Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Forschungsprojekt: Dissonant Heritage – Integrierte Ansätze für das unbequeme Erbe in Europa

Projektsteckbrief

  • Status Abgeschlossen
  • Laufzeit April 2021 – Dezember 2022
  • Programm ExWoSt

Das Forschungsprojekt untersucht die Herausforderungen und Chancen im Umgang mit dem unbequemen baukulturellen Erbe in Europa. Im Kontext der Partnerschaft „Kultur und kulturelles Erbe“ der Urbanen Agenda für die EU (UAEU) bereitet das Projektteam integrierte Herangehensweisen und Lösungswege für den deutschen und europäischen Kontext auf. Ein besonderer Fokus liegt auf dem unbequemen Erbe des 20. Jahrhunderts sowie in kleineren Städten und peripheren Räumen.

Ausgangslage

Das unbequeme Erbe (Dissonant Heritage) ist Bestandteil der europäischen Geschichte und des europäischen Kulturerbes. Dazu gehören Orte mit Bezug zu nationalsozialistischen, faschistischen, nationalistischen oder sozialistischen Regimen und Staatssystemen sowie Orte und bauliche Zeugnisse des Krieges, der Verfolgung, der Kolonialisierung oder der Propaganda. Aber auch architektonisch und städtebaulich prägnante Bauwerke und Ensembles der Nachkriegsmoderne können zum unbequemen baukulturellen Erbe Europas zählen.

„Unbequem“ ist hierbei nicht als eine dem Erbe immanente Eigenschaft, sondern immer vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, politischen und historischen Verhältnisse zu verstehen. Das unbequeme Erbe bezieht sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf das kulturelle und baukulturelle Erbe, das von der Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppen mit unangenehmen Erinnerungen und Assoziationen negativ belegt ist und als politisch und/oder ethisch belastet wahrgenommen wird. Demnach drücken sich in den Kontroversen und Konflikten um das unbequeme Erbe immer auch – mitunter konkurrierende und mehrdeutige – Interpretationen und Lesarten der Vergangenheit aus. Genauso können aber auch die aktuelle Nutzung und der Umgang mit solchen Orten und Stätten zu Dissonanzen führen.

Vielerorts in Europa ist das unbequeme Erbe stark vernachlässigt, nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und vom Abriss und Verfall bedroht. Historische Bausubstanz und Areale stehen oftmals nicht unter Schutz und erscheinen unter anderem aufgrund der unangenehmen Assoziationen vielen Beteiligten als nicht erhaltenswürdig. Häufig besteht ein dringlicher Handlungsbedarf, diese historische Bausubstanz zu sichern, zu erhalten und zukunftsfähig zu entwickeln.

Buzludzha Monument in der Stadt Kasanlak in Bulgarien Dissonant Heritage – Integrierte Ansätze für das unbequeme Erbe in Europa Buzludzha Monument in der Stadt Kasanlak, Bulgarien

Bei aller Widersprüchlichkeit und praktischen Herausforderungen haben solche Orte wichtige Funktionen inne oder das Potenzial, diese zu übernehmen.

  • Sie können dazu beitragen, Geschichte und Geschehnisse erfahrbar und verständlich zu machen. Und dazu, die dort seinerzeit vermeintlich für immer manifestierte, als notwendig empfundene oder auch für die Ausübung von Macht genutzte Symbolik so zu reflektieren, dass wir daraus für eine freie und gerechte Zukunft lernen und demokratische Gesellschaftssysteme stärken können (Demokratie- und Bildungsfunktion).
  • Die Auseinandersetzung vor Ort kann auch dazu beitragen, beispielsweise von Diskriminierung, Stigmatisierung oder Verfolgung betroffenen Gruppen zu helfen, das Geschehene zu verarbeiten und sich daran zu erinnern (Erinnerungsfunktion).
  • Solche Orte können und sollten auch zu einem gesellschaftlichen Dialog und zur Auseinandersetzung genutzt werden, um Brücken zu schlagen und entfremdete oder gar verfeindete gesellschaftliche Gruppierungen – oder Länder – wieder zusammenzubringen (gesellschaftspolitische Funktion).
  • Das unbequeme Erbe kann auch eine ökonomische Funktion als Standortfaktor und Destination des (Kultur-)Tourismus übernehmen.
  • Im Rahmen des fach- und ebenenübergreifenden integrierten Ansatzes kann insbesondere das Erbe mit stadträumlichen Bezügen eine wichtige Funktion in der bestandsorientierten Stadt- und Regionalentwicklung übernehmen.

Dem baukulturellen Erbe und der historischen Bedeutung sowie den Potenzialen des unbequemen Erbes europaweit gerecht zu werden, erfordert eine sensible, behutsame und integrierte Herangehensweise, die unterschiedliche Akteurinnen und Akteure in den Umgang mit dem unbequemen Erbe und seine Entwicklung einbindet.

Ziel 

Die Aktion „Integrierte Ansätze für den Umgang mit dem Unbequemen Erbe in Europa“ ist eine von elf Aktionen der Partnerschaft „Kultur und kulturelles Erbe“ der Urbanen Agenda für die EU (UAEU) die das BMI gemeinsam mit Italien koordiniert. Die insgesamt 14 thematischen Partnerschaften der Urbanen Agenda erarbeiten in ihrer dreijährigen Laufzeit jeweils Handlungsempfehlungen für eine bessere Regulierung, eine bessere Förderung und einen besseren Wissensaustausch für die EU (gemäß dem Pakt von Amsterdam). Die Aktion „Unbequemes Erbe“ setzt eine Aktionsgruppe bestehend aus Expertinnen und Experten aus europäischen Initiativen, Netzwerken sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen gemeinschaftlich um. Das Forschungsvorhaben unterstützt und begleitet diese Tätigkeiten und bringt die Erkenntnisse in den deutschen und europäischen Planungskontext ein.

Die Bearbeitung dieser Thematik in der Aktion „Unbequemes Erbe“ im Rahmen der Partnerschaft „Kultur und kulturelles Erbe“ soll die Grundlage für Handlungsempfehlungen für die lokale, nationale sowie EU-Ebene legen. Darüber hinaus sollen praxisorientierte Handreichungen lokale Akteursgruppen beim Umgang mit dem unbequemen Erbe und bei einer stärkeren Vernetzung unterstützen.

Das Forschungsprojekt zielt insbesondere darauf ab,

  • Ansätze zum integrierten und nachhaltigen Umgang mit dem unbequemen Erbe des 20. Jahrhunderts in kleineren Städten und peripheren Lagen in Europa herauszuarbeiten,
  • Potenziale und Chancen zur Demokratiestärkung, für Bildung, Tourismus und eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung aufzuzeigen und
  • diese ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und insbesondere der lokal handelnden Akteurinnen und Akteure zu rufen.

Aus den europaweiten Erkenntnissen soll ein Transfer von praxisorientierten Ansätzen und Methoden zur zukunftsfähigen Entwicklung vom unbequemen Erbe für Kommunen und Regionen in Deutschland geschaffen werden.

Auftragnehmer waren:

  • Urban Expert, Berlin
  • location³ Wissenstransfer, Berlin
  • sbca, Sally Below

Kontakt

  • Birgit Kann
    Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
    Referat RS 8 „Qualität im Städtebau, Investive Projekte“
    Telefon: +49 228 99401-2303
    E-Mail: birgit.kann@bbr.bund.de

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