Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Informeller Urbanismus

IzR 2.2014, Hrsg.: BBSR im BBR

Ulf Matthiesen, Philipp Misselwitz, Robert Kaltenbrunner, Stephan Willinger
Zur Bedeutung des Informellen in der Stadtentwicklung

Mit einem gewissen Erstaunen nimmt Le Corbusier, ein Heros der Moderne, die Vielfalt des Informellen wahr, die seine planerische Vision mit Leben füllt. Hat die Stadtplanung des 20. Jahrhunderts diese Realitäten weitgehend ignoriert, so werden Bottom-up-Initiativen in den letzten Jahren immer stärker thematisiert. Ihren derzeitigen und potenziellen Beitrag zur Stadtentwicklung diskutieren in einem interdisziplinären Gespräch Ulf Matthiesen, der am Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung und an der Berliner Humboldt-Universität lange über Raumpioniere geforscht hat, Philipp Misselwitz, Mitbegründer von Urban Catalyst und Inhaber des Lehrstuhls für Internationalen Urbanismus an der Technischen Universität Berlin mit Robert Kaltenbrunner und Stephan Willinger vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, die aus der Sicht des Bundes und auf der Grundlage verschiedener Forschungsprojekte zur Relevanz des Informellen Stellung nehmen.

Stephan Willinger:
Ich möchte gerne einleitend mit Ihnen über die Relevanz des Themas sprechen. Das vorliegende IzR-Heft handelt ja von einem theoretischen Konstrukt, das wir „Informellen Urbanismus“ nennen. Damit behaupten wir zugleich, dass es sich um etwas nicht ganz Unwichtiges handelt, dass wir hier Veränderungen beobachten, die sich auf unser Verständnis von Stadt und Stadtentwicklung auswirken. Wenn man sich einmal das Raumbild der Europäischen Stadt vorstellt, hat sich dann in den letzten zehn Jahren vielleicht etwas verschoben? Würde das Raumbild der Europäischen Stadt heute anders aussehen als in der Charta von Leipzig von 2007? Oder stehen im Hintergrund all unserer Bemühungen immer noch gemischt genutzte Städte, Städte der kurzen Wege und geschlossene städtebauliche Strukturen? Und das ganze Informelle, all das, was wir heute besprechen möchten, krabbelt darin herum?

Philipp Misselwitz:
Zunächst müssten wir vielleicht definieren, was wir unter Informalität im Kontext der Europäischen Stadt verstehen. Es geht ja weniger um Elendsviertel, informelle Ökonomien oder Verkehrsströme, wie wir sie mit den Städten des globalen Südens in Verbindung bringen. Informalität (oder besser Informalisierung) in deutschen Städten könnte man an einer Tendenz zur Deregulierung von Planung und an strukturellen Verschiebungen in Governance-Prozessen festmachen. Das klassische Dreieck mit definierter Rollenverteilung von Stadt, Wirtschaft und Zivilgesellschaft löst sich zunehmend auf.
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