Instrumentarien zurückgreifen: vom Bundeskleingartengesetz bis zur Eingriffs- und Ausgleichsregelung, von städtebaulichen Verträgen bis zu Kooperationsvereinbarungen und vielem mehr. Viele Modellvorhaben haben die bestehenden Instrumentarien geschickt in ihre Arbeit integriert oder entsprechend weiterentwickelt.

Raum aushandeln
Wie komplex es ist, urbane Grünräume zu entwickeln, wurde bis hierhin bereits deutlich. Ein weiterer die Komplexität betreffender Faktor ist es, Räume als Potenzialräume für Grün zu erschließen und mit anderen Bedarfen der Stadtentwicklung zu verbinden beziehungsweise auszuhandeln. Auch kleinste Räume und graue Infrastrukturen wie Dächer, Fassaden, Straßen oder Gewerbegebiete können Teil grüner Infrastruktur werden, wenn mit dem Raum gearbeitet wird. Dabei kann Grün auch informell entwickelt werden oder durch temporäre Interventionen zunächst einmal räumliche Impulse setzen. Genau dann schärft es das Bewusstsein für Grün in der breiten Bevölkerung und lockt einen neuen Typ der Stadtmacherin oder des Stadtmachers an. Solche Prozesse erfordern von der Verwaltung ein Umdenken und ein „anderes“ Planen: Es lässt in einem vereinbarten Rahmen Aktivität zu und unterstützt. Unterstützen heißt hier, den Mut zu haben, andere kreativ werden zu lassen, um dann zu schauen, wie und mit wem sich die Entwicklung verknüpfen lässt. Dies gilt für die Planung neuer Flächentypologien wie Bürgerparks oder Klimaoasen genauso wie für deren Betrieb und Pflege. Im Sinne der Multicodierung geht das Raumaushandeln auch nach Abschluss der Planung beziehungsweise Bauarbeiten weiter: Bürgerinnen und Bürger, die Nutzungsideen für die Grünanlagen haben, brauchen Raum, der ihnen dazu zur Verfügung gestellt wird. Die Stadt braucht Personal, das ihnen das ermöglicht. Verantwortung für Grünflächen abzugeben bedeutet, ein dauerhaftes Nehmen und Geben zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft zu etablieren.

Grün erzählen
Deutlich wurde auch, dass Grün in Städten mehr Unterstützung braucht. Das Reden darüber in Fachkreisen und mit der Öffentlichkeit, das Aufbereiten von (neuem) Wissen und aussagekräftige Bilder sorgten in den Modellvorhaben für Akzeptanz und Wertschätzung der grünen Infrastruktur. Storytelling ist ein wichtiges Instrument der Grünplanung. Es fördert die Identifikation mit und den Austausch über Grün und stellt so ein verbindendes Element zwischen Bürgerschaft und Fachwelt her. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn die Bedarfe der Bewohnerinnen und Bewohner in den Quartieren mit übergeordneten Entwicklungen wie dem Klimawandel oder dem Artensterben verknüpft werden sollen. Darüber hinaus müssen auch Expertinnen und Experten weiteres Wissen schaffen, aufbereiten und weitergeben, beispielsweise im Bereich Gebäudebegrünung. Das Modellvorhaben Hamburg hat hier Pionierarbeit geleistet und als bundesweites Vorbild gezeigt, wie sich Wissen zusammentragen und anschaulich aufbereiten lässt. Kampagnen für Stadtgrün erhöhten in vielen Modellvorhaben die öffentliche Aufmerksamkeit und darauf aufbauend die Mitwirkungsbereitschaft für die grüne Infrastruktur.

Experimente für mehr Grün in der Stadt

Das Forschungsfeld der Green Urban Labs hat den Verantwortlichen in den Modellvorhaben Zeit, Raum sowie personelle und finanzielle Ressourcen für Experimente gegeben. Dabei sind vielfältige neue Wege entstanden, die grüne Infrastruktur zu entwickeln, die ohne das Forschungsfeld nicht möglich gewesen wären. In den Kommunen der Modellvorhaben wurden außerdem zahlreiche Impulse gesetzt, grüne Infrastruktur mit eigenen Mitteln stärker zu fördern, die den zeitlichen Rahmen des Forschungsfelds überdauern.

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