Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Sicherung der Daseinsvorsorge und Zentrale-Orte-Konzepte - gesellschaftspolitische Ziele und räumliche Organisation in der Diskussion

Ergebnisse

Die Auswertung der Fachveranstaltungen führte zu folgenden Ergebnissen:

1. Fachtagung: Sachstand Daseinsvorsorge

Situation, Rahmenbedingungen und deren Entwicklung, Handlungsbedarf, Handlungsmöglichkeiten und -optionen (9. Mai 2007, Berlin)

Herr Prof. Dr. Rainer Winkel, TU Dresden, erläuterte einleitend den Stand der Fachdiskussion zum Thema Daseinsvorsorge. Prof. Winkel hob die maßgebliche Rolle des Zentrale-Orte-Konzepts (ZOK) gerade unter Schrumpfungsbedingungen hervor, den Wandel gesellschaftlicher Präferenzen, veränderte Konzepte sowie Änderungen in der Trägerschaft zur Sicherung der Daseinsvorsorge.

Herr Prof. Dr. Jens Kersten, Universität Bayreuth, umriss in seinem Vortrag die verfassungs- und europarechtliche Dimension des Begriffs Daseinsvorsorge. Der Vortrag hat allen Beteiligten die Grenzen der verfassungsrechtlichen Reichweite des Gleichwertigkeitsbegriffes vor Augen geführt. Herr Kersten hob die Bedeutung des Zentrale-Orte-Konzepts auch aus rechtswissenschaftlicher hervor. Er unterschied aber danach, ob bei einzelnen Daseinsvorsorgeleistungen nur eine Möglichkeit besteht oder mehrere vorhanden sind, um die erforderliche Grundversorgung zu erbringen. Nur bei alternativlosen Angebotsformen können Anbieter zur Erbringung so genannter "Universaldienste" verpflichtet werden.

Frau Prof. Dr. Gisela Färber, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, erläuterte die finanziellen Rahmenbedingungen der Daseinvorsorge. Sie thematisierte die Bedeutung von Infrastruktur als langlebiges Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Infrastruktur und deren Kosten und Finanzierung. Frau Färber stellte ferner die veränderten Bedingungen der Finanzierung bei einer Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge dar und stellte Überlegungen zur besonderen Problematik von Schrumpfungsräumen, den eventuellen Erfordernissen einer Mindestausstattung sowie etwaigen. Ausgleichszahlungen zu deren Finanzierung vor.

Die Anforderungen an die Raumordnung wurden von Herrn Dr. Gerd Tönnies, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, formuliert. Herr Tönnies betonte die Bedeutung des Zentrale-Orte Konzepts zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Ferner verwies er auf die Bedeutung von Modellprojekten, neuen, auch temporären und mobilen Angebotsformen und Kooperationen, auch im zentralörtlichen System.

Frau Ass. Jur. Tine Fuchs, Deutscher Industrie- und Handelskammertag, ging in ihrem Impulsstatement auf die Situation des Handels, auf Rahmenbedingungen und deren Entwicklung sowie Handlungsmöglichkeiten ein. Sie machte deutlich, dass an dem bewährten Steuerungsinstrument des Zentrale-Orte-Konzepts auch aus Sicht des Handels festgehalten werden sollte. Offen blieb allerdings die Frage, wie dieses System auf die neuen Herausforderungen reagieren soll, die Frau Fuchs aufgezeigt hat - etwa das sich verändernde Kaufverhalten und die regional deutlichen Kaufkraftunterschiede. Hier sind die neuen Angebotsformen besonders zu untersuchen und im Hinblick auf die Steuerungsmöglichkeiten der Raumordnung wieder aufzugreifen.

Herr Prof. Dr.-Ing. Gerd-Axel Ahrens, TU Dresden, referierte in seinem Impulsstatement zur Rolle des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bei der Sicherung der Daseinsvorsorge. Der Beitrag von Herrn Ahrens verdeutlichte die Bedeutung des ÖPNV für die Sicherung der Daseinsvorsorge, ging aber auch die großen Herausforderungen ein, die der demografische Wandel und das veränderte Nutzerverhalten mit sich bringen. Erneut wurde die Bedeutung des Zentrale-Orte-Konzepts betont. Herr Ahrens forderte, ein an der Struktur des Raumes orientiertes Netz von zentralen Orten zu definieren und Standards formulieren, die zur Sicherung der Daseinsvorsorge erforderlich sind und an denen sich die Bestellung von Verkehrsleistungen orientieren kann.

Fazit

Die Diskussion auf der ersten Fachtagung zeigte teils einheitliche, teils aber auch unterschiedliche Positionen der Vertreter der Länder wie auch der Experten auf. Einhelligkeit bestand in der Einschätzung, dass es einer präzisierenden Klärung der Begrifflichkeit von Gleichwertigkeit und Daseinsvorsorge bedarf. Bezüglich der Daseinsvorsorge sind weiterhin die Fragen der zukünftigen privaten Beteiligung und der öffentlichen Leistungen sowie die Sicherung einer Mindestversorgung von wesentlicher Bedeutung.

Die Schrumpfung betrifft die Bundesländer bislang mit sehr großen Unterschieden, weshalb auch sehr unterschiedlich darauf reagiert wird. Es zeichnet sich die Tendenz zum Rückzug aus Schrumpfungsräumen ab, in denen dann nur noch eine Mindestversorgung in Zentren aufrechterhalten werden kann. Das spricht für eine wachsende Bedeutung zentraler Orte gerade in diesen Rückzugsräumen. Zudem orientieren sich Bundesländer, die wegen des Einwohnerrückgangs die Ausstattung ihrer Daseinsvorsorge durch Rückbau anpassen müssen, am Zentrale-Orte-Konzept, was sich hier offensichtlich bewährt. Diese Einschätzung teilten alle Vortragenden der ersten Fachtagung.

2. Fachtagung: Sicherung der Daseinsvorsorge bei privatwirtschaftlicher Leistungserbringung - welche Bedeutung kommt den Zentrale-Orte-Konzepten zu?

(24. Oktober 2007, Bonn)

Herr PD. Dr. Stefan Greiving (plan + risk consult) präsentierte die Ergebnisse der Sonderexpertise Postwesen. Die Sonderexpertise stellte die Raumbedeutsamkeit der Verteilung stationärer Einrichtungen des Postwesens heraus. Liberalisierung und Privatisierung stellen dabei nicht notwendigerweise ein Problem für die Sicherung der Daseinsvorsorge dar, sofern der Staat seine Aufgabenverantwortung wahrnimmt. Mit Blick auf das Bundesraumordnungsgesetz (ROG) findet sich nur ein sehr allgemeiner Bezug zum Postwesen. Die Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) als fachgesetzliche Rechtsnorm ist vergleichsweise konkret, da eine Mindestversorgungsdichte für Brief- wie für Paketdienstleistungen u. a. orientiert am jeweiligen Zentrale-Orte-Konzept normiert wird.

Im Rahmen der Expertise wurde die Verteilung stationärer Einrichtungen für die einzelnen Zentralitätsstufen ermittelt und grafisch aufbereitet. Damit konnte die Aussage der Bundesnetzagentur, alle Zentralen Orte verfügten tatsächlich über mindestens eine stationäre Einrichtung, als weitestgehend bewährt gelten. Am Beispiel der Region Jerichower Land wurde die räumliche Verteilung von stationären Einrichtungen des Postwesens genauer dargestellt und auch im Zeitlauf analysiert. Auch hier bestätigte sich der Eindruck, dass die Daseinsvorsorge in der Fläche gesichert ist.

Kontrovers wurde über die Bedeutung zentraler Orte diskutiert. Aus Sicht des Postwesens erscheint dieses Kriterium verzichtbar, wenn Erreichbarkeit über Maximaldistanzen oder Einwohnerzahlen zu sichern ist. Damit wäre jedoch nicht sichergestellt, dass die Einrichtungen dem Konzentrationsprinzip folgend in den Hauptorten verortet werden. Grundsätzlich sind Zentrale-Orte-Konzepte als Kriterium aus raumordnerischer Sicht sehr gut geeignet, Infrastruktur zu bündeln und damit Tragfähigkeiten zu erhöhen. Doch die gegenwärtige Ausgestaltung der Konzepte in den Ländern lässt die Steuerungswirkung dort ins Leere laufen, wo "inflationär" von der Ausweisung zentraler Orte Gebrauch gemacht wird. Die Vertreter des Postwesens als Anwender der Zentrale-Orte-Konzepte erwarten von der Raumordnung jedenfalls sinnvolle Funktionszuweisungen.

Die Sonderexpertise Gesundheitswesen wurde von Herrn Dipl.-Soz. Jürgen Herdt (Hessenagentur) erarbeitet. Die Expertise belegt die große Bedeutung von Zentrale-Orte-Konzepten gerade in der stationären Versorgung. Hier lässt sich eine tatsächliche Steuerungswirkung der Konzepte beobachten. Eine Besonderheit des Gesundheitswesens weist auf die schwierige Situation hin, der sich schrumpfende Räume ausgesetzt sehen: Da die Inanspruchnahme altersabhängig ist, nimmt selbst bei demografisch bedingter Schrumpfung oder arbeitsmarktinduzierter Abwanderung die Nachfrage nicht zwangsläufig ab. Allerdings schwinden die Potenziale für ein tragfähiges Versorgungsangebot.

Vor dem Hintergrund fortschreitender Privatisierung und Konzentrationsneigung mit einem erhöhten Risiko von regionalen Versorgungslücken, erschien es unabdingbar, Mindeststandards insbesondere hinsichtlich der Erreichbarkeit der Notfallversorgung zu setzen, an die auch Private gebunden sind. Diese Bindungswirkung können jedoch Zentrale-Orte-Konzepte nicht direkt entfalten, da die Adressaten primär öffentliche Planungsträger sind. Über die Orientierung fachplanerischer Konzepte an gegebenen Zentrale-Orte-Konzepten wirkt dieses jedoch mittelbar bindend. Hier ist eine enge interministerielle Abstimmung angezeigt.

Erneut, und hier zeigte sich eine Parallele zum Postwesen, gefährdet die sehr unterschiedliche, häufig von normativen Überlegungen überformte Zuweisung von zentralörtlichen Funktionen eine effektive Steuerung der Verteilung stationärer Einrichtungen. Bei der ambulanten Versorgung erscheint allein der fachärztliche Bereich zentralörtlich relevant, wobei in ländlich-peripheren Räumen regionale Versorgungskonzepte nur durch interkommunale Zusammenarbeit tragfähig erhalten werden können. Hier ist ein Ansatzpunkt für Städteverbundslösungen, da die funktionsergänzende Wahrnehmung von Aufgaben ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Festlegung von Funktionsteilungen in Zentrale-Orte-Konzepten ist. Gleichwohl gilt es, über die Vorhaltung der ganzen Palette an Infrastruktur des täglichen Bedarfs insbesondere Grundzentren als Wohn- und Arbeitsort vor allem für an der Primärversorgung beteiligte Ärzte attraktiv zu halten.

Arbeitsgruppe Postwesen

Herr Stegt, Deutscher Landkreistag, stellte die kommunale Interessenlage heraus, wobei deutlich wurde, dass den Kommunen primär daran gelegen ist, dass die Postdienstleistungen flächendeckend erbracht werden, nicht aber durch wen diese zu erbringen sind. Dafür ist die Postuniversaldienstleistungsverordnung zu erhalten.

Herr Bodenbach, Deutsche Post AG, erklärte, dass sich absehbar das Angebot der DPAG aufgrund des Wegfalls der Monopolstellung zum 01.01.2008 nicht verändern wird. Befürchtungen, dass die Versorgung in dünn besiedelten Gebieten nicht mehr vollumfänglich gedeckt sein könnte, wurden ausgeräumt. Gleichzeitig ist jedoch mittelfristig, bedingt durch die zukünftige Wettbewerbssituation, mit einer Anpassung der Angebote zu rechnen.

Herr Dr. Ritter, Bundesnetzagentur, unterstrich die Erkenntnis der Sonderexpertise, dass die Sicherung der Daseinsvorsorge in der Fläche über die PUDLV wirksam gesichert ist. Zudem hätten die Anbieter schon aus eigenem Interesse heraus die Motivation, Leistungen flächendeckend anzubieten.

Arbeitsgruppe Gesundheitswesen

Dr. Thomas Kopetsch, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin, stellte Handlungsoptionen zur Arztzahlentwicklung unter raumstrukturellen Aspekt vor. Er hob einen wichtigen Aspekt hervor, der bisher wenig thematisiert worden war: Wie können die Versorgungsstrukturen bedarfsorientiert ausgestaltet und wie sollen dabei die Zielsetzungen der Raumordnung berücksichtigt werden? Ohne das notwendige methodische Handwerkszeug für eine bedarfsgerechte Versorgung würden alle planungspolitischen Zielsetzungen ins Leere laufen.

Dr. Michael Mörsch, Deutschen Krankenhausgesellschaft Berlin, trug zum Instrument der "Sicherstellungszuschläge" vor. Sie setzen zum einen die Formulierung von unabdingbaren Kernstandards voraus und erhalten zum anderen wesentliche Strukturierungsimpulse durch Zentrale-Orte-Konzepte, da solche Potenziale – beispielhaft insbesondere im Gesundheitswesen – wesentlich entlang zentralörtlicher Funktionszuweisungen zu erreichen sind. Für Zentrale-Orte-Konzepte ist in diesem Sinne eine Relevanz gegeben: Über die Bündelung der Infrastruktur in zentralen Orten lässt sich das finanzielle Defizit bei der Leistungserbringung über eine Nachfragesteigerung tendenziell verringern.

Dr. Neeltje van den Berg, Universität Greifswald, stellte neue Versorgungsansätze für ländlich periphere Räume vor. Das Community Medicine Nursing ist nachweislich geeignet, um die Versorgungsqualität mit ambulanten Gesundheitsdienstleistungen in der Fläche zu verbessern. Mit der vorgestellten Form der Funktionsdifferenzierung können durch prekäre Versorgungslagen (Unterversorgung) hervorgerufene Belastungssituationen entschärft werden. Mögliche funktionale Einschränkungen werden durch eine intensive technische Vernetzung der beteiligten Akteure zu verhindern versucht. Ein Bezug zu Zentrale-Orte-Konzepten besteht darin, dass der Sitz des zuständigen Arztes zentral erreichbar sein sollte.

Dr. Andreas Hagenow, Ärztenetz Süd-Brandenburg, stellte die Potenziale der Regionalentwicklung durch ein medizinisches Netzwerk heraus. Das Statement hatte in eindrucksvoller Weise die hohe Bedeutung von Zentrale-Orte-Konzepten herausgestellt: Erst die Sicherstellung aller Komplementärfunktionen gewährleistet die medizinische Versorgung, auch wenn diese im hausärztlichen Bereich nicht direkt zentrenrelevant ist. Diese Erkenntnis gilt für viele Bereiche: Auch als Wirtschaftsstandort ist eine Gemeinde nur dann attraktiv, wenn dem Unternehmer, aber auch qualifizierten Arbeitnehmern alle notwendigen öffentlichen wie privaten Dienstleistungen in zumutbarer Erreichbarkeit und Qualität angeboten werden.

Fazit

Die Privatisierung von daseinsvorsorgerelevanter Infrastruktur muss nicht im Widerspruch zur politischen Zielvorstellung der Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse stehen. Zumindest solange nicht, wie im Sinne der funktionalen Privatisierung die Aufgabenverantwortung weiterhin zu den Staatsaufgaben gehört und die privatwirtschaftlich erbrachte Aufgabendurchführung überwacht bleibt. Dies haben die beiden Sonderexpertisen eindeutig belegen können und dies dürfte auch auf andere privatwirtschaftlich erbrachte Dienstleistungen (z. B. ÖPNV, Telekommunikation, Energiewirtschaft) übertragbar sein.

Zentrale-Orte-Konzepten wurde dabei sowohl von den Vertretern der Landesplanung, den externen Experten als auch den Fachexperten in Post- und Gesundheitswesen eine erhebliche Bedeutung zur Sicherung der Daseinsvorsorge in der Fläche zuerkannt. Es wurde explizit auf zentrale Orte als fachgesetzlich relevantes Kriterium abgestellt.

Dabei kann die Konzentration auch von Infrastrukturangeboten, die traditionell in privater Hand sind (ambulante Gesundheitsversorgung) oder ganz oder teilweise privatisiert worden sind (Postwesen, Krankenhäuser), im Interesse der Betreiber sein, weil über die Bündelungseffekte von Infrastruktur Nachfrage erhöht wird. Um die Erreichbarkeit von Angeboten dabei nicht zu gefährden, sind flexible bzw. mobile Angebotsformen von eminenter Bedeutung. Ansätze dafür haben sowohl der Mobile Postservice als auch innovative Konzepte des Gesundheitswesens wie das Community Medicine Nursing sowie das Ärztenetzwerk aufgezeigt. Dieser potenziell großen Bedeutung von Zentrale-Orte-Konzepten stehen Steuerungsdefizite in der Praxis gegenüber, die in erster Linie drei Ursachen haben:

  • die sehr unterschiedliche Ausgestaltung der Konzepte im Hinblick auf Stufigkeit, aber auch Tragfähigkeitsschwellen und Ausstattungskataloge. Die Diskussion beleuchtete das Dilemma zwischen dem Wunsch nach vergleichbaren Vorgaben und den unterschiedlichen Raumstrukturen, ohne bisher einen Königsweg gefunden zu haben.
  • die häufig eher auf normativen Überlegungen fußenden Einstufungen, die nur bedingt reale Zentrale-Orte-Systeme widerspiegeln. Hier ist allerdings zumindest in den neuen Ländern unter dem Druck des demografischen Wandels und geringer finanzieller Spielräume eine Straffung der Funktionszuweisungen erkennbar.
  • die unterschiedlichen Rechtsauffassungen im Hinblick auf gemeindeinterne Funktionszuweisungen, die nach übereinstimmender Fachauffassung notwendig wären, um gerade in großen Einheitsgemeinden das Konzentrationsziel zu gewährleisten, aber nach Auffassung einer Gruppe von Ländern der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie widerspricht, während eine andere Gruppe die Position vertrat, dass innergemeindliche Funktionszuweisungen, da von überörtlicher Bedeutung, sehr wohl mit der Verfassung vereinbar sind. Einen Lösungsansatz könnte hier das Vorgehen in Niedersachsen sein, innergemeindliche Festlegungen in Kooperation mit den betroffenen Kommunen zu treffen.

Diese zentralen Fragestellungen sollten die Fachtagungsreihe weiter leiten, da keine alternativen Steuerungskonzepte in Sicht waren – auch das war ein Ergebnis der zweiten Fachtagung.

3. Fachtagung: Sicherung der Daseinsvorsorge unter Schrumpfungsbedingungen

(21. Februar 2008, Berlin)

Herr Prof. Dr. Rainer Winkel leitete in die Fachtagung mit seinem Vortrag "Standards, aber welche?" ein und fokussierte auf folgende Aspekte: Woher kommen Standards in der Raumordnung? Wodurch werden Sie gebildet? Wie weit sind sie veränderlich und welche Schlüsse ziehen wir daraus für die Versorgungsmaßstäbe unter den Bedingungen rückläufiger Bevölkerung?

Die wesentlichen Schlussfolgerungen für die Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts stellten sich wie folgt dar: Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und veränderter Rahmenbedingungen muss auch von Veränderungen der Anforderungen an Versorgungsstandards ausgegangen werden. Dabei geht es nicht nur um Anpassung an rückläufige Bevölkerung durch Rückbau, sondern zugleich auch um eine Weiterentwicklung der Angebote entsprechend veränderter Präferenzen, um weitere Entwicklungsnachteile zu vermeiden. Um diese Anforderungen unter den finanziellen Zwängen zu bewältigen, sind Standards zu hinterfragen. Gegebenenfalls sind sie zu verändern und vor allem auch in Hinblick auf innovative neue Versorgungskonzeptionen zu aktualisieren und weiter zu entwickeln.

Die Diskussion und Veränderungen von Standards sind als Querschnittsthema für sämtliche Versorgungsbereiche sowie für die Fortentwicklung zentralörtlicher Funktionen und das Hinwirken der Raumordnung auf gleichwertige Lebensverhältnisse einzubeziehen. Den zentralen Orten kommt in der Frage der Sicherung von Mindeststandards der Versorgung gerade in Schrumpfungsräumen entscheidende Bedeutung zu.

Kerstin Schmidt, Geschäftsführerin von Demographie lokal, Minden, zeigte in ihrem Vortrag "Die Veränderungen für soziale Infrastruktur durch den demografischen Wandel" für wesentliche Bereiche der sozialen Infrastruktur den Handlungsbedarf und Lösungsmöglichkeiten auf:

Den Zentralen Orten als Knotenpunkte der Versorgung zur Sicherung des Angebotes kommt in Schrumpfungsräumen besondere Bedeutung zu. Durch die Bündelung der dortigen Angebote werden zugleich die Voraussetzungen für die Tragfähigkeit der Angebote erhöht. Der Ausstattung mit Daseinsvorsorge kommt wesentliche Bedeutung für die Standortgunst zentraler Orte zu. Dennoch ist auch dort zum Teil. mit einem Anpassungsbedarf durch Rückbau zu rechnen und als Folge der demografischen Veränderungen wird eine Reduzierung der Anzahl ausgewiesener zentraler Orte erforderlich. Die Flächenausweisung kleiner Kommunen im Umland wirkt sich abträglich auf die zentralen Orte aus. Sie führt dort zur Unterauslastung von Infrastruktur. Hingegen werden in den Umlandgemeinden zusätzliche Infrastrukturaufwendungen erforderlich, die dort teilweise nur vorübergehend benötigt werden und später unausgelastet hohe Belastungen beinhalten. Aus diesem Grunde gilt es, regionale Sichtweisen zu stärken und zugleich stärker in interkommunaler Kooperation zusammenzuarbeiten - insbesondere in den Bereichen Gesundheits- und Schulversorgung.

Thomas Gawron, Fachhochschule für Wirtschaft Berlin: "Welche Folgen hat der Bevölkerungsrückgang für die administrative Abgrenzung und Funktionsfähigkeit der Gebietskörperschaften? Welche Anforderungen könnten sich daraus für Größe und zukünftige Funktionen in der Daseinsvorsorge für die Gebietskörperschaften ergeben?"

Herr Gawron stellte in seinem Vortrag eindrucksvoll die ökonomischen Zwänge heraus, die die laufenden Verwaltungsreformen entscheidend prägten. Daraus ist zu schlussfolgern, dass mit der Straffung des Systems eine deutlich stärkere Würdigung der zentralörtlichen Leistungen einhergehen muss, wenn nicht sogar – analog zur Vergrößerung der Kreise – eine Annäherung an die von Seitz geforderte "institutionelle Kongruenz", sprich Umlandgemeinden einzugemeinden sind. In jedem Fall gilt es angesichts dieser Wechselwirkungen, die Ziele und Richtwerte von Funktions- und Territorialreformen einerseits und der Fortschreibung des jeweiligen Zentrale-Orte-Konzepts andererseits aufeinander abzustimmen und die Reformen möglichst auch zeitgleich durchzuführen.

Prof. Dr. Horst Weishaupt, Bergische Universität Wuppertal: "Einschnitte in der Schulversorgung durch erheblichen Schülerrückgang – welche Lösungsmöglichkeiten bestehen?" Prof. Weishaupt stellte die Entwicklung der zukünftigen Schülerzahl dar und zeigte zugleich die voraussichtliche Entwicklung im Bildungsbereich auf, um daraus Folgerungen für die Anforderungen sowie auch Aussagen zur Schulversorgung zentraler Orte abzuleiten:

Die Schulen haben wichtige Bedeutung für die Funktion zentraler Orte. Zur Sicherung einer angemessenen Bildungsversorgung und zentralörtlicher Funktionen sind die Schulstandorte möglichst zu erhalten. Dafür bieten die Veränderungen und neuen konzeptionellen Überlegungen, die im Schulbereich stattfinden, Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Besondere Bedeutung kommt dabei der Entwicklung der Sekundarstufe I und II sowie der Förderstufen zu. Wichtige Möglichkeiten bieten auch die Überlegungen zur Verknüpfung der gymnasialen Oberstufe mit dem. Mit dem Ansatz der Verzahnung von Kindergärten und Grundschulen sowie jahrgangsübergreifende Klassen lassen sich eher kleine Grundschulstandorte erhalten. Dabei könnten Konzepte mit Dependancen von Grundschulen des zentralen Ortes einen Leistungstransfer in das Umland zu dessen Versorgungsstärkung bewirken.

Wilfried Hegen, Thüringer Kultusministerium, Impulsreferat zur Verwaltungsreform in Schrumpfungsräumen: Herr Hegen stellte den hohen Schülerrückgang und die Anpassungsmaßnahmen sowie die Ausrichtung zukünftiger Entwicklung dar:

Thüringen hat die Anpassung der Schulstandorte und -netze an die demographischen Veränderungen durch Reduzierung der Standorte bei gleichzeitig weiterentwickelten Konzepten vollzogen. Dadurch und durch Erhöhung der Flexibilität ist es gelungen, trotz der Schülerrückgänge auch in ländlichen Räumen das Angebot zu sichern. Für die Zukunft wird ebenfalls die neue konzeptionelle Ausrichtung durch Verknüpfung von Grundschulen und Kindergärten verfolgt. Die zentralen Orte haben bislang in der Schulnetzplanung eine nachrangige Rolle gespielt. Da dennoch die zentralen Orte in Thüringen, insbesondere ab Mittelzentren, Schulstandorte sind, wurden durch die erfolgreichen Anpassungsmaßnahmen letztlich auch die zentralen Orte in ihrer Bildungsfunktion gesichert, wenngleich die Schulnetzplanungen größtenteils nicht explizit darauf ausgerichtet sind.

Margit Paepke, Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, Impulsreferat zur Verwaltungsreform in Schrumpfungsräumen:

Das Beispiel Sachsen-Anhalt zeigte deutlich auf, welche Wechselwirkungen zwischen Verwaltungsreform und Zentrale-Orte-Konzept vorhanden sind und wie diese Prozesse um wechselseitigen Vorteil aufeinander abgestimmt werden können. Mit zunehmender Größe kommunaler Einheiten wird die Festlegung zentraler Ort immer wichtiger, um die mit dem Konzept intendierte Konzentrationswirkung gewährleisten zu können: Große Flächengemeinden, die zur Gänze Zentraler Ort sind, die quasi ihren Versorgungsraum eingemeindet haben, bedürfen einer innergemeindlichen Festlegung von Hauptorten, die zentralörtliche Funktionen erfüllen. Daher kann der Weg, der in Brandenburg mit der Preisgabe der Grundzentren ansteht, nicht gut geheißen werden. Es ist vielmehr ein Proporzdenken zu befürchten, wo um der erforderlichen Neuschaffung einer gemeinsamen Identität willen, Infrastruktur quasi flächendeckend in den ehemals selbständigen Ortsteilen verteilt bleibt. Damit geht die eigentlich mit der Gebietsreform beabsichtigte Leistungssteigerung der Verwaltung bei gleichzeitiger Kosteneinsparung weitgehend verloren.

Fazit

Gerade unter Schrumpfungsbedingungen gewinnt das Konzentrations- und Bündelungsprinzip des Zentrale-Orte-Konzepts an Bedeutung. Dabei muss der bloße Rückbau von Infrastruktur nicht die einzige Antwort auf die schwindende Tragfähigkeit vorhandener Einrichtungen bleiben. Die Tagung hat vielfältige Möglichkeiten aufgezeigt, wie auch innovative Konzepte helfen können, Qualitäten zu erhalten.

Eine weitere ganz wichtige Erkenntnis dieser Tagung bestand in der großen Bedeutung eines interministeriell abgestimmten Vorgehens, weil die zentralen Orte auch von anderen Fachressorts genutzt werden könnten und sollten, den erforderlichen Rück- und Umbauprozess räumlich zu steuern und aufeinander abzustimmen.

Nicht unterschätzt werden darf auch die Bedeutung einer mit raumordnerischen Erfordernissen abgestimmte Verwaltungs- und Gebietsreform - sowohl auch Kreis- als auch Gemeindeebene. Dies hat das Beispiel Sachsen-Anhalt deutlich aufgezeigt. Mit der Reduzierung der Verwaltungssitze im Wesentlichen auf die zentralen Orte werden diese in ihrer Funktion gestärkt. Dabei wurde klar, dass die bereits seit Beginn der Fachtagungsreihe zwischen den Landesplanern kontrovers diskutierte Frage, ob es sinnvoll und zulässig sei, zentralörtliche Funktionszuweidungen vom Gemarkungsgebiet der Gemeinden abzukoppeln und auf denjenigen Teilraum zu konzentrieren, wo die relevante Infrastruktur gebündelt vorliegt (Hauptort der Gemeinde), angesichts der zunehmenden Größe und Heterogenität der neuen Einheitsgemeinden weiter an Bedeutung gewinnt.

4. Fachtagung: Daseinsvorsorge durch zentrale Orte

Zukünftige Anforderungen und Möglichkeiten zur Sicherung zentraler Orte. Folgerungen für das Konzept und die Bundesraumordnung, Landesplanungen sowie ggf. für zukünftige Förderprogramme (12. Juni 2008, Berlin)

Prof. Dr. Blotevogel, TU Dortmund: Zentrale Orte als Zentren der Daseinsvorsorge – zukünftige Anforderungen und Ansätze zur Weiterentwicklung

Herr Prof. Blotevogel hat in seinem Vortrag zunächst auf die Konjunkturzyklen des Zentrale-Orte-Konzepts abgestellt, um dann auf seine Bedeutung für Planung und Politik einzugehen. Dabei betonte er, dass die einzelnen Funktionen des Konzepts auf den verschiedenen Hierarchiestufen unterschiedliche Bedeutung besitzen. Während etwa die Sicherung der Daseinsvorsorge und Steuerung der Siedlungsentwicklung primär für Grund- und Mittelzentren das entscheidende Element sei, träfe dies für Oberzentren und Metropolen für die Funktionen Verkehr und Wirtschaft zu. Bei der Sicherung der Daseinsvorsorge käme es auf die räumliche Bündelung von Infrastruktur in zentralen Orten, aber auch auf deren Kombination mit handlungsorientierten Programmen zur Infrastruktursicherung an. Dies sei um flexible Formen der Nahversorgung zu ergänzen. Insgesamt sei die Ausweisung zentraler Orte eng mit der Implementierung der damit verbundenen Zielverstellungen zu verbinden.

Herr Rühl, Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg: Entwurf des Landesentwicklungsplanes Berlin-Brandenburg (LEP B-B) – Hintergründe und Methodik der Überarbeitung des Zentrale-Orte-Systems

Herr Rühl erläuterte die Umgestaltung der gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg auf Grundlage des neuen Leitbilds "Stärkung der Stärken" und stellte den Zusammenhang mit der Gemeindegebietsreform heraus. So seien die neuen amtsfreien Gemeindegebiete i.d.R durch Zusammenschluss der Gemeinden des Verflechtungsbereiches (grund-)zentraler Orte entstanden. Daher seien diese zukünftig für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs zuständig. Somit könnten die Grundzentren als Stufe entfallen. Innerhalb der Gemeinden seien räumliche Funktionsschwerpunkte anzustreben, um dem Konzentrations- und Bündelungsprinzip Rechnung zu tragen. Dieses Konzept wird vom Städte- und Gemeindebund Brandenburg allerdings abgelehnt. Oberhalb der Grundversorgung sei die Netzdichte der Gemeinden mit ober- oder mittelzentraler Funktion in zumutbarer Erreichbarkeit bei gesicherter Tragfähigkeit auf 55 (statt bisher 38) erhöht worden. Dabei seien acht funktionalteilige Mittelzentren festgelegt worden. Herr Rühl betonte, dass es wichtig sei, bei einer Reform des Zentrale-Orte-Konzepts die jeweiligen administrativen Rahmenbedingungen zu beachten und daran angepasste Konzepte entwickeln.

Herr Greiving: Zentrale Orte zur Sicherung der Daseinsvorsorge – Handlungsbedarf und Ansätze zur Weiterentwicklung aus der Sicht des Landes Hessen

Herr Greiving berichtete (stellvertretend für Herrn Orth), dass der Landesentwicklungsplan (LEP) Hessen vor der Anpassung stünde. Dafür seien Gutachten in Auftrag gegeben worden, zunächst zur Bestimmung zentraler Orte in Südhessen, anschließend für Mittel- und Nordhessen. Für Südhessen seien die Tragfähigkeit und Erreichbarkeit zentraler Orte insgesamt unproblematisch. Im gesamten Verdichtungsraum und Teilen des Ordnungsraums gebe es aber keine klaren Zuordnungen der Verflechtungsbereiche der Mittelzentren. In den übrigen Räumen könne die gewünschte mittelzentrale Infrastruktur in der Hälfte der Mittelbereiche nur noch von mehreren Städten gemeinsam gewährleistet werden. Dort, wo es wegen der unzureichenden Infrastrukturausstattung erforderlich sei, sollten die mittelzentralen Funktionen daher von Städteverbünden gewährleistet werden. Dies setze verbindliche interkommunale Kooperationen voraus. Im Verdichtungsraum werde zugunsten sogenannter "zentralörtlicher Funktionsräume" auf die Ausweisung von Mittelzentren verzichtet. Bezüglich der Einzelhandelsentwicklung und des kommunalen Finanzausgleichs müssten dann andere Steuerungs- und Verteilungsmechanismen entwickelt werden. Fragen zur Tragfähigkeit und Erreichbarkeit spielten für Mittel- und Nordhessen eine deutlich größere Rolle. Bis Mitte 2009 werde ein Entwurf des Landesentwicklungsplans zur Vorlage an den Landtag erarbeitet. Eventuell werde prozessbegleitend die Konzeption mit Vertretern der Kommunen vorberaten werden.

Arbeitsgruppe "Kooperation zentraler Orte zur Sicherung der Daseinsvorsorge"

Herr Greiving, plan+risk consult, ging in seinem Impulsreferat auf die wesentlichen Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt "Kooperation zentraler Orte in schrumpfenden Regionen – Praxiserfahrungsstudie" ein. So solle die Raumordnung bei Funktionsteilungen mehr auf Funktionsergänzungspotentiale bzw. vorhandene komplementäre Ausstattungen zentralörtlicher Infrastruktur achten. Denkbar seien bei der Funktionsergänzung zwei Modelle: wechselseitige Infrastrukturvorhaltung oder wechselseitige Funktionserfüllung. Die Festlegung von konkreten Teilfunktionen durch die Raumordnung sei zu erwägen. Dabei sollten die Infrastrukturressorts, die die primären Adressaten gerade oberzentraler Funktionszuweisungen seien, einbezogen werden. Die Evaluation festgelegter Städteverbünde habe sich als zentraler, impulsstiftender Ansatz erwiesen. Dafür sei ein schlüssiges, mehrstufiges Konzept mit klaren Kriterien vorzulegen. Die Evaluationsanforderungen sollten sich an der Entwicklungsphase orientieren, in der sich ein Verbund befindet. Einer vertraglichen Vereinbarung komme eine zentrale Bedeutung gerade für die Evaluation zu, die sich primär an den Zielen der Kooperation orientieren sollte, denen ja als Vertragpartner auch die Raumordnung zugestimmt hätte.

Herr Busch, Stadt Deggendorf, berichtete von positiven Kooperationserfahrungen für die schwierige Kooperation oberzentraler Städteverbünde am bayrischen Beispiel Deggendorf/Plattling. Die beiden Orte seien seit 1976 landesplanerisch als Doppelort festgelegt (als einheitlicher Mittelpunkt eines gemeinsamen Verflechtungsbereiches geeignet). Erst 2003 seien sie zum gemeinsamen Oberzentrum aufgestuft worden. Dem sei ein intensiver Kooperationsprozess vorausgegangen, so dass unmittelbar nach der Aufstufung mit der Präzisierung der Funktionsteilung in einem für Bayern ersten landesplanerischen Vertrag begonnen werden konnte, dessen Umsetzung in 2009 evaluiert werde. Der Vertrag treffe Aussagen zu Organisation und Inhalten der Zusammenarbeit. Wichtig seien schnelle Erfolge, aber auch ein gewisser Leidensdruck. Kritisch wurde betont, dass vor allem Aussagen zu Projekten von gemeinsamem Interesse, aber wenig zu einer Funktionsteilung selber getroffen seien und die Rolle der Landesplanung bei diesem Vertrag weiterhin unklar sei.

Arbeitsgruppe "Neue Ansätze für die Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Systems, insbesondere: Vom Territorial- zum Funktionalbezug zentraler Orte"

Herr Prof. Dr. Danielzyk, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), betonte in seinem Impulsreferat zur Darstellung neuer Ansätze und Möglichkeiten des Zentrale-Orte-Konzepts das Erfordernis, vom Territorialbezug zu Gunsten funktionaler Bezüge abzuweichen. Dies begründe sich einerseits mit der Großflächigkeit vieler Gemeinden insbesondere in ländlichen Räumen, bei denen nur Teile tatsächlich zentralörtliche Funktionen übernehmen und Großstädte bzw. Oberzentren andererseits, die innerörtliche Zentrensysteme aufweisen würden, aber selber auch Teil eines transkommunalen Kooperationsraums seien.

Frau Paepke, Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, berichtete über Erfahrungen ihres Landes bei der Neuaufstellung des Landesentwicklungsplans. Dabei werde das Ziel verfolgt, mit einem gestrafften Zentrale-Orte-Konzept die Grundlage für die langfristige Sicherung der Daseinsvorsorge auch in ländlichen Räumen mit geringer Einwohnerdichte zu schaffen. Ein zentraler Ort sei ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil als zentrales Siedlungsgebiet einer Gemeinde und nicht die gesamte Gemeinde. Für die Festlegung von Grundzentren kämen drei Strukturvarianten in Betracht: 1. Erbringung zentralörtlicher Versorgungsaufgaben durch einen Ort; 2. Die zentralörtliche Funktion werde von zwei oder mehreren Orten gemeinsam Vorgenommen, wenn Ergänzungspotenziale gegeben seien; 3. Grundzentraler Funktionsraum, in dem auf Versorgungseinrichtungen zurückgegriffen werde, die auf mehrere Orte verteilt seien. Dieses Netzwerk müsse in Gänze einen tragfähigen Bereich aufweisen und dabei seien Mehrfachausstattungen zurückzubauen, d. h. eine Spezialisierung der beteiligten Orte hinsichtlich der Vorhaltung von Infrastruktur sei Voraussetzung. Die Organisation eines solchen Funktionsraums solle auf der Ebene der Regionalplanung erfolgen.

Arbeitsgruppe "Sicherung der Daseinsvorsorge durch zentrale Orte und mobile Angebote"

Herr Prof. Dr. Winkel, Deutsches Institut für Stadt und Raum, stellte in seinem Impulsreferat Ansätze zu flexiblen, temporären und mobilen Angeboten der Daseinsvorsorge vor. Flexible Nutzungskonzepte seien möglichst zugleich auf Multifunktionalität und temporäre Nutzung auszulegen. Mobile Angebote seien vor allem in den Bereichen soziale Infrastruktur, Einzelhandel, Dienstleistungen und technische Infrastruktur sinnvoll einsetzbar. Durch flexible, temporäre Konzepte in Verbindung mit multifunktionalen und mobilen Angeboten ließe sich die Tragfähigkeit der zentralörtlichen Einrichtungen und Anlagen besser sichern und die Effizienz der dafür eingesetzten Mittel erhöhen. Die Versorgung der Bevölkerung insbesondere in Schrumpfungsräumen ließe sich unter Einbeziehung der neuen Angebotsformen besser sichern, was wiederum die zentralörtlichen Funktionen der zentralen Orte stärke.

Herr Kaufmann, Dezernent für Regionalplanung im Amt für Raumordnung und Landesplanung Mecklenburgische Seenplatte, ging auf die regionalen Handlungserfordernisse und Anpassungsstrategien an den demographischen Wandel ein und bezog sich dabei primär auf die Handlungsfelder Bildung und Gesundheit. Wichtig sei bei der Bildung, eine fundierte Entscheidungsbasis für Anpassungsstrategien im Bereich "Bildungsversorgung" zu schaffen. Dafür habe sich die Arbeit mit Szenarien bewährt (vom Erhalt aller Standorte, einer Trendausdünnung bis zur aktiven Gestaltung zur Sicherung einer möglichst wohnortnahen Versorgung). Dabei sei darauf abgestellt worden, welche Qualitäten jeweils damit verbunden wären und welche Kosten diese verursachten. Im Ergebnis habe sich gezeigt, dass eine aktive Gestaltung kaum mehr kosten würde, als ein bloßer trendbasierter Rückbau. Im Bereich Gesundheit stellte er das Leitbild: "Zentrale Gesundheitshäuser für den ländlichen Raum" vor. In der Umsetzung sollten in den zentralen Orten Gesundheitshäuser zur Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung des zentralörtlichen Nahbereichs entstehen, in denen mehrere Hausärzte zusammenarbeiten. Zentrale Gesundheitshäuser könnten unterschiedliche Betreiber- und Nutzerformen haben (eigenständig, Angestellter, Praxisgemeinschaften etc.) und mit anderen Angeboten (z. B. Altenpflegestationen) kombiniert werden.

Ergebnisse der 4. Fachtagung und des Gesamtprojekts

Zukünftige Anforderungen und Möglichkeiten zur Sicherung zentraler Orte. Folgerungen für das Zentrale-Orte-Konzept und die Bundesraumordnung sowie die Landesplanungen

Die raumordnerische Leitvorstellung der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen gilt weiterhin. Die Gewährleistung der Daseinsvorsorge trägt wesentlich zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bei. Offen ist, wie dieser Beitrag zur Herstellung von Gleichwertigkeit operationalisierbar ist, d. h. mit welchen Standards die Versorgung der Bevölkerung auch innerhalb des Zentrale-Orte-Konzeptes zu gewährleisten ist.

Anders als in Zeiten des Zuwachses ging es vor allem um die Sicherung einer Basisausstattung und um die qualitative Weiterentwicklung der Angebote der Daseinsvorsorge. Der Schwerpunkt bei Neuinvestitionen und Ausbau verlagert sich zur Bestandsentwicklung – auch in den alten Bundesländern. Dabei spielen die Standards bzw. Anforderungen der Fachplanungen eine wichtige Rolle. Die Standardvorgaben sind nicht unveränderbar, sie bedürfen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung einer Überprüfung.

Die konzeptionellen Handlungsmöglichkeiten in der Daseinsvorsorge, auf die veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren, liegen vor allem in

  • Konzentration und Rückbau ,
  • Flexibilisierung und innovativen Konzepten sowie
  • veränderten Trägerschaften, einschließlich einer Privatisierung.

Hinsichtlich der fortschreitenden Privatisierung der Leistungserbringung in der Daseinsvorsorge belegen die Erfahrungen mit dem Postwesen, dass der Staat seine Gewährleistungsverantwortung mit geeigneten Instrumenten wahrnimmt. Durch die Vorgabe der PUDLV (Postuniversaldienstleistungsverordnung) und das Einwirken der Regulierungsbehörde (Bundesnetzagentur) bleibt die flächendeckende Versorgung gesichert. Die PUDLV bezieht das Zentrale-Orte-Konzept ein: An zentralen Orten müssen die stationären Einrichtungen (Postfilialen) zwingend erhalten bleiben. Zur Versorgungssicherung sollten in Anbetracht der positiven Erfahrungen im Postwesen derartige Vorgaben für Mindeststandards auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge getroffen werden.

Das Zentrale-Orte-Konzept ist auch unter den veränderten Rahmenbedingungen das geeignete raumordnerische Instrument zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Erforderlich für eine wirksame Sicherung ist allerdings seine Fortentwicklung: Die Ausweisung zentraler Orte muss jedoch realistisch und unter Berücksichtigung der künftig zu erwartenden Einwohnerentwicklung und der ökonomischen Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit erfolgen. Wichtig erscheinen Abstimmungen der zentralörtlichen Festlegungen mit den Infrastrukturressorts, die zumindest bei höherrangigen zentralörtlichen Funktionen selbst die Hauptadressaten der Ausweisungen sind. Die entsprechenden Einrichtungen (Universitäten, Museen, Flughäfen usw.) befinden sich regelmäßig in staatlicher Trägerschaft oder zumindest Gewährleistungsverantwortung.

Zudem sollten von den Landesplanungen klare, eindeutige und möglichst auch vergleichbare Kriterien für die Ausweisung zentraler Orte offengelegt und konsequent angewendet werden. Das würde die Steuerungswirkung des Zentrale-Orte-Systems auf die Standortwahl von privaten Anbietern erhöhen.

Infolge der rückläufigen Einwohnerentwicklung wird jedoch in immer mehr zentralen Orten die Leistungsfähigkeit gefährdet. Hier ist es wichtig, die Leistungsfähigkeit zentraler Orte im Fall des Rückbaus oder der qualitativen Weiterentwicklung von Angeboten zu sichern bzw. die Zentren zu stärken. Deshalb sind bei Gebietsreformen in den Bundesländern grundsätzlich die Wirkungszusammenhänge mit den zentralörtlichen Einstufungen relevant. Immer größere Zuschnitte von Flächengemeinden könnten es erforderlich machen, die zentralörtlichen Ausweisungen auf Ortsteile als Standortcluster zentralörtlicher Funktionen zu beschränken. Damit wäre das für das Zentrale-Orte-Konzept wesentliche Konzentrations- und Bündelungsprinzip gewahrt.

Zugleich kann Schrumpfung zur Ausdünnung von zentralörtlichen Netzen und damit zur Rückstufung zentraler Orte zwingen. In einigen Fällen können benachbarte Zentren als Städteverbund gemeinsam die Funktionszuweisung erhalten. Unterschiedliche raumstrukturelle Voraussetzungen erfordern angepasste Entwicklungen von Varianten des Zentrale-Orte-Konzepts:

  • Städteverbünde als Kombination aus raumordnerischer Funktionszuweisung (top-down) und vertraglich vereinbarter interkommunaler Kooperation (bottom-up), in dem sich mehrere Zentren gemeinsam und arbeitsteilig zentralörtliche Leistungen für dritte Gemeinden innerhalb ihres gleichwohl weiterhin abgrenzbaren Verflechtungsraumes erbringen.
  • Der "Monozentrale Ort", also der klassische Ansatz, in dem sich die zentralörtlichen Funktionen nicht auf das gesamte Gemeindegebiet sondern auf einen Standortcluster innerhalb einer Gemeinde fokussieren lassen, die über einen klar abgrenzbaren Verflechtungsraum verfügt, für den Versorgungsleistungen erbracht werden.
  • Funktionsräume, in denen sich die zentralörtlichen Wirkungsbeziehungen innerhalb des Verflechtungsraumes überlagern und ohne klare Zuordnung von den Zentren wechselseitig Funktionen wahrgenommen werden. Dieses Konzept ist sowohl für polyzentrale Verdichtungsräume als auch für ländlich schwach strukturierte Räume ohne klar tragfähige Zentren denkbar und steht in Hessen und Sachsen-Anhalt vor der Umsetzung.

Mit dem Funktionsraumkonzept wird die Entwicklung von Siedlungsstruktur, Einzelhandel und Infrastruktur nicht mehr durch normative Vorgaben der zentralörtlichen Ausweisung, sondern auf der Basis der tatsächlichen raumstrukturellen Gegebenheiten gesteuert. Erste Erfahrungen zeigten, dass Funktionsräume sowohl für die Sicherung der Daseinsvorsorge in Wachstumsräumen als auch in Schrumpfungsräumen geeignet sind.

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