Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Forschungsprojekt: Bundesstaatliche Ordnung und Bedeutung finanzieller Ausgleichssysteme für die Raumordnung

Ergebnisse

Im Projekt wurden drei interregionale Ausgleichssysteme differenzierter analysiert und bewertet, in denen die Intervention des Bundes sowie der wohlhabenderen Länder zugunsten der wirtschaftlich weniger erfolgreichen Länder und Regionen besonders deutlich zum Ausdruck kommt:

  • die "Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW),
  • der Länderfinanzausgleich (LFA) sowie die
  • Aktive Arbeitsmarktpolitik (AAMP).

Über eine Analyse der Effekte dieser Ausgleichssysteme für die Nehmer- bzw. Förder- und Geberregionen und vor dem Hintergrund möglicher Zielkonflikte zwischen Wachstums- und Ausgleichspolitik wurden Vorschläge für eine mögliche Neuorientierung der Regionalpolitik entwickelt.

In einem einleitenden Teil wurde der gegenwärtige allgemeine Kenntnisstand hinsichtlich der wesentlichen Determinanten der regionalen Wirtschaftsentwicklung zusammengetragen und bereits vorliegende Untersuchungen im Kontext der eigenen Studie bewertet.

Die Geber- und Nehmerregionen (Abbildung 1) wurden für den LFA und für die AAMP auf der Basis der effektiv transferierten Beträge identifiziert. Für die GRW wurden nur Förderregionen abgegrenzt, weil die eingesetzten Mittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen des Bundes und der jeweiligen Länder (in denen die alimentierten Regionen liegen) finanziert werden.

Im Verlauf des Projektes wurden zwei Workshops durchgeführt, die als Foren dienten, um Zwischen- und Endergebnisse der Projektarbeit mit fachlich interessierten Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie mit politischen Akteuren zu diskutieren und die Arbeitsergebnisse in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Die Ergebnisse der beiden Workshops fanden Eingang in die Projektbearbeitung sowie in den Endbericht.

  • Der erste Workshop fand am 21. Juni 2005 in Halle (Saale) am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zum Thema "Interregionale Ausgleichspolitik und regionales Wirtschaftswachstum in Deutschland: Bestandsaufnahme des politischen Status quo und vorliegender Forschungsergebnisse" statt. Er hatte die Aufgabe, den gegenwärtigen Forschungsstand zur räumlichen Ausgleichspolitik darzustellen und das vom Projektteam gewählte Untersuchungsdesign zu diskutieren.

  • Der zweite Workshop wurde am 30. Januar 2006 im BMVBS Berlin zum Thema „Interregionale Ausgleichspolitik auf dem Prüfstand: Empirische Befunde des Forschungsprojekts "Bundesstaatliche Ordnung und Bedeutung finanzieller Ausgleichssysteme für die Raumordnung" durchgeführt.

Die wachstumsstarken und -schwachen Regionen wurden auf der Basis des Bruttoinlandsprodukts (BIP) je Einwohner, der Produktivität sowie der Einwohner- und Erwerbstätigenentwicklung für den Zeitraum 1992-2003 ermittelt. Dieser Zeitraum wurde zudem in zwei Abschnitte (1992-1998 und 1998-2003) unterteilt, um Aussagen über die Veränderungen im Zeitablauf treffen zu können. Auf Basis der vorgenannten Indikatoren wurde vom Auftragnehmer eine Typisierung der Regionen nach ihrer Wachstumsdynamik vorgenommen (Abbildung 2):

  • Bei einer Betrachtung des BIP je Einwohner in Kombination mit der Einwohnerentwicklung wurden vier Regionstypen gebildet: "aktiv wachsende Regionen", "passiv wachsende Regionen", "wohlhabende Regionen" sowie "Schrumpfungsregionen".
  • Nachdem es in der ersten Teilperiode (1992-1998) – gemessen am relativen Pro-Kopf-Einkommen – eine verhältnismäßig starke polare Zuordnung zu den Wachstumstypen gegeben hatte (die ostdeutschen Regionen gehörten fast ausnahmslos zu den "aktiv wachsenden" bzw. "passiv wachsenden" Regionen und das Gros der westdeutschen Räume zu den "wohlhabenden" und zum kleineren Teil zu den "Schrumpfungsregionen"), löst sich in der zweiten Teilperiode (1998-2003) diese Polarisierung zugunsten einer stärkeren Durchmischung ost- und westdeutscher Regionen bei den einzelnen Wachstumstypen auf.

Die - gemessen am relativen Pro-Kopf-Einkommen und an der Einwohnerzahl - wachstumsstarken Regionen zeichnen sich durch eine im Vergleich zu den meisten anderen Wachstumstypen günstigere Erreichbarkeit, durch einen überdurchschnittlichen Offenheitsgrad (Exportquote) und eine Sektoralstruktur aus, die stärker vom volkswirtschaftlichen Durchschnitt abweicht als dies bei den anderen Wachstumstypen des Pro-Kopf-Einkommens/der Einwohnerzahl der Fall ist (Spezialisierungsgrad). Die beiden letztgenannten Wachstumsdeterminanten sind allerdings politisch kaum beeinflussbar. Wachstumsschwache Regionen, d.h. "Schrumpfungsregionen", zeichnen sich im Vergleich zu den wachstumsstarken Räumen durch ungünstigere Erreichbarkeitsverhältnisse, einen geringeren Spezialisierungsgrad und eine geringere Exportquote aus. Bei der Investitionsquote zeigen sich dagegen keine wesentlichen Unterschiede.

  • Betrachtet man schließlich die absoluten Beiträge der Regionen zum Wachstum in Deutschland insgesamt, so zeigt sich, dass die Agglomerationsräume zum BIP-Wachstum von 1998 auf 2003 fast drei Fünftel und die verstädterten Räume ein knappes Drittel beigetragen haben. Damit entspricht zusammengenommen der Beitrag höher verdichteter Räume zur absoluten Zunahme des BIP ungefähr deren Anteilen an der Einwohnerzahl und der Erwerbstätigenzahl, wobei der Wachstumsbeitrag der Agglomerationsräume leicht überproportional und jener der verstädterten Räume leicht unterproportional ausfällt.

Hinsichtlich der Frage, ob eine Umlenkung der bislang im Rahmen der Ausgleichspolitik zugunsten der strukturschwachen Länder und Regionen eingesetzten Mittel in Richtung auf die Geberländer und -regionen zu einem höheren gesamtwirtschaftlichen Wachstum führen würde, lassen sich im Ergebnis der Untersuchungen keine eindeutigen Aussagen treffen.

Während hinsichtlich der GRW mit Hilfe der makroökonometrischen Untersuchungen festgestellt werden konnte, dass der im Untersuchungszeitraum realisierte Mitteleinsatz zur Erhöhung der interregionalen Kapitalmobilität und des Pro-Kopf-Einkommens in den Nehmerregionen beigetragen hat (mit nachlassender Tendenz), ließen sich für den LFA i.e.S. (horizontaler LFA plus Bundesergänzungszuweisungen) und die AAMP keine positiven Wachstumseffekte nachweisen. Diese - in der kurzen Frist - fehlenden positiven Wachstumsbeiträge des LFA und der AAMP für die Nehmerregionen deuten nach Ansicht der Auftragnehmer darauf hin, dass es aufgrund dieser beiden Ausgleichssysteme zumindest keine positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte gegeben haben dürfte. Die Frage, ob die Transferbelastung in den Geberregionen möglicherweise negative Effekte bewirkt haben könnte, lässt sich noch nicht eindeutig beantworten. Allerdings zeigt der Abgleich zwischen Geber- und Wachstumsregionen, dass das Wachstum der Geberregionen im Untersuchungszeitraum nicht nachhaltig gebremst worden ist.

In Bezug auf die GRW wäre es denkbar, dass die positiven Effekte in den Nehmerregionen auch auf die Gesamtwirtschaft durchschlagen. Die makroökonometrischen Untersuchungen lassen hierzu jedoch keine Aussage zu. Wenn allerdings die Rahmenbedingungen der Wirtschaftsentwicklung (oder: die "technische Effizienz") in den Geberregionen günstiger als in den Ausgleichsregionen sind (wofür einiges spricht), so könnte der Ressourcentransfer zugunsten der Ausgleichsregionen in gesamtwirtschaftlicher Sicht eher zu Wachstumseinbußen führen. Nach Ansicht des Auftragnehmers spricht folglich vieles für die Erwartung, dass eine Umlenkung der Mittel in die bisherigen Geberregionen kurz- bis mittelfristig zu einem höheren gesamtwirtschaftlichen Wachstum führen könnte.

Im Ergebnis ihrer Analysen zu den ermittelten Wirkungen der Ausgleichspolitik wäre es aus Sicht des Auftragnehmers bei einer ausschließlichen Verfolgung des Wachstumsziels (aus gesamtwirtschaftlicher Sicht) vermutlich vorteilhafter, auf die bisherigen Transfers zugunsten der Ausgleichsregionen zu verzichten. Bei einer langfristigen Betrachtung halten sie allerdings auch andere Ergebnisse für möglich. Wenn auch sozialpolitische Zielsetzungen eine Rolle spielen, so wären nur Modifizierungen der Ausgleichspolitik zu überlegen, auf die weiter unten eingegangen wird.

Bei den makroökonometrischen Untersuchungen werden keine relevanten Lokalisationsvorteile ermittelt. Demgemäß erweist sich die Konzentration von Unternehmen aus gleichen Branchen an einem Ort bei einer Gesamtbetrachtung aller Branchen nicht als vorteilhaft. In Bezug auf mögliche Urbanisationsvorteile ließ sich für die betrachteten Faktoren "Bevölkerungsdichte" sowie "Marktpotenzial" kein signifikanter Einfluss auf das Wirtschaftswachstum feststellen. Angesichts dieser Ergebnisse lassen sich nach Ansicht des Auftragnehmers keine politischen Maßnahmen zugunsten der Agglomerationsräume - über das heute bereits realisierte Maß hinaus - fundieren. Entsprechendes gilt für eine Umlenkung von Mitteln von den Nehmer- zu den Geberregionen (Geberregionen im Rahmen der Ausgleichspolitik), soweit sich die Geberregionen durch Potenziale für Lokalisations- und Urbanisationsvorteile auszeichnen.

Bei einer Neuorientierung der Politik zugunsten der Wachstumsräume könnte eine Absenkung der ausgleichspolitischen Mittel von den Nehmerregionen zumindest teilweise dadurch kompensiert werden, dass die Effizienz des Mitteleinsatzes erhöht wird. Dies gilt für den LFA, aber auch für die GRW und ganz allgemein für Maßnahmen der Wirtschaftsförderung innerhalb strukturschwacher Regionen. Aus ihrem Befund fehlender kurzfristiger Wachstumseffekte des LFA leitet der Auftragnehmer ab, dass die Anreize der Nehmerländer zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung verstärkt werden sollten. Auf der regionalen Ebene könnte es zu einer Verbesserung kommen, wenn noch stärker als bisher eine Orientierung an den jeweiligen regionsspezifischen Potenzialen stattfände. Im Rahmen der Fallstudien wurde gezeigt, dass es in den einzelnen Regionen eine Fülle von Best Practices gibt, die bislang aber nur unzureichend überregional bekannt sind.

Zur Bedeutung des demographischen Wandels für eine Neuorientierung der Ausgleichspolitik wird festgestellt, dass es bislang noch keine nachweisbaren negativen Effekte aufgrund fehlender Fachkräfte gibt. Anders steht es um die Auswirkungen auf das Gründungsgeschehen, da gerade dynamische Personen mit einer hohen Neigung zur Selbstständigkeit besonders stark dazu tendieren, periphere Regionen zu verlassen. Maßnahmen zur Förderung der Selbstständigkeit dürften in diesen Regionen daher weniger erfolgreich als anderswo sein. In Regionen mit Einwohnerrückgang steigen bereits heute die Pro-Kopf-Kosten von kommunalen Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Damit stehen in den betreffenden Regionen weniger Finanzmittel für den Ausbau der Infrastruktur und zur Förderung der Wirtschaftsentwicklung zur Verfügung. Eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung in diesen Regionen wird damit künftig noch schwieriger werden als bislang. Grundsätzlich gibt es zudem Effekte der rückläufigen Einwohnerzahlen auf den Länderfinanzausgleich, weil die Zahl der Einwohner das zentrale Element zur Abbildung des Finanzbedarfs im Rahmen des LFA darstellt.

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